Finns Geschichte

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Das erste, an das ich dachte, als ich aufwachte, war Ryan, der im Wohnzimmer auf dem Sofa lag. Augenblicklich verzog sich mein Mund zu einem Lächeln. Ich spähte auf die Uhr. Es war fast sieben Uhr, wahrscheinlich würde Finn bald aufwachen. Ich schwang die Beine aus dem Bett und setzte mich auf. Mary und Lily schliefen beide noch friedlich. Keine von ihnen wusste bis jetzt von unserem Überraschungsgast.

Ich ging in die Küche, nicht ohne davor kurz ins Wohnzimmer zu schauen. Ryan lag auf dem Bauch, sein rechter Arm hin hinab und sein anderer war um das Kissen geschlungen. Die Decke war halb hinab gerutscht und enthüllt seinen kräftigen Rücken. Ich wusste selbst, dass Schönheit subjektiv ist, doch ich war mir sicher, noch nie einen so schönen jungen Mann gesehen zu haben. Ich merkte, dass ich schon wieder spannte und wandte mich schnell ab.

In der Küche kochte ich etwas Haferbrei für Finn und horchte dabei auf Geräusche aus dem Zimmer der Jungs. Ziemlich pünktlich um viertel nach sieben hörte ich ein Wimmern. Noch bevor ich ihn holen konnte, öffnete sich die Tür des Jungszimmers und David tappte barfuß und im Schlafanzug heraus. Er hielt Finn auf seinen Armen und gab ihn mir. Ich küsste David zum Dank auf die Stirn und schickte ihn nochmal ins Bett.

Mit Finn auf dem linken Arm drehte ich den Herd runter und füllte den Haferbrei in einen tiefen Teller. Ich süßte mit etwas Honig und Rosinen und setzte mich dann mit Finn auf die Küchenbank. Ich wartete kurz, dass der Haferbrei abkühlte und wiegte dabei Finn hin und her. Er jammerte immer noch ein bisschen und ich summte leise ein Lied für ihn.

Als ich aufblickte, stand Ryan im Türrahmen. Er trug immer noch nur eine Boxershorts und seine Haare standen in alle Richtungen ab. Er sah ziemlich geschockt aus, seine Augen waren groß und rund, sein Mund hatte sich zu einem "Oh" geformt.

„Ist das deiner?", er zeigte auf Finn, „scheiße, ich wusste nicht, dass du ein Kind hast!" Ich schaute verwirrt zwischen ihm und Finn hin und her.

„Wie zur Hölle kommst du auf den Scheiß?", fragte ich nach und legte all meine Verwirrung in die Frage. Ryan schien aus dem Konzept gebracht durch meine Frage. Verlegen fuhr er sich durchs Haar.

„Ist er dein Kind oder nicht?", hakte er trotzdem nach. Ich schüttelte den Kopf.

„Finn ist mein Bruder..."

„Ich dachte nur... weil, deine anderen Geschwister...", Ryan stockte. Ich glaubte zu wissen, was er sagen wollte, doch ich wollte, dass er es aussprach. Ryan holte tief Luft und setzte nochmal neu an.

„Ich kenne deine anderen Geschwister und dich, und klar, ihr habt alle ein bisschen Farbe, aber Finn ist... ok, ich sag es einfach, er ist schwarz!" Ich schnaubte.

„Und was genau soll das jetzt heißen?" Meine Stimme war kalt. Ryan ließ den Kopf hängen.

„Tut mir leid, ich wusste einfach nicht, wie ich das ausdrücken soll... Dann ist er einfach noch ein Bruder von dir?" Ich wiegte den Kopf hin und her. Wollte ich Ryan schon davon erzählen?

„Nein, zumindest nicht ganz. Er ist mein Halbbruder..." Ryan runzelte die Stirn. Ich seufzte, dann begann ich, Finns Geschichte zu erzählen.

„Mein Vater hatte eine Affäre. Ich habe nie erfahren, wie die Frau hieß. Jedenfalls wurde sie schwanger und brachte Finn auf die Welt. Meine Mutter und ich, sowie der Rest meiner Geschwister hätten nie von ihm erfahren sollen, aber dann starb sie bei einem Autounfall. Das hat jedenfalls mein Vater erzählt, als er mit Finn auf dem Arm vor der Tür stand. Meine Mutter hätte ihn fast umgebracht... Sie hat Finn gehasst. Ich mochte ihn am Anfang auch nicht, trotzdem blieb es irgendwie an mir hängen, mich um ihn zu kümmern."

Schweigen erfüllte die Küche. Ryan starrte mich stumm an und ich starrte zurück. Irgendwann setzte er sich neben mich auf die Küchenbank. Ich beschloss, dass der Haferbrei genug abgekühlt war und begann, Finn damit zu füttern. Er hörte auf, zu jammern und aß gierig einen Löffel nach dem anderen.

„Ich glaube, wir könnten uns echt damit messen, welches unserer Leben beschissener ist", meinte Ryan schließlich. Ich erlaubte mir ein ironisches Lachen. Was wusste er schon von beschissenen Leben? Er wusste ja gerade mal von der Hälfte des Eisberges, wenn überhaupt...

„Let's compare scars, I'll tell you whose is worse", zitierte ich aus einem Lied von Rise against. Ryan lachte erstaunt auf.

"Ich wusste gar nicht, dass du Rise against hörst...", meinte er. Ich seufzte. Wenn ich schon dabei war, konnte ich ihm auch noch den Rest meiner verkorksten Familiengeschichte erzählen.

„Ich habe noch einen Bruder, Marc, mit ihm habe ich jegliche Band gehört, die Rock und Punk gespielt hat." Ryan schüttelte den Kopf und warf gespielt verzweifelt die Hände in die Luft.

„Noch ein Bruder... Sollte ich sonst noch etwas über deine Familie wissen?" Er zwinkerte, doch ich wusste, dass er es auch zum Teil ernst meint. Er spürte, dass ich noch mehr zurückhielt. Ich schwieg und konzentrierte mich auf Finn. Ich überlegte, was ich sagen könnte, um Ryan zu erklären, dass ich es nicht böse meinte, dass ich ihm nicht alles erzählte.

„Entschuldigung...", murmelte ich schließlich und blickte auf. Er drehte erstaunt den Kopf zur Seite.

„Wofür?"

„Ich weiß, ich bin nicht das offenste Mädchen, aber ich kann einfach nicht so schnell vertrauen. Vielleicht erfährst du irgendwann alles..." Ryan schloss kurz die Augen, dann legte er eine Hand auf meine Schulter.

„Hey, ich mag dich so, wie du bist. Dazu gehört halt auch, dass du nicht ganz so schnell alles von dir preisgibst." Er lächelte mich beruhigend an und ich lächelte zurück.

„Guten Morgen" Marys Stimme riss uns auseinander. Ryan rückte von mir ab. Ich wurde rot, obwohl wir ja nichts gemacht hatten. Mary sah uns trotzdem leicht empört an. Sie hatte die Hände in die Hüften gestemmt.

„Aha, ich darf also nicht bei Louis schlafen, aber du darfst einen Typen einladen?" Sie zog eine Augenbraue nach oben. Ich räusperte mich kurz.

„Das ist etwas ganz anderes..."

The dark inside meUnde poveștirile trăiesc. Descoperă acum