77.David

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Als der Magier am nächsten Morgen erwachte, spürte er sofort, dass etwas nicht stimmte. Der Platz neben ihm war leer und kalt, einzig das beschriebene Pergament, welches die zerwühlte Decke zierte, lag darauf. Er nahm es mit zitternden Fingern an sich, die Vorahnung verdrängend, aber in der Hoffnung zu lesen, seinen Freund bald wieder zu sehen. Doch was dort schwarz auf weiß geschrieben stand, war mehr als David ertragen konnte. Er schrie die bittere Enttäuschung und seinen Frust in den sich rosafärbenden Morgenhimmel. Ein lautes Heulen, um seinen Schmerz loszuwerden, schreckte Tier und Mensch aus dem Schlaf. Woraufhin als Folge, bald alle rund um ihn versammelt waren und bestürzt auf den Brief blickten.

Wieso? Was ist gestern passiert?" erkundigte sich Tamora und sah David besorgt an, der sich mittlerweile beruhigte und teilnahmslos vor sich hinstarrte. Einige Minuten vergingen, bis er versuchte zu erklären: „Er, dieser Henry hat alles kaputt gemacht. John war bereit mir alles zu sagen, sich zu öffnen und seine Vergangenheit preis zugeben. Und dann ..." seine Hände ballten sich zu Fäusten. „Sein Bruder sah es und belauschte uns wie ein Spion, um den richtigen Zeitpunkt zu finden um..." Er schnaubte wütend. „Jonathan zu verraten." Die Zwillinge wirkten erschrocken, begriffen jedoch recht schnell. „Er ist auf dem Weg in seine Heimat, da Henry ihm vorwarf, was für ein verantwortungsloser König er sei", kombinierte Tamora und der Magier nickte betroffen. „Was ist das für ein Bruder? ... Ich bin so unsagbar wütend, vergiften könnte ich ihn", knurrte er mit zusammengebissenen Zähnen, woraufhin die anderen ihn erschrocken musterten. „Vergiften? ... Du meinst das nicht ernst, oder? Du hättest das Wissen ... aber...", mischte sich Richard vorsichtig ein. David sah entschlossen auf und die Augen aller, lagen besorgt auf ihm. Tamora begann zu sprechen: „David, ... wir verstehen dich, ... doch überstürze jetzt nichts. Mir würde es genauso gehen, wenn Richard plötzlich nicht mehr hier wäre. Doch genauso verstehe ich auch die Situation der beiden Brüder. Außerdem war ICH diejenige ..." Tom meldete sich sofort: „Nein Tam, ... wir gemeinsam sorgten dafür, dass der König ins Exil geschickt wurde." David starrte die Zwillinge verstört an. „Weshalb? Was hat er euch getan?" Er stand auf, überragte sie alle, beinahe um einen Kopf und wirkte bedrohlicher denn je. Tamora ergriff wieder das Wort, trotz der Angst, die er ihr einflößte: „Wir waren Sklaven und suchten verzweifelt die Freiheit. ... Wir hätten damals beinahe alles getan, um eigenständig zu werden." Der große Mann schüttelte nur schnaubend seinen Kopf. „Das gibt euch nicht das Recht so was zu tun! Wie könnt ihr nur ..." er verstummte, schien nachzudenken, was Tam erklärte. Er selbst nahm die Zwillinge bei sich auf. Und John ... die drei kannten sich von Beginn an, doch der ehemalige König war seinen Verrätern nicht böse. Da musste noch viel mehr dahinterstecken, vieles was er noch nicht wusste und jetzt nicht mehr wissen wollte. 

„Wenn sie ihn für etwas verurteilten, dass er nicht getan hat, gibt es keinen Grund für ihn zurückzugehen. Er wollte nicht, nur dieses weißhaarige Rumpelstilzchen ist schuld daran!" Man sah ihm an, dass er den jüngsten Bruder Jonathans am liebsten auf alle Zeit irgendeinen Fluch auferlegt hätte und keiner der drei zweifelte an seinem Können. Der Magier wäre im Stande dazu. „Der Kleine hat sich einfach nur verraten gefühlt, ... als ihr beide ...", meinte Richard sachlich, verstummte jedoch sofort, als sich alle nach den näherkommenden Hufschlägen drehten.

Als ob es ein unglücklicher Zufall wäre, preschte ein weißes Pferd mit schwarzen Sprenkeln auf die Lichtung. Von dem Rücken des Tieres glitt besagter Bruder des Königs. David kochte vor Wut. Was erlaubte sich dieser Zwerg, hier noch einmal aufzutauchen. Mit geballten Fäusten stand er da, doch Henry schien keinesfalls hier zu sein, um einen weiteren Streit vom Zaun zu brechen. Er stürmte auf die vier zu und rief leicht außer Atem: „Wo ist er? Wo ist Jonathan?" Schwer atmend und mit den Händen auf den Knien gestützt, blieb er vor ihnen stehen. David baute sich vor ihm auf und spuckte die widerlichen Worte aus: „Weg, Jonathan ist fort!" Henry blickte geschockt zu ihm auf, was den Magier irritierte. War es nicht der Wunsch dieses Mannes gewesen, seinen Bruder umzustimmen? „Oh nein ... ich wusste es. Scheiße, ... oh verdammt, ich könnte mich ... ahhh Schande! Wir müssen ihn da rausholen", schimpfte Henry, der mittlerweile wieder gerade stand. 

