Kapitel 53: Abschied

14 4 4
                                    

"If you could see me now" von The Script weckte uns am nächsten Morgen um 5:30 Uhr. Müde wälzte ich mich auf die andere Seite und kuschelte mich an Noah. "Aufstehen, Baby", sagte er und klang dabei so aufgeregt und fröhlich wie schon lange nicht mehr. "Jetzt geht es los!" Er drückte mir einen Kuss hinters Ohr. Ich quälte mich aus dem Bett, um mich kurz im Bad frisch zu machen.

Die nächsten zwei Wochen würde ich ohne Noah verbringen müssen, doch umso mehr freute ich mich auf die Zeit danach. Kanada! Wer hätte das gedacht. Natürlich hatte ich Angst vor dem Leben in einem vollkommen fremden Land, es würde eine enorme Umstellung werden. Doch trotzdem freute ich mich auf einen Neustart, bei dem ich meine Träume verwirklichen konnte. Zusammen mit Noah. Das alte Leben, die schlimmen vergangenen Wochen und Monate hinter uns lassen und endlich nach vorne schauen.

Wir packten die Sachen in den Kofferraum von Noahs kleinem Wagen. Ich würde Noah zum Flughafen fahren. "Bist du aufgeregt?", fragte ich.
"Klar, ein bisschen, aber trotzdem freue ich mich. Ich werde dich aber die nächsten zwei Wochen vermissen", gestand er leise. "Ich dich auch, Noah."

Wir kamen drei Stunden, bevor Noahs Flug gehen sollte, am Flughafen an. Wir setzten uns in ein kleines Café und aßen Donuts und Brezel. Anschließend gingen wir noch in eine Drogerie und Noah kaufte mir ein Parfum, welches nach Frühling duftete. Ich wollte ablehnen, doch er bestand darauf. "Dann wirst du mich die nächsten zwei Wochen jeden Tag bei dir tragen, wenn du es benutzt - obwohl uns in Wirklichkeit ein Ozean voneinander trennt."
"Ich trage dich sowieso bei mir", murmelte ich. "In meinem Herzen." Nichtsdestotrotz nahm ich das Parfum schließlich an. Danach begleitete ich meinem Freund zum Gate. Doch zuerst musste er durch eine Kontrolle. Das bedeutete, die Zeit war gekommen - wir mussten uns verabschieden.

Noah nahm mich ganz fest in die Arme und drückte mich an seine nicht mehr ganz so muskulöse Brust. Ich erschrak jedes mal wieder, wie stark er durch die Krankheit abgenommen hatte und wie sie ihn in Mitleidenschaft gezogen hatte. Trotzdem schmiegte ich mich fest an ihn.
"Ich werde dich so vermissen, Baby", flüsterte er.
"Geht mir genauso", erwiderte ich und Tränen stiegen mir in die Augen. Ich wusste, es war blöd und unsinnig zu weinen, da wir uns ja schon in zwei Wochen wieder sehen würden, doch ich war noch nie so lange von ihm getrennt gewesen. In der vergangen Zeit hatten wir jeden Tag zusammen verbracht.

"Pass auf dich auf, mein Schatz. Du gibst mir die Kraft, das alles überhaupt durchzustehen. Ich liebe dich - für immer."
"Pass du auch auf. Ich liebe dich auch für immer", erwiderte ich leise. Wir blieben noch wenige Minuten umschlungen stehen, bevor Noah sich langsam von mir löste, mir einen sanften Kuss auf die Stirn drückte und aus meinem Sichtfeld verschwand.

Wieder Zuhause angekommen kündigte ich als erstes meinen Vertrag bei der Uni. Im Internet recherchierte ich nach Schulen, welche Ergotherapeuten ausbildeten und sich in der Provinz befanden, in der wir vorübergehend bei Noahs Großtante und seinem Großonkel leben würden. Die Provinz hieß New Brunswick, und war eine offiziell zweisprachige Seeprovinz. Man sprach Englisch und Französisch, zwei Sprachen, die ich nahezu fließend beherrschte.

Bei meiner Recherche stieß ich auf die französischsprachige Université de Moncton und fand einige ansprechende Studiengänge. Ich wollte mich erst einmal in Kanada einleben und mich dann zum Wintersemester bewerben. Das war definitiv früh genug, denn zu meinem Ersparten würde Noah Geld beisteuern, indem er bei seinen Verwandten im Unternehmen arbeitete.

