Kapitel 1: Das Drama, das sich mein Leben nennt

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Eine sanfte Melodie weckte mich aus dem Schlaf. Zuerst begriff ich nicht, wo diese Melodie her kam, bis ich bemerkte, dass es mein Handy war, das da klingelte. Ich schaute auf die Uhr. Es war 6:30 Uhr morgens. Ein Blick auf dem Bildschirm verriet mir, dass es meine beste Freundin Lola war, die mich anrief. Mühsam griff ich zum Hörer.
"

Ich stehe vor deiner Tür, also mach gefälligst endlich auf", wies Lola mich ohne ein Wort der Begrüßung an.
"Dir auch einen schönen guten Morgen", murmelte ich, wütend darüber, dass sie mich aus dem Schlaf gerissen hatte. Ich stand auf, wobei mein Kater Zeus, der es sich auf meinem Bauch bequem gemacht hatte, herunterfiel. Er schaute mich mürrisch an und fauchte. Nur in meinem Nachthemd bekleidet trottete ich die Treppe runter und öffnete die Haustür. Dort stand meine beste Freundin top aufgestylt in ihrem pinken Minirock, der schwarzen engen Bluse und den neongelben Stilettos. Die blonden Haare hatte sie zu einem Zopf zusammengebunden, nur ihre pinke Haarsträhne fiel locker heraus. Trotz der originellen Farbkombination sah sie atemberaubend schön aus. Sie ging an mir vorbei in mein Zimmer, und ich folgte ihr und verkroch mich wieder in mein Bett.

"Wir gehen heute aus", bestimmte Lola, während sie sich sorgfältig ihre Fingernägel mit meinem Nagellack lackierte. Ich drehte mich zu ihr um, sodass Zeus, der es sich erneut auf mir bequem gemacht hatte, wieder herunter fiel und nun endgültig den Raum verließ.  

"Ich würde ja gerne, aber..."
"Kein Aber, Estelle!", unterbrach mich Lola. Sie funkelte mich wütend an.
"Du hast schon die letzten Male immer abgesagt, damit ist jetzt Schluss!" 
"Und dafür hast du mich jetzt geweckt, oder was?", fragte ich genervt. 
"Lenk nicht ab", konterte sie und schnaubte.
Ich stöhnte auf. "Ich würde wirklich gerne nochmal ausgehen, aber heute geht es nicht. Ich muss später mit meinen Eltern auf einen Kongress, da sind ganz wichtige Leute, Anwälte der Stars und so weiter. Mum will, dass ich vor meinem Studium solche Leute kennen lerne."
Meine beste Freundin bedachte mich mit einem tödlichen Blick. "Meine Güte, ich kann es nicht mehr hören! Studium hier, Studium da! Reicht es nicht, dass du das gesamte Lehrbuch im Vorraus auswendig gelernt hast?" 

Was nicht stimmte, ich hatte bis jetzt erst die erste Hälfte durchgearbeitet. "Du bist erwachsen", redete sie weiter auf mich ein. "Können deine Eltern dir nicht einmal einen Abend nach deinen Wünschen gönnen?"



                                      ~                                       

"Nein", war Moms einzige Antwort, als wir später am Esstisch saßen. "Uns hast du es zu verdanken, dass du eine gesicherte Zukunft und einen guten Job haben wirst, also zeig verdammt nochmal etwas Dankbarkeit." Ihre blonden, langen Haare, die meinen beinahe glichen, wippten auf und ab, während sie mich zornig anfunkelte. Sie knallte die Gabel auf den Teller und ihre grünen, animalischem Augen fixierten mich.
"Du kommst mit auf den Kongress. Hast du mich verstanden? Und außerdem möchte ich nicht, dass du dich mit so jemandem wie Lola abgibst, das weißt du doch." 
Ich verdrehte die Augen.
"Meinetwegen komme ich mit auf dem verdammten Kongress, aber lass Lola aus dem Spiel!", konterte ich, stets um eine ruhige Stimme bemüht. 
"Estelle Rose, in diesem Hause wird nicht geflucht. " Dass sie zuvor selbst geflucht hatte, ignorierte meine Mom geflissentlich. Wenn Mom mich mit meinem zweiten Namen ansprach, war sie in der Regel kurz vorm Explodieren. Ihre Finger, sowie ihre Lippe, zuckten verräterisch. Das merkte auch mein Dad, der die Diskussion bisher stumm verfolgt hatte.
"Monica, es reicht jetzt.", sagte er mit leiser, aber warnender Stimme. 
"Halt du dich daraus, Hubert", blaffte Mom meinen Dad an, der darauf nur mit den Schultern zuckte. Und das war meine Familie. Mom war eine Dramaqueen, die nur gestylt das Haus verließ und eher wie meine Schwester aussah als wie meine Mutter. Mein Dad, ein kleiner, kahlköpfiger Mann, der mir seine Größe vererbt hatte, hatte im Haus eher weniger zu sagen. Wie er es mit Mom aushielt, war mir ein Rätsel. Außerdem gab es noch meine ältere Schwester Josie. Sie wohnte schon eine Weile nicht mehr hier und war eine erfolgreiche Anwältin, wie auch ich es werden sollte. Wenn Mom mein Verhalten nicht passte, spielte sie den Josie-Joker aus. "Sieh dir an, was Josie erreicht hat", hieß es dann immer.
Meine Schwester wohnte jetzt mit ihrem Mann in einem gehobenen Viertel von Paris. Ich hingegen wohnte mit meinen Eltern in einem großen, schicken Haus in Marseille.
"Ich möchte, dass du dir neue Freunde suchst, Estelle. Freunde, die etwas aus ihrem Leben machen.", fuhr Mom in gemäßigterem Tonfall fort. "Lola ist kein guter Umgang für dich." 

Es gab gleich mehrere Gründe, weshalb meine Eltern Lola nicht leiden konnten. Meiner Meinung nach lächerliche Gründe. Zum einen lebte sie in einem weitaus kleineren (und gemütlicheren) Haus in Marseille, und zum anderen strebte sie eine Ausbildung an und kein Studium. Ihre pinke Haarsträhne und das Tattoo, das ihrem Arm zierte, machten es nicht einfacher, Mom von der Freundschaft zu überzeugen.
"Lola ist meine beste Freundin, und das wird so bleiben", fuhr ich sie an und schob meinen noch halb befüllten Teller zur Seite. Der Appetit war mir vergangen, und so ging ich hoch in mein Zimmer.

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So, mein erstes richtiges Kapitel ist fertig. Ich hoffe, es gefällt euch. Lasst doch gerne eine Rückmeldung da :)

Noah & Estelle - Jede Sekunde zähltWo Geschichten leben. Entdecke jetzt