Kapitel 14: Entscheidungen treffen

37 8 4
                                    

~ Noahs Perspektive ~

Von der erdrückenden Hitze wurde ich wach. Ich brauchte die Augen nicht aufzuschlagen, um zu wissen, wo ich war. Der Alkohol hatte mein Gedächtnis nicht manipuliert, und so suchten mich sämtliche Erinnerungen an den vergangenen Abend heim.

Estelle musste sich im Schlaf gedreht haben, und so lag ihr Kopf auf meinem Arm und ihre kleine Hand auf meinem Bauch.
Verdammt, was, wenn ihre Eltern zu Hause waren, und ich es nicht schaffte, lautlos das Haus zu verlassen? Gestern hatte Estelle mich gewarnt, leise zu sein, daran erinnerte ich mich ganz deutlich.

Estelle drehte sich auf die Seite und schlug die Augen auf. Einen Moment lang wirkte sie irritiert, doch schnell schien sie sich an die Situation zu erinnern. Sie rückte verlegen ein Stück von mir ab.

"Guten Morgen", sagte sie leise. "Wie geht's dir? Hast du einen Kater?"
"Nein, alles gut", versicherte ich ihr, und das war die Wahrheit. Ich strich ihr wie selbstverständlich eine lose Haarsträhne aus dem Gesicht. Bei der Berührung erzitterte sie leicht. Schnell zog ich meine Hand weg.
"Was hast du heute vor?", fragte ich sie.
"Ach, nichts besonderes. Und du?"
"Auch nicht. Wie wäre es, wenn wir den nächsten Punkt von unserer Liste abarbeiten?", schlug ich vor.
Estelle nagte an ihrer Unterlippe und schaute mich misstrauisch an, bevor sie ihren Blick zu Boden senkte.
"Weißt du, Noah, ich glaube das mit der Liste ist keine besonders gute Idee. Für mich existiert sie nicht mehr."
Diese Aussage traf mich wie ein Schlag in die Magengrube.
"Was? Wieso nicht? Der Tag am Strand hat dir doch gefallen, oder etwa nicht?"
Doch ich ahnte den Grund bereits, und so überraschten mich ihre nächste Worte nicht.
"Natürlich hat es mir Spaß gemacht, aber ich kann so nicht weitermachen. Erst verbringen wir einen schönen Tag zusammen, und dann kannst du mich nicht schnell genug loswerden und verschwindest für Wochen ohne Bescheid zu sagen aus der Stadt. Dann erfahre ich durch Zufall, dass du zurück bist und du tust so als wäre nichts gewesen. So kann es nicht weitergehen, Noah. Du verlangst immer, dass ich dir vertraue. Aber du musst auch mir vertrauen." Sie hatte sich im Bett aufgesetzt und ihre Stimme wurde zunehmend lauter. Kurz kam mir die Sorge, dass ihre Eltern uns hören würden, doch ich war zu beschäftigt mit dem, was sie gesagt hatte. Denn sie hatte Recht. Natürlich hatte sie Recht. Doch mit ihrem Entschluss, die Liste einfach zu verwerfen, konnte ich mich nicht abfinden. Sie hatte am Strand nur einen kleinen Teil des Lebens kennengelernt, und ich wollte ihr unbedingt mehr zeigen. Ich musste mein Verhalten wieder gut machen.
"Estelle, ich bitte dich. Werf das Ganze nicht ohne Weiteres weg. Ich werde dir alles erklären. Wo ich war, warum ich weg war, was ich gemacht habe. Ich hoffe, dass du mich dann verstehst. Okay?"
Sie schaute mich skeptisch an, doch ich sah, dass ich ihre Entscheidung ins Schwanken brachte. Also fuhr ich schnell fort: "Ich habe eine Idee. Wir suchen uns ein Punkt von der Liste aus, ganz spontan, fahren los und im Auto erzähle ich dir alles. Einverstanden?"
"Ich weiß nicht.. ich bin nicht der Typ für spontane Sachen, das weißt du..", fing Estelle an, doch ihr Blick verriet, dass ich sie bereits überzeugt hatte.
"Ich verspreche, dass es dir Spaß machen wird. Wenn nicht, dann können wir die ganze Aktion abbrechen, ich bringe dich sofort nach Hause und die Liste existiert nicht mehr. Doch jeder verdient eine zweite Chance, also mach es mir bitte nicht so schwer."
"Okay. Ich gebe dir noch eine Chance, aber du musst dir etwas verdammt Gutes einfallen lassen, um mich von der Liste erneut zu überzeugen."
Ich grinste. Das würde ich ziemlich sicher hinbekommen.

