Nostalgie

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Den ganzen Tag spukten mir die Worte im Kopf herum. Ich will dich zu Kyles Party einladen, hatte er gesagt. Für einen winzigen Moment hatte ich mich gefreut. Ich war noch nie zu einer Party eingeladen worden, könnte daran liegen, dass ich kaum noch Leute kannte, mit denen ich mehr als ein paar Worte auf dem Schulkorridor wechselte. Doch dann wurde mir klar, dass hier Ryan vor mir stand. Der Badboy der Schule, das Arschloch, das noch vor wenigen Stunden erst meinen Bruder verprügelt hatte.

Als ich ihm sagte, dass ich sowieso keine Zeit hätte, verschwand das Grinsen. Er verzog seinen Mund wie ein kleiner verzogener Junge, der sein Lieblingsspielzeug nicht bekommt. Er hatte argumentiert, dass ich ja noch gar nicht wüsste, wann die Party wäre, aber ich zuckte nur mit den Schultern und begann wieder, die Milchtüten in das Kühlregal einzusortieren. Ich musste weiter arbeiten, sonst würde mein Chef mich wieder zusammenscheißen. Ryan schien daraufhin nicht zu wissen, was er tun sollte, anscheinend war er es nicht gewöhnt, ignoriert zu werden. Eine Weile stand er neben mir und sah mir beim Arbeiten zu, während ich ihn weiterhin ignorierte, so gut es eben ging. Dann sagte er mir trotzdem Zeit und Ort, falls ich doch kommen wollen würde. Ich schnaubte einmal belustigt, ich würde es so schnell wie möglich vergessen.

Aber irgendwie konnte ich es nicht vergessen. Am Samstagabend würde die Party in einem etwas besseren Viertel steigen. Natürlich hatte ich noch nichts vor. Wahrscheinlich würde ich das Wochenende nutzen, um auf die nächsten Klausuren zu lernen und darüber nachzudenken, wie wir die Schulden unseres Vaters bezahlen konnten.

Um halb Acht Uhr hatte ich endlich Feierabend und konnte nach Hause gehen. Als ich die Wohnungstür öffnete, stieg mir ein Geruch in die Nase, den ich schon lange nicht mehr gerochen hatte. Jedenfalls nicht, wenn ich nach Hause kam. Mein Vater stand in der Küche und machte Pfannkuchen. Meine Geschwister saßen am Tisch und aßen, was das Zeug hielt. Kurz blieb ich in der Tür stehen und genoss diesen Anblick, wie von selbst verzog sich mein Mund zu einem überraschten Lächeln. Vater hatte seit Jahren kein Abendessen mehr gemacht.

Da entdeckte Lily mich. Sie schrie freudig auf, hüpfte von der Bank, lief auf mich zu und umarmte mich. Währenddessen wurde ich auch von den anderen Mitgliedern meiner Familie begrüßt.

"Hey Liz, du musst auch ein paar Pfannkuchen essen. Die sind so lecker." David war hellauf begeistert. Immer noch lächelnd stellte ich meine Tasche ab und setzte mich an den Küchentisch. Sofort bekam ich von meinem Vater einen frischen Pfannkuchen direkt aus der Pfanne auf den Teller. Ich machte etwas Apfelmus darüber und probierte. In meinem Mund breitete sich der Geschmack meiner Kindheit aus. Fast wären mir Tränen in die Augen gestiegen vor lauter Nostalgie. Dieser Geschmack nach frischen Pfannkuchen mit Apfelmus, mein Vater in der Küche, meine Geschwister um mich herum, es war fast zu schön um wahr zu sein. Nur meine Mutter fehlte, doch das blendete ich erfolgreich aus.

Später saßen Vater, Tyler und Mary im Wohnzimmer und sahen irgendeine Talkshow im Fernseher. David und Lily waren schon ins Bett gebracht worden, Finn hatte schon im Bett gelegen, als ich nach Hause gekommen war. Ich saß am Küchentisch und arbeitete den Stapel an Hausaufgaben ab, der sich die Woche über angesammelt hatte. Das Küchenradio lief leise nebenher und mir war ganz warm im Bauch.

Gerade im Fazit meiner Analyse von "The City in the Sea" fiel ein Schatten auf meinen Block. Ich schaute auf und Mary stand in der Tür. Ich lächelte sie an und sie setzte sich neben mich.

"Papa und Tyler schauen jetzt irgendeinen Actionfilm." Sie schien noch weiter reden zu wollen, stoppte sich aber selbst, bevor ein Wort ihre Lippen verlassen konnte. Ich wusste, dass ich nur lange genug warten musste, dann würde sie schon irgendwann mit der Sprache herausrücken.

Ich hatte Recht. Als ich den Punkt hinter meinen letzten Satz setzte, fing Mary wieder an zu reden.

"Liz, findest du, dass ich hübsch aussehe?" Ich blickte auf. Sie sah verlegen auf ihre Hände.

"Oh Mary, du bist das schönste Mädchen, das ich kenne! Wieso fragst du mich das?" Sie druckste ein bisschen herum.

"Und meinst du, Tyler fände es sehr schlimm, wenn ich einen Freund haben würde?" Nun wusste ich, woher der Wind wehte. Verständnisvoll grinste ich.

"Das geht Tyler ja wohl mal gar nichts an, ob du einen Freund hast oder nicht. Wie heißt er denn?", fragte ich neugierig.

"Na ja, wir sind noch nicht zusammen, nicht so richtig, aber vielleicht bald... und er hat mich auf eine Party eingeladen. Darf ich hingehen? Oh Liz, bitte, bitte, bitte!" Sofort war ich skeptisch. Mary war fast sechzehn. Wollte ich sie schon allein zu einer Party lassen? Traute ich ihr schon zu, alleine zurecht zu kommen?

"Wer macht denn die Party? Und wann überhaupt?", fragte ich sie vorsichtig.

"Sie ist bei Kyle, der Samstagabend morgen..."


Sorry, dass gestern kein Kapitel kam und heute nur so ein kurzes, hatte sehr viel zu tun. Morgen sollte aber wieder ein Längeres kommen. Schönen Sonntag euch noch.

P.S. Ich hoffe, ihr wart wählen ;)

The dark inside meWhere stories live. Discover now