- 𝟕𝟑 -

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Johannes:

Es war Morgens etwa neun Uhr als es an meiner Wohnungstür klingelte. Zwei Tage waren vergangen seitdem wir geklärt hatten das Nora eine Nacht bei mir Schlafen würde. Heute war ein Dienstag und Nora würde sich melden sobald ich sie abholen sollte. Jetzt würden Thomas und Stefanie nur schnell ihre Sachen vorbeibringen, bevor die beiden in zwei verschiedene Richtungen fahren würden.

Ich öffnete einladend meine Haustür. "Hallo ihr beiden" begrüßte ich sie mit guter Laune. "Hi" kam es zurück. "Hier sind ihre Sachen" Steff reichte mir eine kleine Reisetasche "und unsern Haustürschlüssel für alle fälle" murmelte sie und übergab mir den Schlüssel. Ich nickte. "Nora findet diese Idee total bescheuert, sie versteht nicht warum sie nicht einfach alleine zuhause sein darf. Also falls sie ein bisschen zickig ist.." Thomas schaute mich wissend an. "Ich hab alles im Griff." meinte ich.

Zum Abschied umarme ich beide. "Viel Spaß euch beiden." wünsche ich beiden. "Pass auf unser Mädchen auf" flüstert Steff in meine Umarmung hinein. "Werde ich machen. Und ich bin mir sicher das alles gut wird." wispere ich zurück.

Als beide gefahren sind stelle ich Noras Tasche ins Wohnzimmer neben das Sofa wo sie schlafen wird. Der Vormittag vergeht schnell doch Nora meldet sich nicht bei mir. Mittlerweile ist es Mittagszeit und ich warte noch immer auf eine Nachricht von Nora. Langsam werde ich ungeduldig, und je mehr Zeit dazu kommt desto mehr Sorge mischt sich zur Ungeduld. Wie lange ging Noras Unterricht? Müsste der nicht schon längst vorbei sein?

Wen es Nora wirklich so schlecht ging wie Steff und Thomas sagten dann musste ich mir bei einer nicht eintreffenden Nachricht wirklich Sorgen machen. Sollte ich Steff und Thomas anrufen? Würde ich einen unnötigen Alarm und eine damit verbundene Panik auslösen? Mittlerweile war es halb vier. Ich kaute auf meiner Lippe und versuchte nicht an das schlimmste zu denken, da gab mein Handy ein Geräusch von sich.

So schnell hatte ich noch nie zu meinem Handy gegriffen. Und, Gott sei Dank, es war Nora. Du kannst mich jetzt abholen. Bin am Potsdamer-Platz.

Die Erleichterung über dieses Lebenszeichen meiner Nichte überwog sodass ich die Frage was sie am Potsdamer-Platz machte beiseiteschob. Ich setzte mich ins Auto und fuhr so schnell es der Verkehr zuließ zu dem Platz. Ich parkte und stieg hastig aus. Meine Augen suchten den Platz ab, wo war meine Nichte? Endlich konnte ich sie in der Menge ausmachen und lief auf sie zu. Nora saß auf einem Steinvorsprung und schaute ins Leere. Schon von Weitem konnte ich sehen wie schlecht es ihr gehen musste. Wie viel Last gerade auf ihren Schultern liegen musste, die so aber hochstemmen musste um nicht aufzufliegen. Es tat mir weg ihm Herzen sie so zu sehen.

Wie leer ihre Augen waren, die in so ein undefinierbares Nichts starrten, es ließ mir ein Schauer über den Körper jagen. Mit jedem Schritt dem ich Nora näher kam wurde mir klarer wie viel Hilfe sie brauchte. "Hi" war erstmal das einzige was ich zur Begrüßung sagen konnte. "Hey" kam es knapp von ihr zurück. "Ehm...danke das du gekommen bist." meinte sie und schaute auf den Asphalt vor meinen Füßen. "Das klingt voll ernst." erwiderte ich. "Aber voll gerne."

"Wollen wir noch was machen?" fragte ich. Nora zuckte emotionslos mit den Schultern. "Wir können ja erstmal bis zum Auto gehen und dann weiterschauen." schlug ich vor. Stumm setzte Nora sich in Bewegung. "Wie war die Schule heute?" fragte ich. "Was hattest du für Fächer?" es war ein kläglicher Versuch mit ihr ins Gespräch zu kommen. "Keine Ahnung... Englisch" murmelte sie. "Oh Englisch." stöhnte ich theatralisch auf. "Wie ich das damals gehasst habe. Immer dieses Vokabeln lernen, und der ganze Grammer-Mist. He, She, it das s muss mit." parodierte ich meinen damaligen Lehrer. Ich redete nicht weiter, Nora schien mir gar nicht zuzuhören.

"Ich habe mir ein bisschen Sorgen gemacht weil du dich nicht gemeldet hast." sagte ich schließlich. Nora schaute mich mit leeren Augen an und blieb stehen. "Was den?" fragte ich. In meinem inneren flehte ich einfach nur das sie endlich reden würde. Trocken begann Nora einen Satz: "Also, ja das, deswegen, also, mit dem Schreiben und so ähm..." Nora schien versucht irgendwelche Worte zu finden. "Es tut mir leid, wirklich." sagte sie und schaute beschämt auf irgendeinen Punkt hinter mir.