"Okay, das letzte mal habe ich entschieden, was wir machen. Jetzt bist du dran", sagte ich.
"Mir wäre es eigentlich lieber, wenn du entscheiden würdest", gestand Estelle. Ich musste schmunzeln. So viel zum Thema, dass sie spontane Aktionen, über die sie keine Kontrolle hatte, verabscheute.

Während ich mir überlegte, was wir unternehmen konnten, stand Estelle auf und ging, nur in ihrem knappen Nachthemd, dass unheimlich sexy an ihr aussah, ins Badezimmer.
"Verhalt dich leise", wies sie mich an. "Ich weiß nicht, ob meine Eltern Zuhause sind."

Sie kam kurz später mit einer grauen Röhrenjeans und einer schwarzen Bluse bekleidet zurück. Die blonden Haare hatte sie zu einem Zopf geflochten, außerdem trug sie dezentes Make-up. Sie sah fantastisch aus. In ihrer Hand hielt sie ein Tablett mit zwei belegten Brötchen und zwei Gläsern Milch.
"Ich hoffe das ist okay", sagte sie und stellte das Tablett auf dem Bett ab. "Ich wusste nicht, was du magst, aber meine Eltern sind in der Küche, und so habe ich einfach etwas genommen. Aber wenn du etwas anderes möchtest ..."
"Es ist perfekt. Danke, Estelle."

Nachdem wir gefrühstückt und ich mich frisch gemacht hatte, wollten wir uns auf den Weg machen. Ich bat Estelle, ihr Handy wieder zu Hause zu lassen. Außerdem beauftragte ich sie, zwei Flaschen Wasser, sowie etwas zu Essen von unten zu holen und in einen Rucksack zu packen.
Sie folgte meinen Anweisungen, ohne zu fragen. Das bewies mir ihr  Vertrauen von Neuem. "Du, Noah, wir haben ein Problem", fing sie an, als sie ins Zimmer zurückkehrte. "Meine Eltern sind unten und haben mich schon misstrauisch angeguckt, als ich den Vorratsschrank geplündert habe. Ich weiß beim besten Willen nicht, wie wir es unauffällig hier heraus schaffen wollen." 

Nach einigen Minuten hatte Estelle einen Plan, wie wir es schaffen könnten. Der Plan war grauenhaft schlecht, doch da auch ich auch keine bessere Idee hatte, willigte ich ein. Estelle sollte ihre Eltern ins Wohnzimmer locken und ablenken, während ich unauffällig das Haus verließ. Sie wollte wenige Minuten später nachkommen.

Anfangs verlief alles wie ausgemacht. Während Estelle ihre Eltern im Wohnzimmer ablenkte, schlich ich die Treppe hinunter und zog vorsichtig die Haustür hinter mir zu.  Doch ich bemerkte unseren Fehler im gleichen Moment wie Estelle und ihre Eltern: Wir hatten nicht bedacht, dass man durch das Wohnzimmerfenster freien Blick auf die Einfahrt und den Garten hatte. Ich erreichte mein Auto, welches ich außer Sichtweite geparkt hatte, nicht schnell genug. Ich sah, wie Estelle die Treppenstufen im Eingangsbereich herunter und in meine Richtung sprintete. Wenige Sekunden später erschien ihre Mutter in der Tür und schrie: "Estelle Rose Mathieu, komm sofort zurück. Du gehst mit diesem Jungen nirgendwohin!"
Doch Estelle, die mich inzwischen erreicht hatte, ignorierte die Anweisung ihrer Mutter, zog mich am Arm und befahl mir, die Autotür aufzuschließen. Sekunden später fuhr ich los.

Ich hatte einen unheimlich schlechtes Gewissen. Ich wollte nicht, dass Estelle wegen mir Stress mit ihren Eltern bekam. Und sie würde definitiv Probleme bekommen, da war ich mir sicher.
"Wir können auch umkehren", sagte ich. "Vielleicht solltest du das ganze erstmal mit deinen Eltern besprechen."
"Nein", sagte sie mit fester Stimme. "Ich bin kein Kind mehr, und ich kann meine eigenen Entscheidungen treffen. Lass uns jetzt Spaß haben, mit meinen Eltern werde ich mich später auseinandersetzen."
"Okay, aber erst bin ich dir noch eine Erklärung schuldig", meinte ich.
"Du musst es mir nicht erzählen, Noah."
"Ich möchte aber."
Und dann erzählte ich.

----------------------------

Und, seid ihr gespannt auf Noahs Erklärung? Ihr erfahrt sie im nächsten Kapitel. ;)
Tut mir leid, dass das Kapitel etwas langweilig ist.
Rückmeldung ist wie immer erwünscht.
Ich wünsche euch noch ein schönes Restwochenende. ♡

Noah & Estelle - Jede Sekunde zähltWo Geschichten leben. Entdecke jetzt