Das Diner

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Etwa eine Stunde, nachdem mein Vater vor dem Grab meiner Mutter alle Würde verloren hatte, saßen meine Geschwister und ich endlich wieder im Trockenen. Außnahmsweise hatte ich einen Teil der eisernen Reserve meines Ersparten angezapft und war mit ihnen in ein kleines Diner gegangen. Ich hatte das Gefühl, wir brauchten alle ein bisschen Aufmunterung.

Besonders David und Lily hatten es nicht gut aufgenommen, dass nicht einmal unser Vater seine Fassung behalten hatte. Als er ins nasse Gras gefallen war, hatte Lily angefangen herzzereißend zu schluchzen und auch David hatte ziemlich vergeblich versucht, seine Tränen zurückzuhalten.

Ich starrte auf meinen Vater herab und obwohl ich mich wegen dem Gedanken schämte, wünschte ich mir in diesem Moment, ich würde ihn nicht kennen. Widerwillig trat ich dann doch vor und kniete mich neben ihn. Bereits die ganze letzte Woche hatte er noch mehr getrunken als jemals zuvor. Als er am Mittwoch von mir erfahren hatte, dass seine Frau in der Nacht gestorben war, hatte er jegliche Fassung verloren. Ich hatte Angst gehabt, er würde mich abermals schlagen, doch weder erhob er die Hand gegen mich, noch erwähnte er den Montagabend mit einem Wort. Stattdessen hatte er geflucht und geschrieen, dann hatte er bebend die Wohnung verlassen. In den folgenden Tagen hatte ich ihn nur gesehen, wenn er mitten in der Nacht vollkommen betrunken nach Hause gekommen war. Doch diesmal schien er wirklich viel zu viel getrunken zu haben. Der Alkoholgestank, den er ausdünstete, war kaum auszuhalten. Allerdings schien er einigermaßen gleichmäßig zu atmen. Vorsichtshalber fühlte ich an seinem Hals nach seinem Puls. Er hatte sich schon länger nicht mehr rasiert und die Haut fühlte sich seltsam teigig an. Doch unter der Haut schlug die Schlagader einigermaßen gleichmäßig.

Etwas hilflos blickte ich auf. Ich hatte keine Ahnung, was ich jetzt tun sollte. Wäre er so nach Hause gekommen, hätte ich ihm die Schuhe ausgezogen und ihn irgendwie auf das Sofa bugsiert, aber wir waren meilenweit von unserer Wohnung entfernt.

In diesem Moment bewegte mein Vater sich. Er hustete einmal und richtete sich dann halb auf. Sein Blick fiel auf mich.

"Liz, Liebling, bringst du mich ins Bett? Du bist doch ein braves Mädchen...", lallte er. Seine Augen hatten Schwierigkeiten, mein Gesicht zu fixieren. Ich seufzte.

"Einen Moment, bleib einfach hier sitzen, ich bring dich gleich nach Hause", murmelte ich. Mein Vater nickte und sackte im gleichen Augenblick wieder zur Seite weg. Tyler half mir, ihn in die stabile Seitenlage zu bringen, dann richtete ich mich wieder auf. Ich konnte die mitleidigen Blicke der anderen Leute spüren, auch wenn ich es nicht wagte, auch nur einem von ihnen in die Augen zu schauen, so sehr schämte ich mich.

Nicht einmal 10 Minuten später war die Beisetzung vorbei. Der Priester hatte es auf einmal sehr eilig gehabt und war danach sehr schnell verschwunden. Die anderen Gäste kamen nacheinander auf uns zu und sprachen ihr Beileid aus. Wir ließen alles über uns ergehen.

Als sich der Letzte zum Gehen gewendet hatte, kniete ich mich wieder neben meinen Vater. Er war inzwischen komplett durchgeweicht. Vorsichtig schüttelte ich ihn an der Schulte. Er brummte, schreckte dann hoch und holte instinktiv zum Schlag aus.

Tyler fing seinen Arm kurz vor meinem Gesicht ab. Zu zweit packten wir unseren Vater unter den Armen und halfen ihm auf die Beine. Er war nicht in der Lage, allein zu stehen, geschweige denn, allein laufen zu können, und so schleppten Tyler und ich ihn den gesamten Weg zur U-Bahn zwischen uns. Er dauerte lange und die teils missbilligenden, teil mitleidigen Blicke, die uns Passanten zuwarfen, ließen mich erröten.

In der Wohnung legten wir Vater auf das Sofa, zogen ihm die Schuhe aus und deckten ihn zu. Er war immer noch ziemlich nass, aber ich würde ihn ganz bestimmt nicht auch noch ausziehen. Sollte er sich doch eine Lungenentzündung holen, selber schuld...

The dark inside meUnde poveștirile trăiesc. Descoperă acum