Bronchialkarzinom

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Vor einem halben Jahr:

Eigentlich war es ein ganz normaler Schultag gewesen. Ich hatte mich wie immer bemüht, nicht aufzufallen und war wie immer ganz erfolgreich damit gewesen. Als ich jedoch nach Hause kam, lag meine Mutter im Bett, statt in dem Friseursalon zu sein, in dem sie eigentlich arbeitete. Sie war furchtbar blass und heiser, was sie jedoch nicht daran hinderte, sich alle fünf Minuten mit zitternden Fingern eine neue Zigarette anzustecken.

"Warum bist du zuhause geblieben?", fragte ich sie. Sie zog die Sofadecke enger um sich und antwortete heiser, sie könnte doch in diesem Zustand sowieso nicht ordentlich die Haare schneiden, ihre Chefin würde das schon verstehen. Ich rief im Salon an, um meine Mutter zu entschuldigen und zu erklären, dass sie krank sei.

Clara, die Chefin meiner Mutter, war zwar nicht erfreut, meinte aber, wenn meine Mutter in den nächsten Tagen wieder kommen würde, würde sie sie nicht entlassen.

Am nächsten Tag hatte meine Mutter Fieber. Ich rief erneut bei Clara an und sagte, wie leid es mir tue, ob sie Mutter vielleicht ein paar Tage geben würde, um wieder gesund zu werden. Das war am Donnerstag gewesen und Clara gab Mutter bis Montag frei, um sich wieder ordentlich auszukurieren.

Am Wochenende pflegte ich meine Mutter, machte ihr Suppe zum Essen und viel Tee, damit das Fieber wieder runterging und die Heiserkeit besser wurde. Aber meiner Mutter ging es einfach nicht besser. Sie war ständig heiser und hatte immer wieder stärkere Atemprobleme.

Am Montag hustete sie Blut. Inzwischen ging es ihr so schlecht, dass sie kaum noch aufstehen konnte, um auf die Toilette zu gehen. Mit der Hilfe von Tyler brachte ich sie ins Krankenhaus, während Mary auf David und Lily aufpasste.

An der Anmeldung hatten wir das erste Problem. Ich wusste, dass wir über Medicaid, eine staatliche Versicherung, versichert sein mussten, weil wir unter der Armutsgrenze lagen, aber eine Bedingung von Medicaid war, dass man zuerst so viel selbst bezahlen musste, wie viel man bezahlen konnte und jetzt wollte das Krankenhaus die Kontoverbindung von meiner Mutter wissen, die ich nicht kannte.

Mutter bekam inzwischen so wenig Luft, dass sie kaum noch bei Bewusstsein war. Tyler bekam Panik und schrie einen vorbeieilenden Pfleger an, er solle ihr endlich helfen. Ich war kurz davor, in Tränen auszubrechen. In dem Moment hatte die Frau an der Anmeldung ein Erbarmen mit uns und sagte, das könnten wir ja auch später noch machen. 

Zum Glück nahmen sie unsere Mutter sofort mit, denn inzwischen hatte sie wirklich das Bewusstsein verloren. Es war unglaublich, wie schnell plötzlich eine Liege da war und Pfleger, die sie drauf wuchteten. Tyler und ich hatten Mühe, ihnen zu folgen. Aber vor einem Raum, der vermutlich ein OP-Saal war, wurden wir aufgehalten, wir durften nicht mit hinein.

Tyler und ich saßen lange im Gang vor dem OP-Saal auf den Stühlen. Wir redeten kaum miteinander. Wir hatte beide furchtbare Angst um unsere Mutter. Wir hatten in den letzten Jahren nach und nach unseren Vater verloren, wir durften nicht auch noch unsere Mutter verlieren! Bestimmt waren die Zigaretten schuld. Ich hatte ihr gesagt, die tun ihr nicht gut, ich hatte sie gewarnt, wieder mit dem Rauchen anzufangen. Aber sie hatte gesagt, sie würde es ohne Glimmstengel nicht mehr aushalten. Was man ihr auch schlecht vorwerfen konnte, es war schwierig, mit unserem Vater zusammen zu leben...

Nach zwei Stunden kamen die Ärzte und Schwestern und Pfleger wieder heraus. Ein junger Arzt kam zu uns. Er musterte uns eingehend aus wässrigen blauen Augen. Um den Mund hatte er einen harten Zug. Verzweifelt sahen Tyler und ich ihn an.

"Sind sie die Kinder?", fragte er uns und wir bejahten. Aus irgendeinem Grund schickte er Tyler weg, vielleicht fand er, sah er noch zu jung aus.

"Es tut mir leid, Ihnen das sagen zu müssen, aber Ihre Mutter hat ein Bronchialkarzinom." An meinem Blick musste er erkannt haben, dass ich absolut keine Ahnung hatte, von was er redete.

"Ein Bronchialkarzinom wird auch Lungenkrebs genannt. Ihre Mutter hat einen Tumor in der Lunge." Ich brauchte ein paar Atemzüge, dann traten mir Tränen in die Augen.

"Scheiße!", fluchte ich. Mir war in dem Moment egal, was der junge Arzt von mir hielt.

"Gibt es irgendwelche Behandlungsmöglichkeiten? Wird sie wieder gesund?"

"Ihre Mutter hat bereits die ersten Symptome wie chronische Heiserkeit und Bluthusten gezeigt nicht wahr?", hakte er nach. Ich nickte.

"In diesem Fall ist es meistens zu spät für eine erfolgreiche Therapie. Erschwerend kommt bei Ihrer Mutter noch hinzu, dass es sich bei ihr um ein kleinzelliges Bronchialkarzinom handelt, was bei ihr auch noch inoperabel ist. Wir könnten eine Chemotherapie durchführen, allerdings würde das die Lebenszeit Ihrer Mutter nur um einige Monate verlängern und..." Er stockte.

"Was?", fragte ich mit tränenerstickter Stimme.

"Sie sind bei Medicaid versichert nicht wahr?" Ich konnte die Verachtung in seiner Stimme förmlich spüren. Ich nickte.

"Ich fürchte, diese Leistungen werden nicht abgedeckt."

Ein lautes Schluchzen entwich mir, ich konnte mich nicht mehr zusammenreißen.

"Wie lange...?" Ich konnte die Frage nicht zuende formulieren, ich wollte sie nicht einmal fertig denken.

"Es ist hoffnungslos, selbst mit viel Glück. In spätestens einem halben Jahr wird Ihre Mutter sterben."


Hey Leute, tut mir leid, dass es heute nur so ein langweiliger Flashback ist, aber ich dachte, ein bisschen Hintergrundgeschichte ist auch relativ wichtig. Hat ganz schön lange gedauert, das alles zu recherchieren, ich hoffe, es gefällt eucht.

The dark inside meWhere stories live. Discover now