Kapitel 21 - River

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„Oh", sage ich und sehe wieder nach vorne. „Aber, ähm." Ich sehe mich an dem Sitz um, auf dem ich sitze. „Dann will ich meinen Sitz aber auch so verstellen – Man, wo ist denn dieser verdammte –''

„Hier", unterbricht Harry mich und dreht an einem Rädchen am Rand meines Sitzes, damit meine Lehne sich genauso wie seine, nach hinten schiebt. Und das automatisch.

Langsam fährt mein Sitz zurück und schließlich bin ich mit Harry wieder auf einer Augenhöhe und habe genau den gleichen Blick wie er, auf die Sterne über uns. „Dieses Auto muss wirklich teuer gewesen sein, wenn sich die Sitze sogar elektronisch verstellen lassen", sage ich, während wir nach oben sehen.

„Keine Ahnung", sagt Harry daraufhin monoton. „Meine Eltern haben es bezahlt."

Ich drehe meinen Kopf zu ihm und wage zu behaupten, unnatürlich viel Resignation in seiner Miene zu erkennen. Noch gut erinnere ich mich daran, dass er nie das beste Verhältnis zu seinen Eltern hatte. Seine Mutter und Vater sind beide erfolgreiche Geschäftsleute, wodurch Harry zwar immer alles bekam, was er wollte, allerdings ständig damit leben musste, dass seine Eltern von ihm verlangten, genauso zu werden wie sie. Und zwar reich und erfolgreich.

Und jetzt gerade erlebe ich ihn in einem Moment, den ich zwar schon öfter mit ihm erlebte, doch heute ist er anders. Als ich ihn früher nach seinen Eltern fragte oder sie auch nur zu Wort kamen, reagierte er genervt und wollte sofort das Thema wechseln, aber jetzt scheint er einfach desinteressiert zu sein. Als hätte er sich im Alter daran gewöhnt ein gestörtes Verhältnis zu seinen Eltern zu haben.

Außer seine Eltern haben sich um hundertachtzig Grad geändert und sie verstehen sich.

„Dann wird es ihnen bestimmt nicht gefallen, dass du betrunken damit umherfährst", versuche ich die Situation aufzulockern, obwohl es mir egal sein sollte, wie Harry sich mit seinen Eltern fühlt. Ist es nicht. Irgendwie.

„Ist mir eigentlich vollkommen egal", erwidert Harry genauso neutral wie vorher. „Wenn ich es kaputt fahre, können sie mir mit Sicherheit ein Neues kaufen."

Ich sage nichts darauf. Mit Harry ein Gespräch über solche Art von Thema zu halten, war nie eine gute Idee und eigentlich will ich – wenigstens für eine Nacht – nicht, dass die Stimmung kippt. Denn auch wenn ich es ungern zugebe, fühle ich mich wohl mit Harrys Anwesenheit. Es fühlt sich alles, jedes Wort, das wir reden, es fühlt sich alles an wie früher, als wir jünger waren. Natürlich ist es nicht das Gleiche, aber vielleicht könnte es für eine Nacht das Gleiche sein.

Harry und ich sehen nach oben ins Dunkle der Nacht und schweigen für eine Weile. Ich kann nicht einschätzen, welche Art von Schweigen es ist. Während dieser Schweigeminute schießen mir zu viele Gedanken und Erinnerungen in den Kopf, weswegen ich sie mehr ins Negative einstufe. Ich denke kurz an Brandon. Ist es unartig von mir, mit Harry nachts in einem Auto zu liegen, während ich vor nicht mal zwei Stunden ein Date mit dem Kerl meiner Träume hatte?

Und ist es unartig von Harry, mit mir hier zu liegen, während er doch eigentlich mit Jessica zusammen ist?

Ist es allgemein falsch, was wir hier tun? Sollten wir uns nicht anbrüllen und uns sagen, wie abscheulich wir uns finden, weil alles, was wir einmal hatten, einfach so in die Brüche gegangen ist?

Irgendwann richtet Harry sich auf und schiebt einen USB-Stick in sein Radio. Dann drückt er ein paar Knöpfe. „Es ist zu still ohne Musik", sagt er und dann geht auch schon ein Lied an.

Ich kenne es nicht, doch es sind ruhige Gitarrenklänge. Die ruhige Art von Rock, die ich schon immer mochte und Harry genauso. Eine Sache, die wir gemeinsam hatten. Unsere Musik.

Violet Socks I HSWhere stories live. Discover now