Die Villa

24.5K 925 36
                                    

Es wurde ein lustiges Frühstück. Tyler betrachtete Ryan zwar immer noch etwas verkniffen, als er gegen halb neun verschlafen in die Küche trottete, doch er riss sich zusammen und hielt die Klappe. Wir machten Pancakes und tranken schwarzen englischen Breakfast Tea dazu, zumindest stand das auf der Verpackung.

Lily sah Ryan mit großen Augen an, als sie in die Küche kam, doch als er sie freundlich begrüßte, entspannte sie sich. David beachtete Ryan kaum, sondern überredete Lily, mit ihm ins Wohnzimmer zu gehen, um mit Finn zu spielen, den ich dort bei seinen Bauklötzchen abgesetzt hatte.

Mary versteckte sich hinter einem Buch, während ich mit Ryan die Pancakes machte. Wir machten das Radio an, was dazu führte, dass ich fast die Schüssel mit dem Teig heruntergestoßen hätte, als ich voller Übermut durch die Küche tanzte.

Ich hatte schon seit gefühlten Ewigkeiten nicht mehr so einen Spaß gehabt. Ich war traurig, als Ryan nach dem Frühstück, welches sich bis fast zehn Uhr morgens zog, meinte, er müsse langsam mal nach Hause gehen, er müsse noch auspacken.

Ich brachte ihn bis vor die Wohnungstür und lehnte sie hinter mir an. Ryan zog mich in eine feste Umarmung.

„Danke, dass ich heute Nacht hier schlafen durfte", flüsterte er mir ins Ohr und ich musste unwillkürlich lächeln.

„Ich fand es echt schön, dass du schon früher gekommen bist", antwortete ich. Er musste leise lachen.

„Ich glaube, meine Mutter wird mich umbringen, wenn sie morgen Nachmittag kommen...", er löste sich von mir und sah mir in die Augen, „aber das war es mir wert."

Mein Herz machte einen kleinen Hopser bei diesen Worten und ich schimpfte mich einen Dummkopf. Ich sollte mir keine Hoffnungen machen, ich würde doch bestimmt sowieso wieder von ihm enttäuscht werden.

„Also dann... bis Montag?", wollte ich mich verabschieden, doch er unterbrach mich.

„Wollen wir uns morgen nochmal treffen? Du könntest mir erklären, was in diesem verdammten Wirtschaftsbuch steht...", er zwinkerte und ich nickte.

In der Nacht musste ich wieder arbeiten, was dazu führte, dass ich am nächsten Tag immer noch müde war, als ich mich um ein Uhr mittags auf den Weg zu Ryan machte. Ohne einen besonderen Grund nennen zu können, war ich aufgeregt. Ich war noch nie bei Ryan gewesen. Ich stellte mir ein ähnlich großes Haus wie bei Kyle vor, doch als ich ankam wurden meine Erwartungen nochmals übertroffen.

Es war fast schon eine Villa, ein riesiges Stadthaus, mit eisernem Tor und einer hohen Mauer aus Natursteinen. Ich klingelte und das Tor schwang auf. Ich ging die gekieste Einfahrt hinauf und klingelte schließlich nochmal an der riesigen, zweiflügeligen Eingangstür.

Ein Hausmädchen in einem schlichten schwarzen Kleid öffnete mir und automatisch fühlte ich mich schäbig. Ihr Kleid sah so viel teurer aus als mein gesamter Klamottenfundus. Sie musterte mich mit einem etwas herablassenden Blick aus sorgfältig, aber zurückhaltend geschminkten Augen. Ihre Haare waren streng zurückgekämmt, um ihren Hals lag eine schmale Goldkette. Fast wäre ich eingeschüchtert zurückgewichen.

„Ähm... entschuldigung, ist Ryan da?", fragte ich. Ihr Miene wurde misstrauisch.

„Wer möchte das denn wissen?", fragte sie mich abweisend. Ich zog verunsichert die Schultern hoch.

„Maria, lass sie rein. Ich habe sie eingeladen", hörte ich Ryans Stimme aus dem Haus und das Hausmädchen, Maria, trat beiseite. Ich trat ein und mir stockte der Atem. Ich stand in einer Art Eingangshalle, dominiert von weißem Marmor (jedenfalls glaubte ich, dass es Marmor war) und an den Seiten begrenzt von zwei breiten Treppen. Ryan stand auf der Treppe links von mir, als ich eintrat und kam lächelnd auf mich zu.

