73. Kapitel

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Es war Stan. Mein Bruder Stan.

Das seltsame nur war, dass er aussah, als wäre er zwanzig.

„Du bist tot!", stellte Stan glücklich fest, „Endlich bist du da. Ich hatte so eine Langeweile!"

„Oh mein Gott Stan!", schrie ich und fiel ihm in die Arme. Lächelnd erwiderte er die Umarmung und strich über meine Haare, „Du ahnst nicht, was ich alles versucht habe, um zu dir zu kommen!"

„Sind wir...", ich stockte.

„...im Jenseits?", beendete Stan meinen Satz, worauf ich nickte, „Ja, das sind wir. Ich hatte Klaus und Luther getroffen, doch sie sind wieder weg. Auferstanden oder so."

Ich löste mich und grinste leicht.

„Und wieso siehst du", ich zeigte mit meinem einen Zeigefinger auf seinen Körper, „so aus?"

„Ich wurde ja von diesem Dingen eingesaugt. Jedenfalls ist jeder darin ein paar Jahre gealtert und nun im Jenseits. Ich hab Glück!", er lächelte stolz, „Ich könnte auch ein Rentner sein."

„Und was machen wir jetzt?", fragte ich ihn durchgängig am Lächeln, ich konnte es mir einfach nicht verkneifen.

„Pizza essen und coole Musik aus den 70ern hören?", fragte Stan eher als zu antworten, obwohl er wusste, dass ich genau das liebte. Wir hatten es immer getan, wenn unsere leibliche Mom abgehauen war und erst später zurückkam.

„Alles okay?", fragte er mich verwirrt, als sich salzige Tränen in meinen Augen bildeten, und vereinzelt meine Wangen hinunterliefen.

„Es ist nur...", schniefte ich, und warf mich an seine Brust, „...ich vermisse Fünf!"

„Ach, der kleine Penner!", murmelte Stan und sah mich leicht genervt an.

„Tut mir leid!", wimmerte ich in sein weißes, schlichtes T-Shirt, „Ich habe dich gerade wieder, die Sache ist nur, dass ich in Fünfs Armen starb, und er um mich weinte. Er liebte mich."

„Das ist...", Stan löste sich aus der Umarmung, „...neu."

„Aber lass uns über etwas anderes reden!", befahl ich und er legte eine Hand auf meine Schulter, so wie er es immer in der Schule, bei unseren Freunden, gemacht hatte.

„Komm schon, Jazz!", meinte Stan besorgt, „Du kannst doch nicht um ihn trauern, wenn du mich hast. Ich bin die beste Gesellschaft der Weltgeschichte!"

Weinend lächelte ich und lachte leicht auf. Da hatte er wohl recht.

Mein Bruder nahm meine Hand und lief mit mir geradewegs in eine Wand.

„Hey Stan!", schrie ich mit vor Schreck aufgerissenen Augen, „Bist du hast du sie noch al...", weiter kam ich nicht, denn wir landeten in einem kleinen Zimmer.

„Überrascht?", lachte Stan, als ich komplett verwirrt dreinblickte.

Verzweifelt stotterte ich herum: „Wie...also jetzt mal ganz ehrlich...eben waren wir noch da...und jetzt hier...das ist...quasi wie..."

„...teleportieren.", beendete Stanley seufzend meinen Satz, „Wie bei Nummer Fünf."

„Genau wie bei ihm", murmelte ich traurig, „Aber lass uns über etwas anderes reden!"

„Zum Beispiel das ich Mom noch nicht gefunden hab", schlug mein Bruder vor.

„Wieso sollte Lila hier sein?", fragte ich verwirrt.

„Was? Nein!", Stan schüttelte kaum merklich den Kopf, „Unsere Mom. Trudi!"

„Was soll Trudi denn für eine Mutter gewesen sein!", beschwerte ich mich verärgert, „Sie war immerzu weg, und sie hat uns immer zu Hause gelassen, ohne Geld, ohne Essen, ohne Versorgung. Wären wir Idioten, dann wären wir viel früher gestorben, und in einem anderen Zusammenhang."

„Wie geht's Lila und Diego eigentlich?", versuchte mein Bruder dann das Thema zu wechseln, da ich offensichtlich gleich vor einem sehr langen Monolog stand, wenn er mich nicht unterbrechen würde.

„Gut", seufzte ich leicht traurig, „Sie sind schwanger."

„Das ist doch gut!", lächelte Stan wieder, während wir uns auf meine Couch setzten.

„Gut?", schnaufte ich verständnislos, „Was soll daran denn gut sein?!"

„Sie gründen eine neue Familie", freute sich Stan für sie. Er war immer ein Mensch gewesen, der in jeder Situation das Positive gesehen hat. Ich war da eher das genaue Gegenteil, obwohl ich nur selten aussprach, was ich dachte.

„Und wir beide werden ihnen egal sein!", meckerte ich gereizt und warf mich in ein Kissen.

„Wir sind tot", sagte mein Bruder gefasst, „Wir werden ihnen bald mehr als nur egal sein."

Stanleys SchwesterWhere stories live. Discover now