Kapitel 27: Geburtstag

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~ Noahs Perspektive ~

Lilly weckte mich, indem sie in mein Zimmer stürzte und lautstark "Happy Birthday" sang. Ich schlug mühsam die Augen auf und setzte mich hin. "Wie spät ist es?", wollte ich wissen.
"7 Uhr. Alles Liebe zum 21. Geburtstag, Bruderherz", sagte sie und schlang die Arme um mich.
"Danke", murmelte ich, immer noch todmüde.
"Heute ist dein großer Tag. Und jetzt: Raus aus den Federn!"
Weil ich sie seit Langem nicht mehr so glücklich erlebt hatte, tat ich dir den Gefallen, schlug meine Decke zurück und stand auf.
Mürrisch ging ich ins Badezimmer. Heute war mein Geburtstag. Na und? Was änderte sich? Nichts. Als ich aus dem Badezimmer zurück kehrte, stand Lilly in ihrer Jogginghose seelenruhig in der Küche und rührte in einer großen Schüssel.
"Was machst du da?", erkundigte ich mich.
"Kuchen", antwortete sie lächelnd. "Käsekuchen."
Augenblicklich verbessere sich meine Laune.
"Außerdem habe ich noch ein weiteres Geschenk für dich", sagte sie lächelnd und verschwand in ihrem Zimmer.
Das Geschenk war viereckig und verpackt. Sie reichte es mir und sagte noch einmal: "Happy Birthday."
"Dankeschön."
Behutsam entfernte ich das Papier, und zum Vorschein kam das neue Album von Fall Out Boy.
Ich freute mich riesig, endlich das Album auf CD zu haben. Fall Out Boy zählte zu meinen absoluten Lieblingsbands.
"Danke, Lilly", wiederholte ich. "Das Geschenk ist perfekt."

Am Vormittag rief Lisa an, um mir zu gratulieren. Ich wusste es zu schätzen, dass sie an mich gedacht hatte und bedankte mich für die Glückwünsche, doch trotzdem fühlte sich das Telefonat an wie ein Verrat. Wieso hatte ich ein schlechtes Gewissen? Wegen Estelle, flüsterte mein Unterbewusstsein. Estelle würde es gar nicht gutheißen, dass du so unbeschwert mit deiner früheren Affäre kommunizierst.
Doch prinzipiell hatte es mich nicht zu interessieren, was Estelle davon hielt, denn sie war Vergangenheit. Das musste ich endlich akzeptieren. Doch es fiel mir verdammt schwer. Natürlich hatte ich überlegt, einfach zu ihr zu fahren und mich zu entschuldigen. Doch sie hatte gesagt, sie würde sich melden. Und dass sie es nicht getan hatte, verstand ich. Es war das beste für alle. So konnte ich wenigstens nicht noch größeren Schaden anrichten, als ich es ohnehin schon getan hatte. Und ich würde Estelle irgendwann weh tun, daran führte kein Weg vorbei. Deshalb war der Kontaktabbruch ohne Zweifel das Beste für sie.

Am frühen Nachmittag kam mein Vater vorbei. Er hatte sich schick gemacht, er trug ein kariertes Hemd und eine Cordhose.
"Alles Gute zum Geburtstag, mein Sohn", sagte er und zog mich kurz in seine Arme. Obwohl er nicht mal mit meinen leiblichen Eltern blutsverwandt war, liebte ich ihn wie einen Vater. Er und Lilly waren die einzige Familie, die ich noch hatte.
"Danke, Dad", antwortete ich. Wir setzten uns an den Tisch und schnitten den Kuchen auf, den Lilly im Laufe des Tages noch fertiggestellt hatte. Als wir am Tisch saßen, bemerkte ich, dass Lilly zunehmend nervöser wurde. Immer wieder schaute sie verstohlen zur Tür, als würde sie noch jemanden erwarten.
"Alles in Ordnung, Lilly?", fragte ich besorgt.
"Ja, ja", antwortete sie. "Alles bestens."
Gerade als ich jedem ein Stück Kuchen auf den Teller gelegt hatte, klingelte es an der Haustür. Verwundert stand ich auf, um zu öffnen. Ich erwartete niemanden mehr, die Familie war komplett.

