Kapitel 24: Schulball

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Ich schritt die Treppe herunter, darauf bedacht, mit meinen Pumps nicht zu stolpern. Glücklicherweise schaffte ich es ohne Komplikationen zur Haustür und öffnete diese. Der Anblick, der sich mir bot, raubte mir den Atem. Vor mir stand Noah in einem dunkelblauen Anzug, der ihm wie angegossen passte und farblich genau mit meinem Kleid harmonierte. Es wirkte, als hätten wir uns abgestimmt. Darunter trug er ein weißes Hemd. Seine dunkelblonden, schulterlangen Haare hatte er nach hinten gebunden, und der Piercing, der seine Lippe zierte, passte absurderweise perfekt zum Gesamtbild. Ich hätte nicht erwartet, dass ein Piercing so gut in Kombination mit einem Anzug aussehen könnte, doch so war es.
"Du siehst wunderschön aus", sagte er leise und musterte mich.
"Das kann ich nur zurückgeben", erwiderte ich verlegen.

Meine Mutter räusperte sich nervös im Hintergrund und kam langsam näher. Sie musterte Noah einen Moment lang, bevor sie ihre schlanke Hand, die mit etlichen Ringen verziert war, ausstreckte und sagte: "Hallo Noah. Ich bin Monica. Ich glaube, wir hatten einen ziemlich schlechten Start."
Noah ergriff ihre Hand, sichtlich überrascht von ihrer Begrüßung. "Freut mich sehr, Sie kennenzulernen, Monica."
"Ich.. ich glaube, ich muss mich für mein Verhalten bei unserer ersten Begegnung entschuldigen", stammelte sie. Ich merkte, wie schwer ihr das Ganze fiel.
"Das macht nichts. Ich hoffe, wir können einen Neustart machen", erwiderte Noah höflich.
"Das hoffe ich auch. Enttäuschen sie mich nicht."
Schließlich stellte sich auch mein Dad vor.
"Passen Sie gut auf meine Tochter auf", wies er Noah an.
"Das werde ich", versprach dieser ernst. Erleichtert, dass alles mehr oder weniger gut geklappt hatte, machten wir uns auf den Weg zum Ball.

Die Schule war weihnachtlich geschmückt. Lichterkerzen zierten den Eingangsbereich, und das leuchtende Portraits eines Schneemanns begrüßte uns im Eingangsbereich. Wir bewegten uns in Richtung Eingang, als ich ein mir bekanntes Gesicht entdeckte. "Oliver!", sagte ich, freudig überrascht. Er drehte sich zu mir um. "Hey, Estelle. Was machst du denn hier?", fragte er lächelnd. "Wow, du siehst toll aus."
"Danke, das kann ich nur zurück geben", entgegnete ich. Und das war die reine Wahrheit. Der dunkle Anzug sah ausgezeichnet an ihm aus, und seine kurzen, blonden Haare hatte er hoch gegelt. "Ich bin mit Noah hier", beantwortete ich seine Frage. "Seine Schwester geht hier zur Schule."
Noah reichte erst Oliver, und schließlich seiner Begleitung, die ich zuerst gar nicht bemerkt hatte, zur Begrüßung die Hand.
"Das ist meine Freundin Miranda", stellte Oliver uns die Dame vor. Trotz ihrer hohen Absätze war ich ein ganzes Stück größer als sie. Die roten Haare fielen ihr in Wellen über die Schultern und reichten bis zur Brust. Miranda trug ein knielanges, schwarzes Kleid, welches die Schultern frei ließ. Sie sah unheimlich schön aus. Schüchtern lächelte sie uns an und ich lächelte freundlich zurück.
"Oliver hat schon viel von dir erzählt. Freut mich, dich endlich kennenzulernen, Miranda."
"Danke, freut mich auch", sagte sie verlegen.

