51. Kapitel

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Leicht am Weinen, dennoch frisch angezogen, gingen wir zurück in die Lobby.

Lila hatte mir einen weißen Tennisrock gebracht, und dazu eine hellblaue Bluse. Außerdem weiße TurnSchuhe, welche ebenfalls von Niki waren - ich glaube sie hießen Airforce -, und einen ebenso weißen Haarreif.

Da ich eher voran schlich, anstatt zu laufen, zerrte mich Mom, an meinem Arm, mit sich.

„Was ist passiert?", lächelte sie irgendwann, und setzte sich mit mir in zwei, gegenüberstehende, weinrote Ohrensessel in einer Ecke.

„Es..es war Fünf", nuschelte ich in mich hinein, und während ich das sagte, merkte ich schon, was für ein fataler Fehler es gewesen war, das zu erzählen.

„Was hat er getan?", fragte Lila, und die Aggressionen in ihrer Stimme waren unüberhörbar.

„Ich war ihm nachgelaufen", erzählte ich, während mir stille Tränen über die Wange liefen, „Er...er hat mich ins Zimmer gebracht. Ich dachte, er würde wieder gehen, aber dann...", meine Stimme brach.

Und dann realisierte ich erst, was Fünf in der Academy zu Viktor gesagt hatte.

Aber lüg uns noch einmal an, und ich werde dich töten, Viktor!

Schwer schluckte ich.

Er würde nicht davor zurückschrecken, seinen eigenen Bruder zu ermorden. Würde er mich töten, wenn ich die Wahrheit sagen würde? Denn wenn wir mal ganz ehrlich zu uns selbst waren, dann hatte er schon oft angedeutet, er könne - und würde - mich umbringen.

„Er...", meine Stimme brache in weiters Mal, „Er wollte mir befehlen, also eigentlich wollte er...", verzweifelt sah ich im Raum umher.

„Hat er dich zu etwas zwingen wollen, was du nicht wolltest?", fragte Mom sanft, und legte ihre Hand auf meine Schulter.

„Das wäre?", fragte ich, worauf Lila nur vielsagend ihre Augenbrauen hob.

„Gott nein!", beschwichtigte ich, obwohl genau das die Wahrheit war.

„Was dann?", sagte Mom fürsorglich, „Verdammt, Jasmin! Was hat dir der kleine Psycho getan?!

„Ich verabschiedete mich von ihm. Sagte ihm leb wohl! Weil..", verzweifelt sah ich mich im Raum umher, als mir eine - nicht wirklich gute, aber wenigstens irgendeine - Idee kam, „Weil ich mich umbringen wollte."

Schockiert riss Lila ihre Augen auf, blieb aber ruhig, was ihr nicht einfach zu sein schien. Und was ich auch nicht erwartet hätte.

„Fünf, er war ausgerastet. Irgendwann drohte er, er würde mich so wund schlagen, dass ich mich nicht mehr umbringen könnte. Ich war weggerannt, doch er hatte mich eingeholt und wich mir nichtmehr von der Seite. Als wir uns im Zimmer anschrieen, hatte er mein Kleid zerrissen, da er dachte, nur in Unterwäsche würde ich nicht vor die Tür treten. Als er sich dann aber kurz umdrehte, lief ich unbemerkt aus dem Raum, und schlief auf der Couch in der Lobby ein."

„Du...", Moms Stimme brach, so wie meine mehrere Male zuvor, „Du wolltest dich umbringen?"

Leicht zuckte ich mit meinen Schultern, komplett in der Rolle, „Ich hatte es in Erwägung gezogen."

„Bist du noch ganz bei Trost?!", schrie sie und sprang auf, „Ich meine, du kannst dich doch nicht einfach umbringen. Verdammte Scheiße, Jasmin! Wir sind eine Familie!"

„Was denn für eine Familie?!", schrie ich, und sprang ebenfalls auf, „In der man seinen Sohn von einem leuchtenden Drecksteil töten lässt, die Tochter zwingt mit einem Psycho eine Beziehung zu führen, und viele weitere Scheiße, WÄHREND DIE VERFICKTE WELT UNTERGEHT?!?!?!"

„Ja", brüllte Lila, „Genau so eine sind wir."

„Schön!", schnaufte ich, „Aber ich kann das nichtmehr! Durchgehend bemerke ich, wie jedes einzelne Menschenleben verschwindet, während wir elf Idioten nur hier herum sitzen, und eine scheiß Hochzeit feiern!"

„Das verstehe ich!", lächelte Mom, und sprach wieder, anstatt zu schreien, „Aber für uns ist das auch nicht so einfach. Dein Freund, zum Beispiel, durchlebt diese Scheiße schon zum dritten Mal."

Stanleys SchwesterWhere stories live. Discover now