Bridges

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Ich kam um fünf Uhr morgens nach Hause, mit schmerzenden Knöcheln, Blasen an den Füßen und völlig übermüdet. Ich hatte mir beim Bäcker ein Frühstücksbrötchen geholt, was ich noch schnell verputzte. Dann legte ich mich ins Bett.

Geweckt wurde ich von Lily, die mir ein selbst gemaltes Bild vor die Nase hielt und „Guck mal, Liz, was ich gemalt habe!" ins Ohr brüllte. Es dauerte kurz bis sich mein Blick scharf gestellt hatte. Ich wollte auf die Uhr schauen, doch das Blatt Papier füllte fast mein gesamtes Sichtfeld aus. Drauf zu sehen waren sehr viel grün, blauer Himmel und ein paar Strichmännchen.

„Oh, schön...", brachte ich heraus, „was ist das?"

„Das sind wir", antwortete Lily, „im Park, guck, da ist die Parkbank, wo du und Mary sitzen und Mary hält Finn, und dahinter steht Tyler und da sind David und ich." Ich blinzelte ein paar mal. Langsam konnte ich wieder richtig sehen. Tatsächlich, sie hatte uns alle gemalt.

Mary stand in der Tür zu unserem Zimmer. Sie lächelte entschuldigend.

„Tut mir leid, ich wollte dich länger schlafen lassen, aber Lily wollte dir unbedingt ihr Bild zeigen."

„Ist schon in Ordnung", murmelte ich, dann sah ich endlich auf die Uhr. Es war halb zwölf. Immerhin hatte ich sechs Stunden Schlaf bekommen, das musste reichen für heute.

Der Tag verlief ruhig. Vater tauchte nicht auf, wer wusste schon, wo der wieder steckte. Mary traf sich am Nachmittag mit Louis und tauchte erst am frühen Abend wieder auf. Ich hatte sie gebeten, auf die anderen aufzupassen, denn ich musste wieder zur Arbeit.

Diesmal kam ich schon um 7 Uhr. Marion hatte mich in ein paar ruhigen Minuten einen Tequila Sunrise mixen lassen, hatte probiert und mit versteinertem Gesicht alles in die Spüle gekippt. Dann hatte sie mir angeboten, sich heute etwas früher mit mir zu treffen, um das Mixen zu üben.

Es folgte eine Stunde voller Schweiß, Tränen und Geschimpfe von Marion wie unfähig ich wäre, doch am Ende konnte ich die wichtigsten Cocktails einigermaßen gut mixen. Die nächste Stunde verbrachten wir damit, uns fertig zu machen und ich lernte ein paar Grundlagen des Schminkens von Elly. Sie wirkte heute irgendwie fahrig, aber als ich sie fragte, ob alles in Ordnung sei, winkte sie nur ab.

Zwischen neun und fünf Uhr war arbeiten angesagt. Wie schon am Abend zuvor wurde es erst gegen elf Uhr richtig voll. Noah Parker hingegen ließ sich heute nicht blicken. Am Ende der Nacht kannte ich die meisten der Mädels mit Namen, auch wenn ich Olivia und Avery immer verwechselte.

Auch am Sonntagabend musste ich dort aufkreuzen und auch wenn ich schon um vier Uhr nachts nach Hause kam, wünschte ich mir am Montagmorgen nach zwei Stunden Schlaf, ich hätte meinen Job im Supermarkt nicht verloren.

Trotzdem freute ich mich in der dritten Stunde doch, in die Schule gekommen zu sein. Ryan war da und er kam direkt auf mich zu, als er mich sah. Ich hatte ihn das gesamte Wochenende über nicht gesehen, aber erst jetzt stellte ich fest, dass ich ihn, zumindest ein bisschen, vermisst hatte. Er umarmte mich zur Begrüßung. Ich versteifte mich kurz, das war neu, dann umarmte ich ihn zurück. Es fühlte sich gut an, wie sich seine muskulösen Arme um meinen Körper legten, besser als ich gedacht hätte.

Er erzählte mir von seinem Wochenende und fragte mich über meins aus, bis Ms. Hobbs das Zimmer betrat, und ignorierten die Blicke der Schüler um uns herum. Statt sich an seinen angestammten Platz hinter mir zu setzten, blieb Ryan neben mir sitzen, als der Unterricht begann.

Ms. Hobbs fing ein neues Thema an und ich versuchte, mich auf den Unterricht zu konzentrieren, doch ich konnte mich nicht davon abhalten, ab und zu Ryan einen Blick zuzuwerfen. Doch sobald er seinerseits aufsah, wandte ich schnell meinen Kopf wieder nach vorn.

Das neue Thema war ein neues Buch, eines von John Green. Ms. Hobbs schien ganz vernarrt in den Autor zu sein und stellte uns das Buch begeistert vor. Es hieß "Looking for Alaska" und handelte von einem Jungen, der auf ein Internat kommt und dort neue Freunde findet, unter anderem das Mädchen Alaska. Das erste Kapitel lasen wir im Unterricht und ich fand es tatsächlich ganz gut. Es machte Lust, weiter zu lesen.

Dann meinte Ms. Hobbs, wir sollten die nächsten zehn Kapitel bis nächste Woche lesen und die meisten Schüler ächzten. Sie lächelte nur dünn und fing an Blätter auszuteilen. Auf den Zetteln standen Themen für die Bearbeitung des Buches.

„Ich dachte mir, wir machen zur Abwechslung mal etwas Partnerarbeit", meinte sie, als sie wieder vorn stand. Eine der Cheerleaderinnen meldete sich.

„Dürfen wir uns unseren Partner selbst aussuchen?", fragte sie nach und Ms. Hobbs nickte. Früher hatte ich bei solchen Situationen immer Bauchweh bekommen. Ich war für die meisten anderen Schüler unsichtbar, was ich normalerweise gut fand, aber für Partnerarbeiten war es kontraproduktiv. Die anderen Schüler hatten immer schon einen Partner, bevor ich mir überhaupt überlegt hatte, wen ich fragen könnte.

Doch heute musste ich nicht lange überlegen, denn ich wurde von rechts angestupst. Ryan lächelte mich an und hob fragend eine Augenbraue.

„Die letzte Partnerarbeit hat doch ganz gut geklappt, wollen wir es nochmal versuchen?", fragte er mit einem Zwinkern und ein Kribbeln schoss mir in den Bauch.

Unwillkürlich bewegten sich meine Mundwinkel nach oben und ich nickte.

„Okay"

The dark inside meWo Geschichten leben. Entdecke jetzt