David konnte es nicht fassen, was brabbelte er da? War nicht er derjenige, der John dazu brachte? „Moment mal, du meinst ...", seine Geduld war am Ende und er stieß den weißhaarigen mit beiden Händen grob zurück. „Was glaubst du wer du bist? Du elender Schuft! Nur wegen deiner Worte ist er abgehauen", donnerte der Magier, doch der Störenfried ließ sich nicht beirren, warf dem großen Mann einen vernichtenden Blick aus seinen braunen Augen zu und trat abermals nach vor. „Schon möglich, ich leugne es nicht, aber du, ... David O'Janders brauchst dich nicht aufzuspielen. Du hast ebenfalls alle hier belogen, den wahren Grund verheimlicht, warum du wie ein Vagabund mit deiner Zaubershow durch die Länder reist. Wer weiß, vielleicht ist deine Liebe zu Jonathan auch nur eine weitere deiner scheinheiligen Lügen." David zuckte zusammen. Henry wusste von seiner Vergangenheit? Woher? Wieder wollte er ihn zurückstoßen, doch Richard hielt ihn zurück. Es stimmte, niemand der anderen wusste genau, warum David dieses Leben wählte, sie waren einfach davon ausgegangen, er mache es aus Spaß. Würden sie nun die Wahrheit erfahren? Und das aus Henrys Mund? Der Blonde knurrte nur in den Fängen seines Freundes und schien nichts einwenden zu wollen. 

„Bei seiner Reise handelt es sich um eine Prüfung seines Meisters, des gefürchteten Hexers, Salomon! Die Aufgabe ist es ihn zu finden und wenn David diese Prüfung besteht, ist er nach seiner langen Ausbildung zum Tierflüsterer und Kräutermixer, endlich befähigt an den Sitzungen des dunklen Rates teilzunehmen. ... Das hier", Henry zeigte auf den Wagen. „Ist keine Magie, nur langes und ausdauerndes Üben." Dann kam er noch einen Schritt näher. „Wie lange hattest du noch vor, es ihnen zu verheimlichen? Bis das Ziel deiner Reise erreicht ist und du ihnen, da sie jetzt zu viel wussten, giftige Kräuter in ihre Getränke mischt?" Die Worte des Kleinen wurden während dieser Offenbarung immer härter und lauter und Davids Gesicht immer bleicher. Die drei Mitglieder der Truppe starrten ihren Anführer entgeistert an. Richard war von ihm gewichen und stellte sich nun schützend vor Tamora. Keiner von ihnen konnte glauben, was sie gerade gehört hatten.

Eine Weile herrschte Stille, bis David schließlich anfing zu sprechen: „Ja, es stimmt ... diese Reise ist eine Prüfung und wurde mir von meinem Lehrmeister auferlegt. Als ich ein kleiner Junge war, kam er auf unser Anwesen, um ein Heilmittel anzupreisen. Mein Vater wies ihn ab, doch mich faszinierte das was er tat so sehr, dass ich mich ihm kurzerhand anschloss. Ich zog mit ihm, lernte praktisch alles, was er an Mensch und Tier ausübte. Er bot mir an sein Nachfolger zu werden, dafür müsste ich diese Prüfung überstehen und ihn aufsuchen. Wie, lies er mir frei zu entscheiden, so wählte ich diesen Weg, da mir die Tiere am Herzen lagen und es mich freut, glückliche Menschen zu sehen. Jahre vergingen und ich konnte ihn nicht finden. Dann stieß ich auf Tam und Tom, die Gedanken an die Prüfung, sie verschwanden und als ich Jonathan begegnete ..." Der Magier stockte und blickte Henry ernst an. „Ich liebe ihn. Für John würde ich alles aufgeben, ... das schwöre ich bei meiner Ehre." Alle wirkten verblüfft. Seine ehrlichen Worte erzielten genau das, was sie sollten. So aufrichtig, dass keiner Zweifel hegte. Henry sah den blonden Mann mit einem berechnenden Blick an. Er nickte: „Das dachte ich mir, als ich euch zusammen erwischte, du machtest nicht den Eindruck, als würdest du ihn hintergehen. Ich hoffe es für dich ..." Seine Gesichtszüge wurden etwas freundlicher und damit es keine Unklarheiten mehr zwischen ihnen gab, verriet der jüngste Morchester woher er die Informationen hatte. 

„Mein Aufrag lautete: Suche David O'Janders, sag ihm, dass seine Familie ihn braucht. Sein Bruder wäre in einer Schlacht gefallen und bevor sie seine Schwester zur Fürstin machen, wollten sie Ihn bitten das Erbe anzunehmen." Er machte eine Pause und der Magier versuchte all dies zu verdauen. Seine Familie, sein Bruder ... „Nein, ... ich werde nicht zurückgehen. Ich rette Jonathan und dann ..." Henry lächelte das erste Mal: „Eigentlich ist es meine Aufgabe dich fest zunehmen und vor den schottischen König zu bringen. Du bist ein Gesetzloser und ich ein Spion. Aber du hast recht, ... eine Sache geht vor. In dieser Hinsicht sind wir uns doch einig Herr Yavrildore?" David enspannte sich etwas. „Natürlich, ... nichts ist mir wichtiger", brachte er hervor und der Kleinere war mit dieser Aussage zufrieden. „Gut, dann sollten wir Pläne schmieden, wie wir ins Schloss gelangen. Herr Magier? Schick einen deiner Raben mit einer Botschaft zum Schloss. Wir lassen ihn das nicht allein durchstehen." 

„Was, wenn er gar nicht eingesperrt ist?" mischte sich Tamora ein. Henrys Augen verengten sich. „Die Chance, dass diese Situation eintrifft ist mehr als nur gering, aber wenn es euch beruhigt, würde John in diesem Fall bestimmt antworten. Doch tut es nichts zur Sache ihr wollt ihn doch wiedersehen?" Sie nickten, alle waren bereit den ältesten Morchester zu helfen und ihn zu unterstützen.

Endlich ist Davids Vergangenheit gelüftet^^

I was King (Deutsche Version)Where stories live. Discover now