Anschließend schaute ich mir noch einige Bilder der Umgebung und Natur in New Brunswick an, und war vollkommen überwältigt. Es sah wunderschön und so anders aus als hier in Frankreich. Ich hatte ein bisschen Angst und würde sicher das ein oder andere hier vermissen. Ich würde einen Ozean getrennt von meinen Eltern, meiner Schwester, Oliver und Lola sein. Während ich mir sicher war, dass mir der Abstand zu meinen Eltern gut tun würde, vermisste ich Lola, Oliver und meine ältere Schwester schon jetzt. Ich war hier aufgewachsen und hatte selten die Landesgrenze, und noch nie den Kontinent verlassen. Nichtmal Marseille hatte ich häufig verlassen! Doch ich wusste, dass ein Neuanfang mir gut tun würde. Es war genau das, was ich brauchte, um meine Träume zu verwirklichen, und das, gemeinsam mit dem Mann, den ich über alles liebte, und somit überwog die Vorfreude.

Eric bat mich gegen Mittag, auf seine Tochter und Noahs Schwester Emely aufzupassen. Susan hatte ein Vorstellungsgespräch in einer Arztpraxis außerhalb der Stadt, und Eric wollte sie begleiten. Ich kam etwas früher bei Erics Haus an als geplant, und so bot er mir noch Kaffee und Kuchen an, beides nahm ich gerne dankend an. Eric, Susan, Emily und ich saßen gemeinsam am großen, runden Tisch, aßen, tranken und plauderten. Emily saß auf Susans Schoß und diese fütterte ihre kleine Tochter mit Kuchen. Diese hatte ihren ganzen Mund mit Schokolade beschmiert und kicherte. Susan blickte so liebevoll zu Emely, dass ich mir kaum vorstellen konnte, wie sie Noah und Lilly damals so schlecht behandelt haben konnte. Doch das war Vergangenheit, sie hatte sich geändert und ich musste aufhören, ihr die Taten, die sie vor Jahren begangen hatte, übel zu nehmen.

Eric und Susan würden erst in einer Stunde aufbrechen, und so setzte sich Eric mit seiner kleinen Tochter vor den Fernseher und ich blieb weiterhin mit Susan am Küchentisch sitzen und unterhielt mich mit ihr.
"Weißt du, ich habe viel zu spät erkannt, was wichtig ist im Leben", sagte Susan plötzlich und überraschte mich damit. "Ich bereue alles, was ich in der Vergangenheit getan habe, ich hoffe, das weißt du, Estelle." Ich nickte zögerlich. Susan griff nach meiner Hand, womit ich nicht gerechnet hatte, und so hätte ich sie beinahe reflexartig weggezogen, konnte mich aber gerade noch zusammenreißen. "Aber jetzt möchte ich alles richtig machen", fuhr sie fort. "Mit meiner kleinen Emely und Eric. Es kommt mir so vor, als habe das Schicksal gewollt, dass wir noch eine Tochter zur Welt bringen. Als zweite Chance sozusagen. Damit kann ich das Vergangene zwar nicht wieder gut machen, doch ich kann beweisen, dass ich mich verändert habe und es mir ernst ist. Mein Therapeut sagt, dass ich große Fortschritte mache. Und Noah.. Er ist so knapp dem Tode davon gekommen, es kommt mir vor, als hätten wir endlich die Chance auf einen Neustart bekommen und ..."
Ein lautes Geräusch ließ uns zusammen zucken und beendete abrupt unsere Unterhaltung. Ich drehte mich herum, mit dem Ziel, herauszufinden, woher das Geräusch kam. Mein Blick fiel auf Eric, er war kreidebleich und zitterte am ganzen Leib. Das Glas, welches er wenige Sekunden zuvor noch in seinen Händen gehalten hatte, lag nun, in tausend Scherben zerbrochen, auf dem Boden. Emely fing lauthals an zu weinen. Eric blickte wie betäubt in den Fernseher, und anschließend huschte sein Blick in unsere Richtung. Der Fernseher war zu leise gestellt, als dass ich etwas verstehen konnte. Das einzige, was ich sah, waren die Mundbewegungen der Nachrichtensprecherin. Ich trat zögerlich einen Blick auf Eric zu, die Angst kroch in mir hoch. Ich wollte wissen, was Eric so aus der Fassung gebracht hatte, doch gleichzeitig wollte ich es nicht wissen, denn Erics Reaktion machte mir enorme Angst. Etwas Schlimmes musste passiert sein.

-----------------------------------------
Ich bin wieder da! Ihr lieben.. Ich hoffe ihr verzeiht mir die lange Pause. Bin mal gespannt ob überhaupt noch ein paar Leser zurück geblieben sind. Wie gesagt, es tut mir sehr leid, aber ich konnte einfach nicht weiter schreiben. Doch nun habe ich die Phase überwunden und  werde das Buch sehr bald beenden.

Noah & Estelle - Jede Sekunde zähltWo Geschichten leben. Entdecke jetzt