Kapitel 7: Die To-Do-Liste

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~ Noahs Perspektive ~

Estelle.. Estelle .. im Kopf wiederholte ich immer und immer wieder ihren Namen, fast wie ein Mantra. Wer war dieses schöne Mädchen? Fest stand, dass ich es unbedingt heraus finden wollte.

Den Kuss hatte sie bei unserem letzten Treffen mit keinem Wort erwähnt. Ob sie ihn bereute? Ich bereute ihn jedenfalls nicht. Ihre Lippen hatten sich so weich angefühlt, und so unschuldig. Ich hoffte nur, sie hatte nicht allzu große Schwierigkeiten bekommen deswegen.

Sie sah traurig aus, so traurig. Immer wenn wir uns unterhielten, zeichneten stets Sorgenfalten ihr Gesicht. Die wenigen Lächeln, die sie mir geschenkt hatte, hatten nie ihre Augen erreicht. Ich sah buchstäblich, wie das Leben an ihr vorbei zog, während sie ihre Zukunft plante. Sie lebte nach dem Plan ihrer Eltern. Sie kannte keine wahre Freude, kein Glück. Und das wollte ich ändern.

Ich weiß nicht, wieso mich das Mädchen so beschäftigte, doch ich fühlte mich für sie verantwortlich. Das war auch der Grund, weshalb ich sie nach der Party mit zu mir genommen hatte.

Ich wollte sie lachen hören, unbedingt. Ich wollte ihr ein Lächeln entlocken, ein echtes Lächeln. Ich wollte sie glücklich machen und ihr zeigen, was das Leben alles zu bieten hatte. Und so setzte ich mich den Abend, nachdem ich sie Zuhause abgeliefert hatte, an den PC und erstellte folgende Liste:

Für Estelle
To - Do - Liste

1. Einen Baum pflanzen

2. Auf einen Ball gehen

3. Fallschirm springen

4. Einen Brief an jemanden schreiben und unter der Erde vergraben

5. Sterne beobachten

6. Einen Tag lang wandern, ohne auf Zeit oder Weg zu achten

7. An der Westküste Marseilles surfen

8. Im Regen küssen

9. Im Rain-See nackt baden

10. Glücklich sein

Woher ich meine Ideen für die Liste nahm, wusste ich selbst nicht. Sie waren einfach da. Einige Dinge hatte ich selbst schon erlebt, andere wollte ich noch erleben. Ich war mir fast sicher, dass Estelle noch nichts von alldem erlebt hatte, besonders Punkt 10 nicht. All das waren kleine Dinge, die Großes bewirken konnten. Davon war ich überzeugt.

Dass sie die Liste nicht mit mir zusammen abarbeiten würde, war mir bewusst. Zumindestens nicht jeden Aspekt. Nicht, dass ich es mir nicht gewünscht hätte, doch wir kannten uns kaum, und so konnte ich nicht erwarten, dass Estelle mit mir nackt baden gehen oder mich im Regen küssen würde. Aber das war nicht so wichtig. Am wichtigsten war es erstmal, Estelle davon zu überzeugen, die Herausforderung anzunehmen und diese Liste abzuarbeiten. Und das würde verdammt schwierig werden, so viel stand fest.

Und so machte ich mich am nächsten Morgen auf dem Weg zu ihrem Haus. Ich wusste ja jetzt, wo sie wohnte. Wie ich sie überzeugen konnte, sich auf die Liste einzulassen, war mir in diesem Moment noch schleierhaft, doch ich vertraute auf meine spontane Intuition.

Und so klingelte ich an der Tür, rückte meine Lederjacke zurecht und zog nervös mein Piercing zwischen die Lippen. Was war nur los mit mir? Noch nie hatte mich ein Mädchen derart aus der Fassung gebracht. Ganz ruhig, ermahnte ich mich selbst, da öffnete sich schon die Tür. Und so stand sie vor mir, in einer grauen Jogginghose und einem pinken, weiten Shirt. Ihre Haare türmten wie ein Nest auf ihrem Kopf, und sie trug keine Schminke. Und da wurde mir bewusst, dass sie es auch absolut nicht nötig hatte, denn sie sah wunderschön aus. Mit ihren grün - blauen Augen schaute sie mich überrascht an. Nervös schlang sie sich eine Haarsträhne, die sich aus dem Haarnest gelöst hatte, um ihren Finger.

"Was... Was machst du denn hier?", fragte sie.
"Tut mir leid, dass ich hier so unangemeldet auftauche, aber ich muss dir unbedingt etwas geben", antwortete ich.
"Habe ich etwas bei dir vergessen?", erwiderte sie verwirrt.
"Nein, nein. Ich habe etwas anderes für dich." Und da reichte ich ihr die Liste.
Vorsichtig warf sie einen Blick darauf und ich war sowohl gespannt, als auch besorgt auf ihre Reaktion.
"Was soll ich damit?", fragte sie nervös.
"Ich möchte, dass du diese Liste abarbeitest. Wenn du magst, können wir das auch zusammen machen, das ist ganz dir überlassen. Ich bin mir sicher, dass..."
Sie ließ mich nicht zu Ende reden. "Nein", war ihre einzige Antwort. "Das ... das geht nicht!"
"Estelle, ich bitte dich. Block mich nicht direkt ab, sondern lass mich erstmal erklären." Ich wartete ihre Antwort nicht ab. "Ich sehe doch, dass du unglücklich bist. Ich sehe, dass dir das Leben, so wie du es jetzt lebst, keinen Spaß macht. Bitte, Estelle, lass mich dir zeigen, was das Leben bietet. Gib mir die Chance, dich glücklich zu zu machen."
"Ich ... ich kann das nicht. Meine Eltern würden mir das niemals erlauben, und außerdem fängt mein Studium nächste Woche an."
"Das Studium, auf dass du sowieso keine Lust hast, Estelle? Aber wenn du unbedingt dieses Studium machen willst, werde ich dich selbstverständlich nicht daran hindern. Es bleibt immer noch genug Zeit, um nach und nach die Liste abzuarbeiten. Bitte, gib der Sache wenigstens eine Chance. Wenn du dann merkst, dass es nichts für dich ist, können wir die Sache immer noch beenden. Bitte, Estelle."
Ich weiß nicht, was ich überzeugendes gesagt hatte, und somit war ich selber überrascht von ihrer Antwort:
"Okay", hauchte sie.

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Das ist das erste Kapitel aus Noahs Sicht. Es fällt mir sichtlich schwer, aus der Perspektive eines Jungen zu schreiben. Ich hoffe ich habe es einigermaßen gut hinbekommen. Schreibt mir doch gern eure Meinung zu dem Kapitel in die Kommentare!

Noah & Estelle - Jede Sekunde zähltWo Geschichten leben. Entdecke jetzt