Kapitel 77 - Mein Matschfleck

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Oben ein Fanart von @homebodyathome :)

Als ich die Tür hinter mir zuschmeiße, wird mir sofort klar, dass das heute Abend wohl der dramatischste Auftritt meines Lebens wird. Es schüttet wie aus Eimern, noch dazu habe ich keinen Führerschein, doch Dramatik ist gut. Was wäre ein Auftritt, eine Bitte nach Vergebung und Liebe ohne Regen?

Deswegen renne ich mit meinen Boots durch den matschigen Garten, bis zu unserer Garage und schnappe mir mein Fahrrad. Ich sehe davon ab, dass ich noch meinen Schlafanzug trage und aussehe, wie ein Idiot und fahre so schnell, wie ich kann zu Harry. Der Regen prasselt heftig gegen mein Gesicht und wäre es nicht Sommeranfang, würde ich mich zu Tode frieren, aber das Wetter steht heute wohl vollkommen auf meiner Seite.

Jetzt oder nie. Oder?

Als ich nach wenigen Minuten (und in Rekordzeit) an Harrys Haus ankomme, schmeiße ich mein Fahrrad einfach in ihren Hof und jogge in seinen Garten, weil ich weiß, dass ich von hier aus sein Fenster sehen kann. Es ist so bescheuert, aber ich habe das Gefühl, dass ich es tun muss. Ich schreibe Theaterstücke, mir bleibt gar nichts anderes übrig, als im Regen zu stehen, Harry meine Gefühle zu gestehen und Steine an sein Fenster zu schmeißen. Romeo und Julia sind gar nichts gegen uns.

In seinem Zimmer brennt Licht und schon jetzt bin ich klitschnass. Ich hoffe, ich wecke keine Nachbarn auf oder Anette, wenn sie überhaupt Zuhause ist. Noch total außer Atem wische ich mir die nassen Haare aus der Stirn und sehe mich nach kleinen Steinchen um, doch kann keine finden. Deswegen handle ich schnell und greife mit meiner rechten Hand in ein Blumenbeet, nehmen einen großen Klumpen Erde und peile Harrys Fenster an.

Ich atme tief ein und aus. Das wird klappen.

Und dann hole ich aus und treffe volles Rohr Harrys Fenster. Er müsste blind oder taub sein, wenn er es nicht gemerkt hat. Taub, wenn er dieses mächtig laute Platsch nicht gehört hat und blind, wenn er nicht den extrem großen braunen Matschfleck sieht, der nun an seiner Scheibe langsam heruntergleitet. Es ähnelt einem Kuhhaufen. Steinchen wären romantischer gewesen, aber anders geht es nicht. Dann klebt da eben Matsch an Harrys Fenster, Hauptsache, er bemerkt nicht.

Ich bete und dann sehe ich auch schon seinen braunen Haarschopf vor dem Fenster auftauchen. Blitzartig erhöht sich mein Puls und ich versteife mich, stehe weiterhin im Regen, lasse meinen hellblauen Schlafanzug durchweichen, interessiere mich aber für nichts anderes, außer Harry, der verwirrt durch den dunklen Garten sieht. Er öffnet das Fenster und streckt seinen Kopf heraus.

„Was zur verdammten Hölle?", höre ich seine Stimme leise, als er nochmal den fetten Matschhaufen ansieht, der nun sein Fenster hinab nach unten auf den Steinboden klatscht.

Ich liebe seine Stimme.

Doch so etwas darf ich nicht nur denken, sondern muss es sagen. Deswegen atme ich noch einmal tief durch und tue, was Mom mir gesagt hat. Auf mein Herz hören. „Harry!", rufe ich, damit er mich endlich erkennt.

Sofort sieht er zu mir und ich erkenne seinen Gesichtsausdruck nicht. Er beugt sich noch etwas mehr aus dem Fenster. „Violet?"

„Ja, ich bin's!", sage ich und habe keine Ahnung, was ich überhaupt sagen soll. „Violet!"

„Bist du – Was tust du da unten? Und warum – Ist das dein Schlafanzug?"

Für zwei Sekunden schließe ich die Augen und balle tatkräftig die Fäuste. Jetzt oder nie, jetzt oder nie, jetzt oder nie. Keine Zeit verlieren, nicht um den heißen Brei reden, einfach fühlen und nicht denken.

Einfach reden und nicht denken.

„Nemo!", schreie ich zu ihm hoch.

Er runzelt die Stirn. „Was?"

Violet Socks I HSWhere stories live. Discover now