Zusammen gingen wir in die große Eingangshalle der Schule. Noah kaufte uns Eintrittskarten und bestand darauf, meine zu bezahlen. Im Hintergrund lief leise weihnachtliche Musik. Auch die Halle war geschmückt mit Lichterketten, Girlanden und einem großen Weihnachtsbaum. Es duftete köstlich nach Essen, und ich bemerkte, dass ich ziemlichen Hunger hatte.
"Noah!", hörte ich eine glockenhelle Stimme rufen. Sekunden später warf sich Lilly in die Arme ihres Bruders. "Es freut mich so, dass du gekommen bist!" Schließlich fiel ihr Blick auf mich. "Hey, Estelle", murmelte sie und versuchte sich an einem steifen, aber keineswegs feindseligen Lächeln. Vielleicht lag es an Weihnachten. Jedenfalls freute ich mich, dass sie mich zum ersten Mal respektvoll, ja schon fast freundlich behandelt hatte. Hinter Lilly tauchte ein großer, schlanker und gut aussehender Kerl auf. Er legte die Hände auf ihre Hüften, und sie drehte sich um und küsste ihn leidenschaftlich auf den Mund. Anschließend verschwanden die beiden ohne ein weiteres Wort im der Menge. 

Noah und ich betraten die Aula. Hier sollten ein paar Aufführungen stattfinden, bevor das große Buffet eröffnet werden sollte. Wir setzten uns in den hinteren Bereich nahe der Tür. Keine 5 Minuten später wurden die Plätze neben uns belegt, und im ersten Moment erschrak ich, als ich Lisa erkannte. Ich hatte nicht mit ihr gerechnet, doch dann fiel mir ein, dass sie und Lilly gut befreundet waren und vermutlich in die selbe Klasse gingen.
"Schön, dass ihr alles klären konntet, Estelle.", flüsterte sie mir mit einem verstohlenen Blick zu Noah ins Ohr.
Ich lächelte knapp. "Du siehst wirklich schön aus in deinem Kleid", fügte sie hinzu.
"Danke, Lisa. Du auch."
Und es stimmte. Das schwarze, lange Kleid stand ihr ausgesprochen gut.

Es wurden ein Weihnachtsstück von den jüngeren Schülern und ein Tanz aufgeführt. Danach spielte die Schulband ein paar Weihnachtslieder und versetzte uns so alle in Feststimmung. Alles war super organisiert und gut vorbereitet. Anschließend gab es Essen. Die Auswahl war riesig und es schmeckte genau so köstlich, wie es aussah. Ich aß Klöße, Gemüse und Fleisch, während ich unfreiwillig mitbekam, dass Lisa, die mit uns am Tisch saß, eine Stunde in ihrem kleinen Salat stocherte. Noahs Hand lag locker auf meinem Bein, und ich genoss das Gefühl der Wärme, die sich in mir ausbreitete. Nach der Hauptspeise genehmigten wir uns zur Feier des Tages noch einen Nachtisch: Mousse au chocolat!

Schließlich wurde die Tanzfläche eröffnet. Sie füllte sich schnell, und nach kurzer Zeit streckte Noah mir seine Hand entgegen.
"Darf ich um diesen Tanz bitten?"
"Sehr gerne." Ich legte meine Hand in seine. "Aber ich kann leider überhaupt nicht tanzen."
"Das macht nichts", erwiderte er grinsend. "Dafür kann ich tanzen."
Und, großer Gott, das konnte er. Er übernahm die Führung bei den Standardtänzen und gleich fiel es mir leichter. Nach einer Weile klappte es richtig gut. Seine Hand lag auf meinem Rücken, meine Hand ruhte auf seiner Schulter. Wir schauten uns tief in die Augen.
Alles war perfekt. Zu perfekt, spottete mein Unterbewusstsein, doch ich ignorierte es. Was ich nachher bitter bereute.

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Noah & Estelle - Jede Sekunde zähltWo Geschichten leben. Entdecke jetzt