Kapitel 12: Schlechte Stimmung

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Die nächsten Tage verliefen ereignislos. Ich ging zur Uni, lernte, und half meinen Eltern, die mittlerweile aus Tokyo zurück waren. Es war alles genau wie noch wenige Wochen zuvor.

Ich überlegte Noah anzurufen, doch dann fiel mir auf, dass ich nicht mal seine Nummer besaß. Ich hätte auch zu ihm fahren können, doch ich tat es nicht. Schließlich meldete er sich auch nicht bei mir. Kurzzeitig dachte ich, dass Noah vielleicht nur eine Einbildung gewesen war, ein Traum. Doch für so verrückt hielt ich mich dann doch nicht. Ich versuchte, in meinen normalen Alltag zurück zu kehren, das konnte ja wohl nicht so schwer sein. Doch es war verdammt schwer. Meine Gedanken kreisten stets um Noah, sogar dann, wenn ich genau dies mit Ablenkung zu vermeiden versuchte. Doch er hatte in den wenigen Tagen, die wir zusammen verbracht hatten, eine so enorme Bedeutung in meinem Leben bekommen, dass es schlichtweg unmöglich war, nicht an ihn zu denken.

Nach zwei Wochen hielt ich es nicht mehr aus. Ich sprang über meinen eigenen Schatten, setze mich ins Auto und fuhr zu seiner Wohnung.

Schweißgebadet kam ich an. Vor seiner Wohnungstür atmete ich dreimal tief ein, und gerade als ich die Hand hob, um zu klopfen, wurde die Tür aufgerissen. Ich entdeckte Noahs Schwester. Sie war eine wirkliche Naturschönheit mit ihren langen dunkelblonden Haaren und diesem wunderschönen Gesicht.
"Was willst du hier?", fragte sie und verzog ihre Augen zu Schlitzen. Lilly schaffte es, trotz ihrer glockenhellen Stimme bedrohlich zu wirken.
"Äh.. eigentlich wollte ich zu deinem Bruder. Ist er da?"
"Nein, ist er nicht."
"Achso.. okay. Dann gehe ich mal besser."
"Er ist bei seiner Freundin", setzte sie hinterher.
Auch wenn ich versuchte, eine ausdruckslose Miene aufzusetzen, war ich ziemlich sicher, dass sie die Enttäuschung in meinem Blick sah. Auch wenn ich diese Situation nicht ausgeschlossen hatte, war ich doch nicht vorbereitet gewesen. Auch wenn Noah mich nicht angelogen hatte und es mich auch nichts anging, fühlte ich mich hintergangen.

Ich fuhr nach Hause und redete mir ein, dass es das Beste war. Jetzt kannte ich wenigstens die Wahrheit und konnte mit Noah abschließen.
Die nächsten Tage nahm ich wieder aktiver am Leben teil, ging mit Lola aus, freundete mich mit Leuten von der Uni an und konzentrierte mich auf das Studium.

Es war ein kühler Dienstag Nachmittag, Noahs Verschwinden war genau drei Wochen her, als ich mich dazu entschloss, mit dem Bus in die Stadt zu fahren. Ich sollte ein paar Dinge einkaufen und noch eine bestimmte hautschonende Creme für meine Mutter aus der Apotheke besorgen. Nachdem ich alle nötigen Dinge besorgt hatte, gönnte ich mir noch ein Schokoladenbrötchen und machte mich auf den Heimweg. Es fing an zu regnen, und unwillkürlich musste ich an einen Punkt der To - Do - Liste denken. Im Regen küssen. Den Gedanken, wie es sich anfühlen würde, Noah im Regen zu küssen, verbannte ich schleunigst aus meinem Gedächtnis. Die Liste war Vergangenheit.

Der Regen wurde stärker, und schließlich fing es an zu hageln. Ich hetzte zur Haltestelle, doch durch den Regen hatte sich Glätte gebildet und ich rutschte aus. Ich fiel ungünstig hin, und mein Bein verdrehte sich und schmerzte augenblicklich. Neben mir hielt ein bekannter kleiner Wagen an. "Hey, alles okay?", fragte eine ebenso bekannte Stimme.
"Alles super", presste ich hervor.
"Ich glaube dir nicht. Steig ein, ich fahre dich nach Hause", sagte Noah.
Dass man sich zwei mal innerhalb kurzer Zeit ungeplant über den Weg lief, konnte Zufall sein. Doch drei mal? Eindeutig Schicksal.
Ich rief mir ins Gedächtnis, was ich über ihn wusste. Er hat eine Freundin. Hör auf, über Schicksal nachzudenken.
"Oder willst du noch länger im Regen stehen? Steig einfach ein."

Aufgrund meines schmerzenden Knöchels, sowie des starken Regens, kam ich seiner Aufforderung nach und stieg zu ihm ins Auto. Ich setzte mich auf den Beifahrersitz, verschränkte die Arme vor der Brust und schwieg Noah an.
"Wie geht's deinem Bein?", fragte er, und vielleicht war es kindisch, doch ich antwortete nicht. Ich starrte nur wütend aus dem Fenster.
"Alles in Ordnung? Warum ignorierst du mich?"
Ich schnaubte nur.
"Weißt du, Estelle, dein Verhalten ist kindisch", sagte er geradeheraus.
"Soll ich dir mal sagen, was kindisch ist, Noah Crowly? Mich nach unserem Tag am Strand quasi rauszuschmeißen und sich einfach 3 Wochen aus dem Staub zu machen, ohne Bescheid zu sagen. Das ist kindisch. Wie war es denn bei deiner Freundin?"
"Okay, ich gebe ja zu, dass ich hätte Bescheid sagen können, aber ich hatte es einfach sehr eilig. Deshalb musste ich auch so dringend los, ich wollte dich nicht rausschmeißen. Tut mir leid, wenn das falsch rüber gekommen ist. Aber .. wie kommst du denn darauf, dass ich zu meiner Freundin gefahren bin, geschweige denn, dass ich eine Freundin habe?"
"Das ist doch offensichtlich. Ich habe den Namen der Anruferin zufällig auf deinem Handy gesehen. Außerdem..", es fiel mir verdammt schwer, das zuzugeben " war ich bei dir und habe deine Schwester getroffen. Sie hat mir von deiner Freundin erzählt."
"Damit wollte sie dich nur ärgern. Ich habe keine Freundin, Estelle. Sonst hätte ich dir von ihr erzählt."
"Ach ja? Wo warst du denn dann die letzten drei Wochen?"
"Ich .. ich kann es dir nicht sagen."
"Alles klar", sagte ich und griff nach der Autotür. Da Noah noch nicht losgefahren war, hätte ich problemlos aussteigen können.
"Warte, Estelle", flehte er. "Bitte."
Ich hielt inne und wartete auf eine Erklärung. Nach einigen angespannten Sekunden des Schweigens sagte er: "Ich wünschte, ich könnte es dir erklären. Aber ich kann es nicht, noch nicht. Du musst mir einfach vertrauen."
Stumm schüttelte ich den Kopf, stieß die Wagentür auf und machte mich humpelnd auf den Weg zur nächsten Haltestelle, um mit dem Bus nach Hause zu fahren. Er hinderte mich nicht daran.

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Noah & Estelle - Jede Sekunde zähltWo Geschichten leben. Entdecke jetzt