Kapitel 16: Es sind die kleinen Dinge, die zählen

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~ Noahs Perspektive ~

Wir wanderten ein paar weitere Stunden und unterhielten uns über alles mögliche. Ich hatte diesen Punkt der Liste ausgewählt, damit Estelle und ich uns besser kennenlernen konnten. Im Stillen hoffte ich, dass ich ihr Vertrauen so zurückgewinnen konnte. Wir wanderten an üppigen  Baumreihen und einem kleinen See mit Enten vorbei. Wir setzten uns auf eine Holzbank vor dem See und Estelle fütterte die Enten und Fische mit unseren Schokobrötchen. Sofort stürzten diese sich gierig auf das Brötchen und Estelle lächelte zufrieden. Ich fand es süß, wie sie sich darüber freute, den Tieren eine Freude gemacht zu haben.
"Wie schön das alles ist", hauchte sie, und ich konnte nur zustimmend nicken.

Nach kurzer Zeit liefen wir weiter und der Wald lichtete sich. Wir gelangten auf einen schmalen Weg, der von einer wunderschönen, riesigen Blumenwiesen umrandet war. Ich war schon immer ein Fan von der Natur gewesen, es gab so viel zu entdecken. Überall lauerte verstecktes Leben. Ich pflückte ein Gänseblümchen und steckte es Estelle vorsichtig hinter ihr Ohr. Sie lächelte mich schüchtern an, und ich wollte sie in diesem Moment unbedingt an mich ziehen und küssen, doch ich hielt mich zurück. Ich hatte Angst, die schöne und unbeschwerte Atmosphäre zwischen uns zu zerstören. Und so liefen wir mit einem Abstand von einem guten halben Meter zwischen uns weiter. Bald erblickten wir ein kleines Dorf, welches ein, zwei Kilometer entfernt war. Auf dem Weg dorthin legen wir eine weitere kleine Rast zum Essen und ausruhen ein.
"Darf ich dich etwas fragen?" Estelle blickte mich schüchtern an.
"Klar."
"Was bereust du am meisten in deinem ganzen Leben?"
Mit dieser Frage erwischte sie mich eiskalt. Ich war komplett unvorbereitet und brauchte erst einmal einen Moment, um darüber nachzudenken.
"Dass ich die Chance verpasst habe, meiner Mutter zu danken und mich bei ihr zu entschuldigen", antwortete ich knapp. Es war die Wahrheit, wenn auch nicht die Ganze, doch das konnte ich ihr zu diesem Zeitpunkt nicht sagen. Es gab noch etwas, das ich bereute, doch wenn sie davon erfuhr,  hätte sie wahrscheinlich schneller Au revoir gesagt, als ich gucken konnte. Estelle war so zart und unschuldig, ich konnte ihr die Wahrheit nicht eröffnen. Und so beließ ich es bei meiner Antwort und fragte stattdessen: "Was ist mit dir? Was bereust du am meisten?"
Sie wich meinem Blick aus und lächelt er gequält. "Ach, da fällt mir nichts bestimmtes ein."
Dass auch sie nicht die Wahrheit sagte, war mir mehr als bewusst, doch ich fragte nicht nach.
Den restlichen Weg bis zum Dorf schwiegen wir, jeder in den eigenen Gedanken versunken.

Wir erreichen das kleine Dorf schneller als gedacht. Weder Estelle, noch ich waren je dort gewesen. Auf einem kleinen Marktplatz wurden Gemüse, Obst und Gewürze, sowie Schmuck und Kleider verkauft. Es herrschte ein wildes Treiben, doch die Atmosphäre war fröhlich und heiter. Wie überquerten den Platz und gelangten zu einer kleinen, aber ausdrucksstarken Kirche. "Wie schön sie ist", flüsterte Estelle, die Augen auf den Kirchturm gerichtet. Vorsichtig gingen wir hinein und gelangten in einen Gottesdienst. Von innen war die Kirche mit den Fensterbildern und dem Mosaik noch schöner und eindrucksvoller. Wir blieben bis zum Ende, und schließlich kam der Priester zu uns und begrüßte uns herzlich. Seine offene Art machte ihn total sympathisch. Er erzählte uns von der kleinen Gemeinde, in der Jeder den Anderen kannte, und dass unsere unbekannten Gesichter ihm direkt ins Auge gestochen waren.
"Beehrt uns das nächste mal gerne wieder, und seid gesegnet", sagte er zum Abschied.
Langsam wurde es dämmrig draußen, was uns verriet, dass es zwischen 7 und 8 Uhr abends sein musste. Wir fanden eine kleine Telefonzelle, und ich rief uns eins Taxi, welches uns zurück zu meinem Auto brachte.

"Du hast es geschafft", flüsterte Estelle auf der Fahrt müde.
"Was habe ich geschafft?"
"Du hast mich überzeugt. Von der Liste."
Ich versuchte mir nicht anmerken zu lassen, wie sehr mich das freute. Doch mein Grinsen verriet mich.
"Wusste ich doch, dass ich es schaffe", neckte ich sie, woraufhin sie nur lächelnd die Augen verdrehte.
"Danke, Noah. Danke, dass du mir die Welt zeigst."
"Danke, dass du die Welt mit mir entdeckst", erwiderte ich leise.

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Diesmal ein sehr kurzes Kapitel, das kürzeste von allen. Ich hoffe, ihr lest es trotzdem. Das nächste Kapitel versuche ich auf jeden Fall nochmal spannender zu machen :)

Noah & Estelle - Jede Sekunde zähltWo Geschichten leben. Entdecke jetzt