Dispute

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„Wie geht es dir?", fragte ich Mary, als wir uns auf der Sofalandschaft in dem gemütlich eingerichteten Wohnzimmer niederließen und sie zuckte mit den Schultern.

„Es geht so, ich habe ziemlich schlimme Albträume", gab sie zu und ich drückte ihren Arm. Ich war keine Psychologin und außerdem noch extrem schlecht im Trösten. Ich hatte immer absolut keine Ahnung, was ich tun sollte, wenn Menschen traurig waren oder sogar anfingen, zu weinen.

„Ich, äh, ich glaube, das ist normal", brachte ich schließlich heraus und schüttelte innerlich den Kopf über mich. Marc war wohl auch der Ansicht, dass meine Aussage nicht unbedingt hilfreich gewesen war, denn er sah mich mit undurchdringlicher Miene an und hob dann langsam eine Augenbraue. Ich starrte empört zurück. Sollte er es doch besser machen...

„Wie geht es den anderen?", fragte nun Mary und ich schluckte. Kurz überlegte ich, ob ich ihr die Wahrheit verschweigen oder zumindest abmildern sollte, weil es sie zu sehr aufwühlen könnte, doch dann siegte mein Bedürfnis, zu meinen Geschwistern ehrlich zu sein.

„Lily und Finn geht es ganz gut", fing ich mit der guten Nachricht an, „Tyler und David allerdings haben versucht, mich zu verteidigen, als die Hounds dich gesucht haben und mich dann mitnehmen wollten..." Mary sah mich entsetzt an. Offensichtlich hatte Marc ihr das noch nicht erzählt. Ungläubig schwenkte mein Blick zu ihm. Er fuhr sich über die kurzen Haare.

„Du hast es ihr nicht erzählt?", der Vorwurf in meiner Stimme war kaum zu überhören.

„Ich dachte, das sagst du ihr besser", versuchte Marc, sich zu verteidigen, „du weißt doch, dass ich in sowas noch schlechter bin als du."

„Na, vielen Dank auch", gab ich trocken zurück und wandte mich dann wieder Mary zu, die unseren kurzen Schlagabtausch fassungslos mit angesehen hatte.

„Ich hatte ganz vergessen, wie ihr euch immer zu zweit verhalten habt...", meinte sie kopfschüttelnd und wischte das dann beiseite. „Was ist passiert?"

„Die Hounds sind gestern Abend zu uns in die Wohnung gekommen", fing ich an, zu erzählen. „Sie waren auf der Suche nach dir und nach Marc. Als sie euch nicht gefunden haben, wollten sie stattdessen mich mitnehmen, falls ich irgendetwas wüsste. Tyler ist komplett ausgerastet und wollte mich vor denen beschützen und David hat es ihm nachgemacht. Aber es waren vier ausgewachsene Männer und du weißt wie groß Tyler und David sind..." Mary nickte, ihre linke Hand hatte sie vor den Mund geschlagen. Ihre Augenbrauen waren geschockt zusammengezogen.

„Tyler geht es inzwischen wieder ganz gut, er ist bei Finn und Lily zuhause. David... er liegt im Krankenhaus, er hat ein Loch in der Lunge. Er muss beatmet werden", in meiner Stimme klang Bitterkeit mit. Mark und Mary sahen mich beide geschockt an. Sie hatten noch nich gewusst, wie es um unseren kleinen Bruder stand. "Ich... Ich musste ihnen schließlich erzählen, dass ich dich und Marc zusammen weggeschickt habe. Sie kannten Marc, deswegen habe ich mir so Sorgen gemacht, dass sie euch vielleicht schon gefunden haben", erklärte ich weiter. Die Scham, dass ich den Hounds etwas verraten hatte, trieb mir die Röte ins Gesicht. Marc schnaubte.

„Die wissen gar nichts über mich und meine Verstecke. Du hättest dir keine Sorgen machen brauchen." Ich zog die Augenbrauen hoch.

„Ich habe mir aber Sorgen gemacht. Du weißt nicht...", ich atmete einmal tief durch, „ich kenne den Anführer." Das machte Marc allerdings perplex, das konnte ich sehen. Sekunden später hatte sich jedoch seine Fassungslosigkeit in Wut umgewandelt.

„Was soll das heißen, du kennst den Anführer? Warum sagst du mir so etwas nicht?", seine Stimme wurde lauter und sofort hatte ich Angst, jemand könnte uns hören.