„Wollen wir in mein Zimmer gehen?", fragte er mich und ich nickte nur stumm. Wie betäubt folgte ich ihm die Treppe hoch und einen breiten Flur entlang, in das Zimmer ganz hinten links. Ryans Zimmer war mit hellem Parkett ausgelegt und sah genau so aus, wie man sich das Zimmer eines fast erwachsenen Jungen vorstellte.

Es war in dunklem Blau und in Weiß gehalten. Über dem großen Bett erstreckte sich an der Wand ein Bild der Skyline von New York. Die Schrankwand war teilweise mit Spiegeln versehen, in denen ich meinen verunsicherten Blick sehen konnte. Wir setzten uns auf den flauschigen dunkelblauen Teppich und ich kramte das Buch aus meine Tasche. Als ich es aufschlug, spürte ich, wie meine Hände zitterten. Ich hatte gewusst, dass Ryans Familie reich war, aber ich hatte nie auch nur annähernd erahnen können, wie reich. Ich traute mich nicht, Ryan in die Augen zu sehen. Was glaubte ich eigentlich, wer ich war? Mir wurde schlecht bei dem Gedanken, dass er bei mir gewesen war und unsere kleine Wohnung gesehen hatte. Ich schämte mich für unser Viertel, für unsere finanzielle Situation, mein ganzes Leben, das so anders verlaufen war als seins.

Ryan musste bemerkt haben, dass ich stiller als sonst war. Vorsichtig griff er nach dem Buch, klappte es zu und legte es beiseite.

„Hey, ist alles in Ordnung?", fragte er und ich blickte endlich auf. War das wirklich nur Besorgnis in seinen Augen, oder war da nicht auch ein kleiner Teil Genugtuung? Freute er sich nicht auch ein kleines bisschen über meine Scham und meine Verzweiflung angesichts meiner ärmlichen Verhältnisse?

Mit einem Mal hatte ich das Gefühl, es nicht mehr hier aushalten zu können. Hier in dieser Luxusvilla, in der jedes Stück mehr kostete, als unsere gesamte Wohnung. Ich sprang auf und sah mich hilfesuchend um. Ich wusste selbst nicht, was in mich gefahren war, ich wusste nur, ich musste hier raus. Raus aus diesem Haus, raus aus diesem Viertel. Zurück dorthin, wo ich wohnte, wo ich hingehörte.

Ryan war auch aufgestanden. Er hatte seine Hände nach mir ausgestreckt, als wolle er mich beruhigen, oder mich festhalten. Er versperrte mir den Weg zur Tür, also nahm ich die nächst gelegene und fand mich in einem Bad wieder. Bevor Ryan mir folgen konnte, hatte ich schon abgeschlossen. Schweratmend stützte ich mich auf das Waschbecken und starrte mich im Spiegel an. Meine Augen blickten gehetzt und voller Schuldbewusstsein zurück. Was machte ich mir eigentlich vor? Ich würde nie gut genug für Ryan sein.

Einmal mehr fiel mir auf, wie sehr meine Gesichtszüge denen meiner Mutter ähnelten. Meine dunkle Hautfarbe hatte ich ganz klar von meinem Vater geerbt, doch die hohen, ausgeprägten Wangenknochen und die leicht mandelförmigen Augen meiner indianischen Großmutter, sowie das energische irische Kinn meines Großvaters hatte ich von ihr.

Was würde sie wohl sagen, wenn sie mich jetzt sehen würde? Scheiß dich nicht so ein, was erwartest du schon von ihm? Nein, das klang eher nach Marc, meinem Zwillingsbruder. Rede mit ihm, hätte meine Mutter gesagt, und du wirst sehen, es ist alles halb so schlimm... Wieder einmal spürte ich das Loch, dass ihr Verlust gerissen hatte.

Ich spritzte mir etwas Wasser ins Gesicht und atmete tief durch. Dann schloss ich die Tür wieder auf. Ryan stand vor der Tür, sein Gesicht war besorgt, seine Augenbrauen gerunzelt.

„Ich glaube, wir müssen mal miteinander reden", eröffnete ich ihm und setzte mich aufs Bett. Er nickte und setzte sich neben mich. Er schwieg, schien darauf zu warten, dass ich anfing, etwas zu sagen. Zuerst wusste ich selbst nicht so genau, was ich sagen sollte, doch im nächsten Moment sprudelte alles aus mir heraus.

The dark inside meWhere stories live. Discover now