Get lost!

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„Stopp!" Mary stand in der Tür zu Küche. Ihre linke Hand war zur Faust geballt, die Rechte umklammerte ein Küchenmesser. Tyler stand hinter ihr.

„Geh weg von ihr!", verlangte Mary. Vater rührte sich nicht. „Ich sagte, geh weg von ihr!", schrie sie nochmal schrill. Mein Vater wandte seinen Blick wieder zu mir. Voller Furcht blickte ich zu ihm hoch. Er musterte mein Gesicht, dann fiel sein Blick auf seine rechte Hand, wo an den Knöcheln mein Blut trocknete. Erst jetzt schien er zu bemerken, was er getan hatte. Langsam rollte er seinen Gürtel auf. Seine Schultern sanken nach unten. Er machte ein paar unsichere Schritte auf die Wohnungstür zu.

„Mary...", setzte er an, doch sie unterbrach ihn.

„Verschwinde aus dieser Wohnung!", fauchte sie ihn an. Er zuckte zusammen und drehte sich um. Als er die Tür hinter sich ins Schloss zog, beeilte sich Mary, sie abzuschließen. Ich wollte sie darauf hinweisen, dass Vater einen Schlüssel hatte, doch mein Mund war voller Blut und ich bekam kaum Luft.

Vorsichtig kniete Tyler sich neben mich. Er hielt mir ein Taschentuch hin und ich nahm es dankbar. Zwei Taschentücher später wurde der Blutschwall langsam weniger. Dafür hatte ich angefangen zu schluchzen. Ausnahmsweise musste Mary die Vernünftige sein.

Sie nahm mich mit ins Bad, wo ich mich auf einen Hocker setzte und sie mir mit einem Waschlappen sanft das Blut vom Gesicht wusch. Dabei redete sie beruhigend auf mich ein und untersuchte mein Gesicht.

Als das letzte bisschen abgewaschen war, versiegten auch langsam meine Tränen und Mary hatte eine Diagnose. Sie glaubte nicht, dass meine Nase gebrochen war, war sich aber nicht sicher, da sie bereits fast auf doppelte Größe angewachsen war. Mein linkes Auge begann schon zuzuschwellen und würde morgen richtig hässlich aussehen. Aber ansonsten war nichts Schlimmeres passiert.

Irgendwie landeten wir alle in meinem Bett. Tyler war, als Mary mit mir im Bad gewesen war, bei Lily und David im Zimmer gewesen und hatte sie beruhigt. Trotzdem wollten sie mich unbedingt nochmal sehen, bevor sie schlafen konnten. So saß ich schließlich auf meinem Bett, umringt von meinen Geschwistern. Es war fast schon ein Wunder, dass wir überhaupt alle auf mein Bett passten. Lily verlangte laut nach einer Geschichte und so holte Mary schließlich Lilys Lieblingsbuch. Es handelte von zwei Geschwistern und einem magischen Baumhaus, mit dem man in die Vergangenheit reisen konnte und ich hatte es damals bekommen, als ich mit sieben lesen gelernt hatte. Ich konnte nur undeutlich reden und so las Mary ein paar Seiten daraus vor. Es dauerte nicht besonders lange, bis ich eingeschlafen war.

Am nächsten Morgen konnte ich nur noch mit dem rechten Auge etwas sehen, das linke war vollständig zugeschwollen, ebenso wie meine Nase. Als ich mich im Spiegel betrachtete, wurde mir schlecht. Was sollte ich nur Ryan sagen? Würde er mich noch hübsch finden, wenn ich so aussah? Ich schüttelte kurz unwillig den Kopf über meine Gedanken. Was für eine Frage, natürlich nicht...

Ich spielte mit dem Gedanken, einfach nicht zur Schule zu gehen, doch ich hatte Angst, zu viel zu verpassen. Die Abschlussprüfungen rückten immer näher. Selbst die Lehrer strahlten teilweise schon Panik aus.

In der Schule quälte ich mich durch geschockte Gesichter zu meinem Platz. Selbst mein Lehrer schaute kurz irritiert, als er mich sah. Die ganzen beiden Stunden pochte mein Kopf und ich konnte mich kaum konzentrieren. Als ich am Ende aus dem Raum verschwinden wollte, rief mich mein Physiklehrer zu sich.

„Elisabeth, ist alles in Ordnung?", fragte er mich besorgt. Ich zuckte nur mit dem Schultern, was sollte ich ihm schon sagen.

„Bin auf der Treppe gestolpert", log ich und drehte mich zum Gehen.

Ryan passte mich auf dem Gang ab. Wir hatten als nächstes Englisch, doch statt mit mir in den Raum zu gehen, hielt er mich fest und zog mich einige Meter von den anderen Schülern weg. Seine Stirn war gerunzelt, seine Augen blickten mich besorgt an. Er schien jedoch nicht überrascht, irgendjemand musste ihn vorgewarnt haben.

„Oh mein Gott, Liz, wer war das?", fragte er mich. Er hob die Hand und wollte mein Gesicht berühren, doch ich zuckte unwillkürlich vor ihm zurück. In seinen Augen konnte ich sehen, wie sehr in das verletzte.

„Niemand, gegen den du etwas ausrichten könntest...", wich ich seiner Frage aus. Ryan nahm mein Gesicht fest in seine beiden warmen Hände und zwang mich, ihm in die Augen zu sehen.

„Liz, bitte, rede mit mir!", flehte er mich an. Ich schluckte, Tränen traten mir in die Augen. Ich wollte es nicht aussprechen. Als ich auch nach einigen Sekunden noch schwieg, ließ Ryan mein Gesicht wieder los. Er seufzte, als ich meinen Blick senkte.

„Verdammt, Liz, es muss doch irgendetwas geben, das ich tun kann", stöhnte er, „sag mir seinen Namen und ich schwöre dir, der Kerl wird bereuen, was er dir angetan hat!" Fast hätte ich geschmunzelt über seinen Schwur. Gegen meinen Vater würde auch er nichts ausrichten können. Außerdem musste ich das selbst auf die Reihe kriegen.

Ryan fuhr sich verzweifelt durch die Haare. Dann trat er ganz nah an mich heran und legte seine rechte Hand an meine Wange. Diesmal war seine Berührung federleicht.

„Es bringt mich um, dich so zu sehen!", flüsterte er voller Inbrunst und wieder stiegen mir Tränen in die Augen. Bevor ich selbst wusste, was ich tat, hatte ich auch einen Schritt nach vorn gemacht und schloss meine Arme um ihn. Mein Gesicht vergrub ich an seiner Schulter. Es war beruhigend seinen Geruch einzuatmen. Auch Ryan schlang seine Arme um mich und drückte mich sanft an sich.

Ein einziger Schluchzer schüttelte mich, dann zwang ich mich, mich zu beruhigen. Ich wusste, so konnte es nicht weitergehen. Heute Nachmittag würde ich zum „Fire Gun" gehen. Diese Entscheidung jagte mir beinahe ebenso viel Angst ein, wie der Gedanke an den letzten Abend.

„Halt mich fest!", flüsterte ich Ryan verzweifelt zu.


Entschuldigung, dass es so lange gedauert hat. Ich hoffe, es gefällt euch trotzdem. Voten und kommentieren nicht vergessen ;)

The dark inside meWhere stories live. Discover now