Kapitel 11: Ein mysteriöser Anruf

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Die Melodie eines mir bekannten Songs weckte mich auf. Ich erkannte, dass es "My Demons" von "Starset" war. Doch woher kam die Melodie? Ich schlug die Augen auf und wusste zuerst nicht wo ich war. Als ich mich aufsetzte bemerkte ich meinen schmerzenden Rücken. Die Ursache dafür war das Sofa, auf dem ich geschlafen hatte. Als ich mich umblickte, stellte ich fest, dass ich nicht alleine auf besagten Sofa geschlafen hatte: Noah lag zusammengerollt neben mir, sein Kopf bei meinen Füßen.
Sein Mund stand leicht offen und seine Brust hob und senkte sich regelmäßig. Als nächstes fiel mein Blick auf Noahs Handy, welches am Tisch lag und mittlerweile den Refrain des Songs spielte. Ein Blick auf das Display verriet mir, dass die hartnäckige Anruferin "Susan" hieß. Nach ein paar weiteren Sekunden gab Susan auf, und das Display zeigte nun, dass es 5:54 war. Shit, ich musste in zwei Stunden bei der Uni sein!

Noah setzte sich auf und rieb sich die Augen. Erst schaute er mich erschrocken, dann verwirrt und schließlich schuldbewusst an.
"Mist, sorry, wir müssen wohl beide eingeschlafen sein. Wie spät ist es?"
"Gleich 6 Uhr", erwiderte ich. "Um 8 Uhr muss ich zur Uni."
"Ich bringe dich hin."

"Du wurdest angerufen.", informierte ich Noah. Er griff nach seinem Handy und warf einen Blick darauf. Seinen Gesichtsausdruck konnte ich nicht deuten. 

Noah verschwand in den hinteren Teil der Wohnung und kam mit einem Kamm und einer frischen Zahnbürste zurück. "Hier", sagte er knapp und reichte mir die Sachen. Ich konnte nicht genau sagen, was es war, doch irgendetwas hatte sich verändert. Noahs unbeschwerte und lockere Ausstrahlung war verschwunden und durch Distanziertheit ersetzt worden. "Zieh am besten die Klamotten von gestern an, in meinen kannst du ja schlecht zur Uni.", sagte er lachend, doch es klang aufgesetzt und gezwungen. Ich ging mit meinem Rucksack, in dem sich meine Klamotten befanden, ins Badezimmer. Dort schälte ich mich aus Noahs Klamotten, zog meine eigenen an und kämmte außerdem meine Haare und putze meine Zähne. Tausend Fragen gingen mir durch den Kopf. Wer war die Anruferin? Vielleicht seine Freundin? War er deshalb so distanziert zu mir? Hätte ich gewusst, dass er eine Freundin hat, hätte ich mich nie auf die Liste eingelassen.

Als ich aus dem Badezimmer zurückkehrte, stand Noah bereits in frischen Klamotten mit dem Autoschlüssel in der Hand da. "Ich bringe dich jetzt nach Hause. Du bist um spätestens 7 Uhr bei dir, dann hast du noch genug Zeit, zur Uni zu kommen. Ich habe es etwas eilig, weil ich gleich noch weg muss.", erklärte er monoton. Ich nickte und folgte ihm stumm zum Auto.

Die Fahrt verlief schweigend und die Atmosphäre war angespannt. Seine Augen waren kalt und er fuhr schnell. Er schien es kaum erwarten zu können, mich loszuwerden. Noah war angespannt, er umklammerte das Lenkrad so fest, dass seine Fingerknöchel weiß hervor traten. Ich wollte am liebsten die unangenehme Stille durchbrechen und etwas sagen, doch ich wusste nicht, was. Seine Stimmung machte mir Angst, und ich war enttäuscht. Er hatte gerade angefangen, mir etwas zu bedeuten, und jetzt distanzierte er sich komplett von mir, und das, nachdem er von einem unbekannten Mädchen angerufen worden war. Er fuhr so schnell, dass wir keine 20 Minuten bis zu meinem Haus brauchten.

Als er keine Anstalten machte, sich von mir zu verabschieden, stieg ich aus, und bevor ich mich fürs nach Hause bringen bedanken konnte, murmelte er knapp "Bis dann" und fuhr davon.

Ich hätte es mir sparen können, zur Uni zu gehen, denn ich bekam nichts von dem mit, was der Dozent erzählte. Meine Gedanken kreisten die ganze Zeit um Noah und den Anruf. Am Rande bekam ich mit, wie mir Oliver etwas von seiner neuen festen Freundin Miranda erzählte. Als die Uni vorbei war, fuhr ich zu meiner besten Freundin.

"Komm rein und erzähl was passiert ist", forderte Lola.
"Woher weißt du, dass etwas passiert ist?"
"Erstens, du tauchst unangemeldet hier auf. Sonst sagst du immer Bescheid bevor du vorbeikommst, also muss es sich wirklich um einen Notfall handeln. Außerdem verrät dich dein Gesichtsausdruck. Also erzähl."
Und so berichtete ich, was geschehen war. Ich erzählte ihr von der To-Do-Liste und dem abenteuerlichen Tag gestern, und schließlich, wie Noah mich heute Morgen nach dem mysteriösen Anruf mehr oder weniger abserviert hatte.
"Es muss seine Freundin sein", endete ich.
"Nicht unbedingt. Vielleicht eine Schwester?"
"Ich bin ziemlich sicher, dass er nur eine Schwester hat, und die heißt Lilly."
"Okay. Du hast recht, es muss seine Freundin sein."

Lolas Direktheit versetzte mir einen kleinen Stich, doch dafür liebte ich sie. Sie sagte immer gerade heraus, was sie dachte und brachte die Tatsachen auf den Tisch.
"Weißt du, ich kenne ihn kaum. Warum tut es mir dann so weh? Wie kann das sein, dass ich so schnell Gefühle für ihn entwickelt habe?"
"Weil er dir beibringt, du selbst zu sein. Er macht dich glücklich und zeigt dir, was es bedeutet, Spaß zu haben. Er stellt einen Kontrast zu deinem langweiligen Leben dar, da ist diese Reaktion ganz natürlich."

Ich war Lola nicht böse, dass sie mein Leben als langweilig bezeichnet hatte, denn sie hatte recht. Und zwar, mit allem was sie sagte. Mal wieder hatte sie die Tatsachen auf den Punkt gebracht: Die Tage mit Noah waren die aufregendsten in meinem Leben gewesen.

Das änderte jedoch nichts an der Tatsache, dass ich ihn vielleicht nie wieder sehen würde.

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Noah & Estelle - Jede Sekunde zähltWo Geschichten leben. Entdecke jetzt