21 Guns

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Als ich die Tür aufdrückte, bimmelte eine Glocke, die über der Tür angebracht worden war. Der kleine, halbdunkle Laden war von oben bis unten voll mit Schusswaffen unterschiedlichster Ausführung. An der gesamten linken Wand hingen Messer, von kleinen Taschenmessern über Springmesser bis hin zu halben Macheten.

Etwas unsicher sah ich mich um. Wollte ich das wirklich? Wollte ich wirklich eine Schusswaffe kaufen, um meinen Vater aus seiner eigenen Wohnung zu vertreiben, wenn er wiederkommen sollte? Andererseits hatte er seit sechs Jahren nicht mehr die Miete bezahlt. Das hatten zuerst Mutter und dann ich gemacht, faktisch gesehen war es also gar nicht mehr seine Wohnung mehr. Sollte er doch schauen, wo er blieb.

Etwas trotzig ging ich weiter in den Laden hinein. Er war bis auf einen alten Hund hinter dem Tresen leer. Es war ein Mischlingshund, ein räudiger Köter, der sich einen Spaß daraus machte, Menschen anzufallen. Er begann, böse zu knurren, als er mich sah. Unwillkürlich meinte ich, mein linker Arm würde wieder wehtun. Ich hielt einen großen Sicherheitsabstand zu ihm.

Auf dem Tresen stand eine weitere Klingel, auf die ich drückte. Ich brauchte Beratung. Marc und ich hatten zwar früher in Hinterhöfen auf Blechbüchsen geschossen, trotzdem war er derjenige gewesen, der sich für Waffen interessiert hatte und sich dann nach einer Weile auch damit ausgekannt hatte.

Einige Sekunden, nachdem ich nochmals geklingelt hatte, schlurfte Billy in den Verkaufsraum. Es war ein paar Jahre her, dass ich ihn zum letzten Mal gesehen hatte und diese Jahre hatten ihm nicht gut getan. Die paar grauen Haare, die ihm noch geblieben waren, lagen fettig an seinem Kopf an. Die schiefe Nase war kein bisschen hübscher geworden und die Zähne waren noch gelber geworden von seinem Tabak. An seiner linken Hand fehlte immer noch der kleine Finger. Früher hatten Marc und ich immer darüber gerätselt, wie er ihn verloren hatte.

Billy hatte eine qualmende Zigarette im Mundwinkel, die auf und ab wippte, als er sprach.

„So", meinte er mit seiner kratzigen Stimme, die mir einen Schauer über den Rücken jagte, „wie kann ich weiterhelfen?" Ich holte tief Luft.

„Ich brauche eine Schusswaffe, nicht zu schwer und nicht zu groß. Sie muss gut auf kleine Entfernungen sein und der Rückschlag darf nicht zu heftig sein", brachte ich hervor. Billy betrachtete mich misstrauisch aus seinen eng stehenden Augen.

„Na, dann komm mal mit." Er führte mich zu einer Wand, die über und über mit Handfeuerwaffen übersäht war. Nach und nach nahm er ein paar herunter und reichte sie mir. Ich überprüfte Hahn und Abzug und streckte sie einmal am ausgestreckten Arm von mir um zu sehen, wie gut sie in der Hand lagen.

Die erste war eine etwas Größere, bei der ich sofort merkte, dass sie mir zu schwer war. Bei der zweiten war ich der Meinung, dass der Hahn klemmte, die dritte jedoch fand ich gut. Sie war klein und handlich genug, jedoch noch groß genug, dass sie auch einem Mann wie meinem Vater Angst machen konnte. Ich probierte zur Sicherheit noch ein paar andere, dann bat ich darum, die dritte beim Schießen testen zu dürfen. Billy brummte und ging mit mir zum Schießstand, der sich an den Verkaufsraum anschloss. Die Pistole schoss leidlich genau. Für meine Zwecke würde sie reichen.