"Also, ich weiß, dass es richtig scheiße von mir und..." Sie zuckt mit den Achseln. "Ich... ich krieg's einfach grad nicht auf die Reihe." murmelt sie. Vorsichtig berühre ich ihren Arm und streiche ihn auf und ab. "Ey, und wirklich, ich weiß, dass ich andere Leute damit verletzte, ich weiß, dass das scheiße für alle ist..." ihre Stimme wird immer weinerlicher. "Ich merk das auch wirklich, aber, ich krieg's einfach nicht gebacken." Frustriert schaut sie zu Boden. "Ist voll okay, ich versteh das." versuche ich Nora das Gefühl von Akzeptanz und Sicherheit zu geben. "Wenn es einem nicht geil geht dann hat man halt null Bock mit jemandem zu reden. Aber vielleicht kann man sich eine Person suchen mit der man reden will. Nur eine." Schlage ich vor. "Hast du so eine Person mit der du reden kannst?" frage ich. Ein zögerliches, kaum hörbares "Nee" ist auch schon alles was aus Noras Mund kommt. "Oder" ich beschließe noch einen Schritt weiterzugehen "Hast du mal darüber nachgedacht 'ne Therapie zu machen?" frage ich. "Was?" Entgeistert schaut sie mich an. "Nein. Ich brauch das nicht." wehrt sie ab. "Nora, nein, das kann voll helfen." versuche ich es weiter. "Mann" gibt Nora von sich, ich ignoriere es.

"Ich hab im Internet 'ne Liste gefunden mit Therapeuten. Ich hab schon nachgekuckt." Ich kann sehen wie unwohl sie sich gerade fühlt. "Ich kann dir die schicken und du kuckst die durch, oder wir kucken zusammen?" fast bittend schaue ich sie an. "Nora.." setzte ich nach. "Was?" Sie schaut auf den Boden. "Ich brauch das nicht." meint sie stur. Ich atme tief durch. "Nora das eine mal, als ich bei dir war...am Anfang als wir dich abgeholt haben" beginne ich, ihr Kopf ruckt hoch und auf einmal ist die Leere in ihrem Blick verschwunden. Wir beide erinnern uns zu gut an die Situation im Sommer, und mir war sie nie aus dem Kopf gegangen. Wir hatten zu zweit am Tisch gesessen und auf einmal schien sie wie weggetreten. Genauso wie jetzt. Genauso leer. Aufgebraucht, so emotionslos.

"Hannes, lass es jetzt einfach" meint sie abwehrend. "Nein!" meine ich jetzt dringlich. "Ich lass das jetzt nicht." stelle ich klar. Ich will dir..." "Jetzt hör doch einfach auf." unterbricht sie mich. "Nein, nicht 'hör auf'. Das ist wichtig." ernst schaue ich sie an. "Ey merkst du nicht, dass, das es um was ganz anderes geht, und einfach um was ganz anderes, und das ist richtig unangebracht, okay." Versucht sie sich irgendwie dem Gespräch zu entwinden. "Woher soll ich denn wissen worum es geht?" frage ich laut. " Du sagst ja nichts." Ich lache auf " Woher soll ich das denn wissen?" frage ich bestimmt. "Du verstehst es einfach gerade nicht." Nora hat ihre Arme vor der Brust verschränkt und wirkt abwehrend. Unfassbar, kommt es mir in den Kopf. Sie will wirklich einfach nicht reden. "Wie soll ich es denn verstehen?" rufe ich nun laut in ihr Gesicht. Sie seufzt "Mann, jetzt hör einfach auf."

"Du lässt mich einfach nicht verstehen, du lässt uns alle einfach nicht verstehen, weißt du? Weißt du was ich meine, ich versuche die ganze Zeit..." versuche ich ihr das Problem zu erklären. "Man Hör auf!" schreit sie mich an. "Nein, ich hör jetzt nicht auf!" schreie nun auch ich. "Okay, ich hör jetzt nicht auf, wir reden jetzt mal!" verzweifelt schaut Nora in alle Richtungen nur nicht auf mich. "Das ist doch, Hä? Ich bin doch dein Onkel, es ist meine Aufgabe.."

"Du verstehst es nicht!" Schreit Nora. "Ich fühle nichts!" Ich starre sie an. "Ich fühle nichts!" schreit sie mich weiter an. "Gar nichts ok? Es ist alles weg, und es kommt nicht wieder. Verstehst du? Es ist alles weg!"

Ich starre sie an. "Nora, wir..." Sie schüttelt nur müde den Kopf. "Ich will nicht. Egal was es ist ich will nicht zur Therapie, und ich will keine Hilfe von dir oder Now, oder Papa oder Mama. Ich will nicht!" Die Leere ist in ihre Augen zurückgekehrt. Nora dreht sich um und läuft über den Platz. "Hey, Nora warte!" rufe ich. Da ist sie schon in der Menge verschwunden.

↬ 𝐒𝐜𝐡𝐫𝐢𝐭𝐭𝐞 // 𝐒𝐢𝐥𝐛𝐞𝐫𝐦𝐨𝐧𝐝 𝐅𝐚𝐧𝐟𝐢𝐜𝐭𝐢𝐨𝐧Where stories live. Discover now