„Kannst du dich nicht erstmal beruhigen und mir zuhören?", zischte ich ihn an und er verzog das Gesicht.

„Dann erklär das...", forderte er. Ich zog verzweifelt die Augenbrauen zusammen. Es klang ja selbst in meinem Kopf absurd. Ich hatte mich in einen Jungen verliebt, dessen Vater der Anführer der Gang war, in der er auch war, für die ich arbeiten musste und die meinen Zwillingsbruder vor zwei Jahren angeworben hatten? Allein schon den ersten Teil, dass ich mich verliebt hatte, würde er mir vorwerfen.

„Es ist kompliziert", fing ich an, doch allein diese Redewendung machte Marc so wütend, dass er mich schubste.

„Verdammt, Liz, jetzt erklär es aber auch!", fuhr er mich an. Zornig sprang ich vom Sofa auf, er folgte und wir standen dicht voreinander und funkelten uns an.

„Dann lass es mich auch erklären und unterbrich mich nicht sofort", schrie ich zurück. „Du hast doch keine Ahnung, weder von mir noch von meinem Leben." Ich wusste nicht wieso, doch plötzlich kam alles hoch. „Du bist vor zwei Jahren spurlos verschwunden. Du hast mich allein gelassen! Allein mit unserem Vater, mit unserer Mutter. Du hast mich allein gelassen mit der Verantwortung für unsere Geschwister!" Plötzlich brach alles aus mir heraus, was ich ihm schon die gesamten letzten zwei Jahre immer entgegenbrüllen hatte wollen. Marc sah mich betroffen an.

„Du weißt nicht, wie es ist, deinem kleinen Halbbruder die Windeln zu wechseln, weil deine Mutter sich weigert, sich um das Kind zu kümmern, dass dein Vater mit einer Prostituierten hatte. Du weißt nicht wie es ist, jeden Tag arbeiten zu gehen und trotzdem nicht zu wissen, was du deinen Geschwistern zu essen geben sollst, weil dein Vater jeden Cent deines Geldes versäuft! Du weißt verdammt nochmal nicht, wie es ist, deiner Mutter die Hand zu halten, während sie vor deinen Augen erstickt!" Meine Stimme brach. Keuchend und nach Luft schnappend sah ich Marc an. Mein kurzer Ausbruch hatte ihn vollkommen überrumpelt. Erschrocken sah er mich an und ich konnte erkennen, wie sich leises Schuldbewusstsein in seine Augen schlich. Doch gleichzeitig verhärtete sich seine Kinnpartie. Sein Kiefer schob sich leicht nach vorn und neben das Schuldbewusstsein trat erneut Wut.

„Ja, ich weiß nicht, wie das ist. Aber glaub ja nicht, ich hätte es in den letzten beiden Jahren leicht gehabt", seine Stimme grollte wie ein Gewittersturm. „Ich habe auf der Straße geschlafen, mit nichts außer meinen Klamotten um mich vor der Kälte zu schützen. Ich bin zusammengeschlagen worden, so oft, dass ich vergessen habe zu zählen..." Ich zog skeptisch eine Augenbraue nach oben. Gewollt übertrieben blickte ich mich in diesem Wohnzimmer um.

"So schlecht scheint es dir hier doch gar nicht zu gehen. Oder bist du einfach nur in das Haus eines Fremden eingebrochen, während der mit seiner Familie im Urlaub ist?", giftete ich.

"Was denkst du eigentlich von mir?", brüllte Marc mich an, "Ich kenne den Besitzer des Hauses, ja, er ist im Urlaub mit seiner Familie und er hat mich beauftragt, auf sein Haus aufzupassen in der Zeit!"

Seine Augen blitzten, doch noch bevor ich ihm eine Antwort entgegenschreien konnte, hörte ich etwas, das hier nicht hingehörte.

Marc hörte es auch, dass konnte ich sofort an seiner sich verändernden Körperhaltung sehen. Seine Schultern, eben noch in Verteidigungshaltung nach vorn gebeugt, gingen nach hinten, er richtete sich auf, drehte den Kopf leicht. Sein Gesicht verriet angespannte Aufmerksamkeit.

Auch ich wandte den Kopf, um besser zu hören. Weder ich noch Marc hatten uns verhört. Gänsehaut bildete sich auf meinen Armen, während ich dem bedrohlichen Brummen vieler näherkommender Motoren lauschte. Die Hounds kamen uns holen.

The dark inside meWhere stories live. Discover now