„Die nehme ich", teilte ich Billy mit und wir gingen zurück in den Verkaufsraum. Ich schluckte einmal trocken. Jetzt käme der schwierige Teil.

„Da gäbe es noch eine Sache", meinte ich zögernd, „die Waffe darf nicht auf mich angemeldet sein..." Billys Augen verengten sich.

„Dir ist klar, dass das illegal ist, oder?", fragte er lauernd. Ich nickte. Billy musterte mich nochmal genau von oben bis unten. Dann blitzte etwas in seinen Augen.

„Moment mal, du bist doch Brooks' Kleine!", stellte er fest. Ich unterdrückte ein Keuchen. Er hatte mich erkannt! Verzweifelt blickte ich auf den Boden. Ich hätte irgendwo anders hingehen sollen. Doch ich wusste nicht, wo man ansonsten Waffen kaufen konnte, ohne dass sie angemeldet wurden.

„Ja", gab ich zu. Mein Herz schlug hart gegen meine Rippen. Was würde mein Vater tun, wenn er erfuhr, dass ich mir eine Waffe gekauft hatte? Dass er es erfuhr stand außer Frage, er und Billy kannten sich gut genug, dass Billy ihm erzählen würde, dass seine Tochter bei ihm gewesen war.

„Weiß dein Vater, dass du hier bist?", knurrte Billy mich an. Ich zog die Schultern hoch.

„Nein" Ich konnte nicht einfach aufgeben, daher fügte ich hinzu: „Bitte, verraten Sie ihm nicht, dass ich hier war! Bitte, er reißt mir den Kopf ab!" Billy sah mich nachdenklich an.

„Wofür brauchst du denn die Waffe?", wollte er wissen. Sollte ich lügen oder sollte ich ihm die Wahrheit sagen? Würde er mir die Wahrheit glauben?

„Ich...", ich atmete tief durch, „ich bin öfter nachts unterwegs. Ich brauche etwas zur Selbstverteidigung." Das war zumindest nicht vollständig gelogen. Seit ich im Dirty Love arbeitete, war ich öfter im Dunkeln unterwegs, als mir lieb war. Billy starrte mich einige Sekunden an, in ihm arbeitete es. Ich betete, er würde mir glauben.

„Also schön, dein Vater erfährt nichts von mir", meinte er schließlich. Gerade als ich schon aufatmen wollte, setzte er noch hinterher: „Allerdings schuldest du mir dann einen Gefallen..." Ich runzelte die Stirn. Das gefiel mir nicht. In unserem Viertel hatten Gefallen eine große Bedeutung. Wenn du jemandem einen Gefallen schuldest, konnte dieser ihn jederzeit einfordern. Weigerst du dich, warst du zum Abschuss freigegeben. Andererseits, was hatte ich für eine Wahl?

„In Ordnung" Billy grinste mich an und reichte mir die Hand. Ich hatte ein ungutes Gefühl bei der Sache, trotzdem schlug ich ein.

Billy gab mir einen Rabatt auf die Waffe, zumindest behauptete er das und ließ das mit der Anmeldung auf meinen Namen unter den Tisch fallen. Als ich mich zum Gehen wandte, rief er mich nochmal zurück.

„He, Kleine, was macht eigentlich dein Bruder jetzt?" Seine Augen musterten mich mit unergründlichem Blick. Mein Atem stockte.

„Ich weiß es nicht. Ich habe seit zwei Jahren nichts mehr von ihm gehört...", erwiderte ich fast wahrheitsgemäß.

„Falls du ihn mal wiedersiehst, sag ihm, dass er mir noch eine Tierarztrechnung schuldet!" Billys Stimme grollte. Mir stieg das Blut in den Kopf, als ich an die alte Geschichte erinnert wurde. Ich nickte und verließ dann, so schnell ich konnte, seinen Laden.

The dark inside meWhere stories live. Discover now