- 𝟑𝟕 -

247 17 5
                                    

Nora:

Den Rest des Abends verbrachte ich auf der Couch, wartend auf Mama. Ich wurde das ungute Gefühl in meinem Bauch nicht los. Als Mama mehrere Stunden weggeblieben war hatte ich mehrmals versucht sie anzurufen, jedoch meldete sich jedes Mal nur die Mailbox. Unruhig tigerte ich durch die Wohnung. Irgendwann hatte ich es nicht mehr ausgehalten und hatte die Wohnung nach Alkohol durchsucht.

Es kam mir wie ein Vertrauensbruch ihr gegenüber vor, trotzdem suchte ich in all ihren Verstecken wo sie in den Jahren Alkohol gesammelt hatte nach Flaschen. Mein schlechtes Gewissen wurde immer stärker, Mama hatte versprochen nichts mehr zu trinken, also warum suchte ich dann nach Alkohol? Erneut fingerte ich nach meinem Handy, es war jetzt neun Uhr abends und Mama war um sechs weggegangen. Wieder rief ich sie an wurde aber erneut von der nervigen Stimme des Anrufbeantworters begrüßt.

Ich spürte wie eine Träne mir die Wangen hinunterlief. Auf einmal fühlte mich total alleine in dieser Wohnung. Ich hatte unfassbare Angst was Mama jetzt machte, ich wollte nicht an meine schlimmsten Befürchtungen glauben, aber je später es wurde desto wahrscheinlicher wurde es. Mein Gesicht war schon ganz nassgeweint und ich hatte mich in eine Ecke des Wohnzimmers gekauert, wo ich meine Beine nah an mich herangezogen hatte.

„Bleib ganz ruhig" sagte ich mir „Bestimmt ist sie nur einkaufen" redete ich zu mir. Fast sofort schaltete sich mein Verstand ein und widersprach diesem Gedanken. „Man geht keine fünf Stunden einkaufen." Sagte mir mein Verstand. „Aber wen man shoppen geht, dann schon..." widersprach ich. „Um elf Uhr abends haben alle Läden geschlossen" konterte er wiederum. Ich fuhr mir bestimmt zum hundertsten Mal heute Abend durch mein Haar, eine Eigenschaft, die ich von Thomas hatte und dazu führte das meine Haare schon ganz fettig am Ansatz waren. Die nächsten Stunden redete ich mir die verschiedensten Situationen ein, warum Mama so lange wegblieb. Vielleicht war sie bei einer Freundin, oder sie war spazieren und hatte einfach die Zeit vergessen. Aber jedes Szenario kam mir unlogisch vor, der einzige Ort, der um diese Uhrzeit noch offen hatte, war eine...Bar.

Nein! Nein, hör auf so etwas zu denken! Befahl ich mir, wurde aber den Gedanken nicht los das genau dieses Szenario zutraf.

Ich wusste nicht wie viel Zeit vergangen war, aber ich hielt die Ungewissheit nicht mehr aus und schnappte mir mein Handy und rief die einstige Person an, die mir jetzt gerade einfiel. Es wählte, unendlich lange lauschte ich dem Piepen in der Leitung, wartend das er abnahm. Gerade als ich wieder auflegen wollte, weil er nicht ranging, wurde abgehoben und ich hörte eine verschlafene Frauenstimme.

„Hallo?" krächzte die Stimme die ich als Stefanies ausmachen konnte. „Hi Steff" begrüßte ich sie und zog die Nase hoch, um einen Schluchzer zu unterdrücken. „Nora?" hörte ich Steff fragend, noch immer war ihre Stimme brüchig und krächzend. „Was machst du an Thomas Handy?" fragte ich. „Hast du mal auf die Uhr gekuckt? Wir schlafen schon längst, und das solltest du eigentlich auch tun Maus."

Ich hob mein Handy vom Ohr und schaute auf den Display. 2:17 Uhr leuchtete mir in weißen Ziffern entgegen. Scheiße, war es schon so spät? Ich hatte total vergessen auf die Uhr zu schauen als ich Thomas anrief. Saß ich wirklich schon so lange in der Ecke des Wohnzimmers?

