30.Henry

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Es waren bereits, oder eher vielleicht „erst" vier Tage von Noahs Abwesenheit vergangen und ich war total fertig. Genauso wie Joachim, doch im Gegensatz zu ihm, hatte ich einen triftigen Grund es zu sein. Nach einem weiteren Tag, an dem ich mir viel Geschimpfe, Gezeter und Brüllerei anhören musste, lag ich in meinem Bett. Früher stufte ich es als unbequem und hart ein, doch jetzt war ich froh es mein Eigen nennen zu können. Mein einziger Rückzugsort. Ich lag also in meinem Bett und starrte an die Decke. Die Gedanken kreisten in meinem Kopf und immer wieder schüttelte ich diesen, um sie loszuwerden. Jetzt fehlte mir so etwas wie ein Instrument oder zumindest eine heiße Tasse Tee, doch der Bauer würde mich entweder dafür auslachen oder einfach nur die Augen verdrehen. Darum begnügte ich mich mit meiner Stimme. Und so klangen ermutigende Worte meines selbstgedichteten Liedes in die Dunkelheit meiner kleinen Kammer, um mich aufzubauen und mir Kraft zu geben.

Remember"

We're just dreaming on & on nowWe're just breathing in & out nowThis is going to be OK from now onWe're just chasing all the colorsWe're just shining all the time now
There is going to be a NEXT day every time

Der nächste Morgen begann normal. Ich startete im Hühnerstall und obwohl ich mich beeilen sollte, kam ich nicht darüber hinweg, Henriette ein wenig Zeit zu widmen. Während ich ihr die Körner hinhielt, vernahm ich das Getrappel von Pferdehufen. „Noah?" Aber das konnte nicht sein, und bevor ich mich weiter wundern konnte, hörte ich Stimmen von draußen. „Hey Joachim! Schön dich zu sehen." Dann kam von diesem eine Antwort. „Morgen, was gibt's denn? Brauchst du Ware?" Die Stimme seines Gegenübers kannte ich nicht. Sie war eindeutig männlich, doch nicht unbedingt tief. Es war eine knirschende Stimme, ich weiß nicht, wie ich sie richtig beschreiben könnte. Vielleicht in Richtung einer knarzenden Tür, oder so ...? 

„Nein, mir ist gestern ein Arbeiter ausgefallen, die älteste Führungskraft auch noch dazu. Er war unvorsichtig und hat Bleichmittel in die Augen bekommen. Jetzt sieht er natürlich schlecht und ich musste ihn wegschicken, er ist nicht mehr zu brauchen." Ich hatte keinen blassen Schimmer, wovon er sprach. „Ja und? Was führt dich dann zu mir?" vernahm ich wieder Joachims alarmierte Stimme. „Swen sagte mir letztens, er habe dir einen Jungen verkauft, ziemlich schwächlich und so weiter." Nun spitzte ich die Ohren, hier ging es doch eindeutig um mich. Wen sonst hatte Joachim denn gekauft? Henriette, mein Huhn, kroch unter meinen Arm, das war möglich, da ich in Hockstellung saß und plusterte sich auf, um meine Aufmerksamkeit zu erlangen. 

„Ja, das ist richtig, aber was willst du von ihm? Er ist langsam und nicht sehr ausdauernd, aber im Moment unentbehrlich", meinte mein „Besitzer", woraufhin sein Besucher nur lachte. „Na dachte ich es mir doch, dass der Kleine für deinen Hof nicht der Richtige ist. Du findest sicher eine bessere Kraft." An der Stimme von Joachim konnte ich hören, dass er schon sehr genervt war. „Verdammt Björn! Was soll das Ganze? Ich verkauf den Jungen nicht. Wer verrichtet die Arbeiten, solange Noah nicht wieder zurück ist? ... Gilbert bleibt hier", endete er bestimmt und ich atmete auf. Warum eigentlich? War es nicht überall besser als hier? Aber Noah ... „Nun komm schon, ... die paar Tage. ... Ich bezahl dir auch ein feines Sümmchen für ihn." Ich zitterte, wieder wurde um mich gefeilscht, das konnte doch nicht wahr sein!" „Nein, ... der Kleine bleibt auf meinem Hof und basta. Er hat viel gelernt ist fleißig und alles andere wird ihm Noah noch beibringen. Du wirst hier nicht fündig, also verschwinde." Ein Lächeln huschte über meine Lippen, es tat so gut gelobt zu werden. 