Ihr Anblick traf mich völlig unvorbereitet. Sie trug ein rotes Kleid, das Kleid vom Kongress. Unser erstes Treffen. Ihr schönes, blondes Haar hatte sie nach hinten geflochten. "Alles Gute zum Geburtstag", hauchte sie, leise, ganz leise. Fast hätte ich es überhört, vielleicht hatte ich es mir eingebildet? Nein, sie stand immer noch vor mir und schaute mich erwartungsvoll an. Ich sollte etwas antworten, dachte ich, doch ich war unfähig zu sprechen, mein Kopf war vollkommen leer. Was tat sie hier, dieses wunderschöne Mädchen?
"Willst du mich nicht reinbitten?", fragte Estelle unsicher, nachdem ich sie eine geschlagene Minute angestarrt hatte.
"Doch. Natürlich, komm rein", erwiderte ich schnell, als ich meine Stimme endlich wiederfinden konnte.
Sie trat vorsichtig in die Wohnung. Mein Vater stand auf und reichte ihr die Hand.
"Guten Tag, Mr. Crowly. Ich bin Estelle", begrüßte sie ihn.
"Freut mich sehr, dich offiziell kennenzulernen Estelle. Nenn mich doch bitte Eric."
"In Ordnung, Eric."
Estelle schaute zu meiner Schwester und die beiden wechselten einen langen, vielsagenden Blick, von dem ich nicht wusste, was er zu bedeuten hatte. Gerade als ich nachfragen wollte, sagte Estelle: "Ich hoffe, ich störe nicht?"
"Aber nein", antwortet mein Vater schnell. "Iss doch ein Stück Kuchen mit uns."
Estelle nickte dankbar und wandte sich erneut an mich. "Nochmals alles Gute, Noah", wisperte sie und reichte mir schüchtern einen Umschlag. Neugierig machte ich ihn auf. Ich konnte noch immer nicht fassen, dass Estelle tatsächlich hier war.

Als ich erkannte, was Estelles Geschenk war, blickte ich sie ungläubig an. "Ein Fallschirmsprung? Bist du wahnsinnig?"
Sie blickte zu Boden. "Wir müssen das nicht machen. Wenn es dir nicht gefällt.."
"Natürlich gefällt es mir! Es ist super, danke, Estelle", rief ich und zog sie in meine Arme.
Rasch ließ ich sie los.
"Lass uns Kuchen essen", wechselte ich eilig das Thema und überspielte meine Verlegenheit. Sie nickte zögernd und setzte sich an den Tisch. Sie war angespannt, ihre Schultern waren verkrampft und ihr Blick unsicher. Ich wusste nicht, wie ich ihr die Unsicherheit nehmen konnte. Mein Vater verwickelte Estelle gekonnt in lockere Gespräche, und ich bemerkte, wie sie sich nach und nach entspannte.

Nach dem Essen musste mein Vater gehen, denn er hatte noch einen wichtigen Termin. Auch Estelle stand auf und wandte sich zur Tür. Doch ich wollte nicht, dass sie mich so schnell wieder verließ. "Bleib doch noch ein bisschen", bat ich. Ein kleines Lächeln huschte über ihr Gesicht, und sie setzte sich zurück zu Lilly und mir an den Tisch.
Wir unterhielten uns über Uni, Arbeit und Freizeit, im Hintergrund ertönte leise die Musik von meiner neuen CD. Die Stimmung war ausgelassen, sogar Lilly und Estelle verstanden sich gut. Alles war perfekt. Dann klingelte es. Ich stand auf. Ich ging zur Tür und öffnete sie.
Ihr Anblick ließ mir das Blut in den Adern gefrieren. Ich war geschockt und meine Laune sank augenblicklich  in den Keller.
"Was zur Hölle willst du hier?"

Noah & Estelle - Jede Sekunde zähltWo Geschichten leben. Entdecke jetzt