„Scheiße, sorry Steff ich wollt dich nicht wecken." Flüsterte ich in den Hörer. „Was ist den los Nora? Ist alles in Ordnung?" fragte Stefanie. „Alles gut" meinte ich und versuchte das Zittern in meiner Stimme zu unterdrücken. „Das klingt aber nicht so, warte mal eine Sekunde ich wecke Thomas, du wolltest ja mit ihm reden." Hörte ich Steff aus der Leitung.

„Was? Steff nein, lass ihn schlafen, so wichtig ist das auch nicht." Versuchte ich sie davon abzuhalten bekam aber keine Antwort mehr. Durch das Telefon konnte ich hören wie Bettwäsche raschelte und Steff leise Thomas Namen sagte. Mist, ich fuhr mir durch meine Haare, warum war ich auch zu blöd, um auf die Uhrzeit zu kucken bevor ich jemanden anrief. Jetzt mussten sich Steff und Thomas die Nacht wegen mir um die Ohren schlagen. Und das wegen einer Vermutung bei der ich mir nicht einmal sicher war.

„Thomas wach mal auf, Nora ist am Telefon." Konnte ich Stefanie hören. „Was?" war auf einmal Thomas besorgte Stimme zu hören. „Nora?" konnte ich nun deutlich seine Stimme in der Leitung hören. „Thomas, sorry..." ich wollte gerade zu einer Entschuldigung für meinen Anruf ansetzten wurde aber direkt unterbrochen. „Noras ist alles okay? Was ist passiert? Geht es dir gut? Hat Marie..." noch viel mehr Fragen prasselten auf mich ein, die ich nicht mehr richtig hörte.

Auf einmal kam ich mir unglaublich dumm vor! Warum hatte ich Thomas überhaupt angerufen? Ich konnte ihm ja schlecht erzählen das ich glaubte das Mama wieder am Trinken war, aber meine weinerliche Stimme hatte mich sowieso schon verraten. Aber Thomas würde sofort das Jugendamt anrufen, sie würden mich von Mama wegholen, für etwas was sie vielleicht nicht mal getan hatte. Ich vermutete ja nur das sie trank. Ich konnte es Thomas und Steff nicht sagen, die Folgen wären zu schrecklich. Ich schluckte und konzentrierte mich wieder auf Thomas Stimme.

„Nora? Nora antworte doch!" hörte ich ihn besorgt am anderen Ende der Leitung. Ich atmete zitterig ein dann wieder aus, ein kleiner Schluchzer entwich mir. „Nora..." hörte ich nun auch Steffs besorgte Stimme. Ich fasste einen Entschluss. Ich würde es ihnen nicht erzählen.

„Ich... ich vermisse euch!" log ich.

Na ja, eigentlich war es keine Lüge, ich vermisste die beiden jeden Tag schrecklich. Ich hörte Thomas und Steff am anderen Ende aufatmen. „Ich dachte schon Marie würde..." murmelte Thomas leise. „Nein." Antwortete ich mit brüchiger Stimme. „Mama schläft, nur ich bin noch wach." Schon wieder eine Lüge. Ich fühlte mich unglaublich schlecht den beiden etwas vorzulügen, aber ich konnte ihnen nicht erzählen was wirklich los war. Es ging nicht.

„Nora wir vermissen dich auch unglaublich!" hörte ich Stefanie sanft sagen. Ich schniefte. „Wir vermissen dich jeden Tag ganz schrecklich" bestätigte Thomas. „Kann, kann ich vielleicht mal eine Wochenende zu euch kommen?" schluchzte ich aufgelöst. „Natürlich, Nora!" sagte Steff. „Was ist das für eine Frage? Wir haben gesagt unsere Türen stehen immer offen, und das meinen wir auch so. Du kannst immer kommen! Egal wann."

Ich konnte meine Tränen nicht mehr länger zurückhalten. „Nora, bitte wein nicht, du kannst immer zu uns kommen!" meinte Thomas liebevoll.

„Ich weiß" weinte ich weiter, dabei weinte ich eigentlich wegen etwas ganz anderem.

↬ 𝐒𝐜𝐡𝐫𝐢𝐭𝐭𝐞 // 𝐒𝐢𝐥𝐛𝐞𝐫𝐦𝐨𝐧𝐝 𝐅𝐚𝐧𝐟𝐢𝐜𝐭𝐢𝐨𝐧Where stories live. Discover now