Eine Weile lang blieb es still und ich war der Annahme, dass uns der Fremde bereits verlassen hatte, als Joachim klein bei gab: „Gut, dann nimm ihn ... aber das bleibt unter uns, verstanden? ... Und ich will das Doppelte von dem, was ich für ihn bezahlt habe." Du heilige Scheiße, der Bauer verkaufte mich wahrhaft wieder weiter? Gerade wo ich mich hier ein wenig eingelebt hatte? Und schon kurz darauf hörte ich ihn meinen Namen rufen: „Gilbert? Wo bist du? ... Pack deine Sachen und mach dich abmarschbereit. Ich kann dich hier nicht mehr gebrauchen!" Ich wollte es nicht glauben, meine heile Welt brach erneut zusammen. Beim Versuch aufzustehen, piekte mich Henriette an. Fast so als würde sie mich bitten: „Hey Henry, geh nicht ..." Ich tätschelte das Huhn sachte und flüsterte in ihr Gefieder: „Tut mir leid mein Schatz, aber du bist hier sicherlich besser aufgehoben. Noah kümmert sich um dich. Dort wo ich hinsoll gibt es denke ich keine anderen Hühner und keinen Stall." Sie blickte mir traurig nach, als ich den Schuppen verließ und mit großen Schritten auf die Hütten der Dienstboten zuging.

Das erste, das mir ins Auge stach, war die gebückte Gestalt meines „Käufers". Sein Aussehen erinnerte stark an eine Ratte, fies und heimtückisch. Kleine eingefallene Augen, in einem schmalen, spitzen Gesicht und spärlichem Haarwuchs am Kopf. Kurz und gut, eine typische Bösewichtfigur aus einem Schauermärchen.

„Da bist du ja endlich! Pack deine Sachen zusammen, Gilbert", befahl mir Joachim und stellte mich rasch vor: „Das hier ist Bjorn von der Wäscherei, für dich Herr Björn. Du wirst nun für ihn arbeiten." Ich sah meinen Meister mit großen Augen an und es kam mir vor, als mache er einen verängstigten Eindruck, wenn so was überhaupt möglich war. Es schien, als würde sogar so etwas wie Schuldbewusstsein in seinen Augen glitzern. Konnte selbst er mich irgendwie gemocht haben? Das Hirn der Menschen war komplex, wer weiß was solche Typen in ihren Köpfen tragen. Auf mich kamen jedoch andere Dinge zu, eine Zeit, in der ich mich bestimmt nicht mit dem Menschen „Joachim" und seinem Verstand oder sagen wir besser, seiner Denkweise auseinandersetzen konnte.

Nach einer auffordernden Handbewegung des Bauers, lief ich hinein, um meine mittlerweile vorhandenen, jedoch immer noch spärlichen Habseligkeiten zusammen zu schnüren. Da war: eine Feder von Henriette, die ich sorgsam in ein Stofftuch wickelte, ein paar Hemden, die alle schon ausgeleiert und übertragen waren, ebenfalls stark abgewetzte Hosen mit Löchern, die ich mit Noahs Hilfe gemeinsam, Provisorisch geflickt hatte. Der schwarze Hut, den wir einer Vogelscheuche vom Feld klauten, da mein Freund meinte, er würde mir stehen und schlussendlich noch das einzige Wertvolle, das ich aus dem Schloss mit genommen hatte, ein goldener Ring, den ich immer versteckt hielt, da er meine wahre Identität verraten würde. Ich drückte ihn fest in meiner Faust und hielt sie an mein Herz.

„Gilbert! Beeile dich! ... Komm schon ... Björn hat es eilig und will los!" rief Joachim energisch. „Dann soll er eben ohne mich reiten", murrte ich zornig, legte dann jedoch einen Zahn zu. Draußen verabschiedete sich der Bauer von mir. Ich rechnete mit einem mürrischen „Lebwohl" oder so, doch er kam ganz dicht an mich heran, legte tatsächlich einen Arm um meine Schulter und lächelte zaghaft. „Tut mir leid Kleiner, ... ich werde Noah einen Gruß von dir ausrichten. ... Vielleicht ... wer weiß ... auch wenn es unwahrscheinlich klingt, sehen wir uns wieder. ... Na dann..." Mit solchen Worten hatte ich nun bei weitem nicht gerechnet, sie berührten mich irgendwie. „Danke, ... ich werde das schon schaffen", murmelte ich leise und dann vertraute ich ihm mein Geheimnis an. Warum ich das tat, konnte ich nicht erklären, aber es drängte mich innerlich dazu. „Und falls wir uns wirklich wieder sehen, mein Name lautet Henry", flüsterte ich so leise, dass nur er mich hören konnte. Sein Blick war etwas verwirrt, stellte aber keine Fragen, als er nickte.

Schon wieder verkauft, was für eine Tragödie..., armes Henry-Baby^3^ Nun aber genug der Rührseeligkeiten, vielen Dank fürs Lesen!^^

LG Tsuna-saw-ada

I was King (Deutsche Version)Where stories live. Discover now