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Thomas:

Das Tuten meines Handys, das mir signalisierte, das gewählt wurde riss mich aus meinen Gedanken. Aufgeregt klopfte ich irgendeinen Takt auf meinen Oberschenkel. Ich war dabei Marie anzurufen. Ich wollte jetzt endlich wissen, wie es den beiden in Kassel wirklich ging. Jedes Mal, wenn ich mit Nora telefonierte, was zugegebenermaßen wirklich nicht oft passierte, erfuhr ich nichts. Marie war für mich nie zu sprechen, und Nora gab nichts preis. Langsam machte ich mir echt Sorgen. Marie war die letzten Jahre anfällig für Alkohol geworden und musste sogar einmal in Therapie. Das Nora in der Zeit bei dem festen Freund von Marie gut untergebracht war, hatte ich mitbekommen. Was aber gerade Sache war wusste ich nicht. Ob Marie aus der Sucht rausgekommen war, wusste ich nicht, und das bereitete mir wirklich Bauchschmerzen.

Es klingelte nun schon echt lange, gerade wollte ich die Verbindung unterbrechen als am anderen Ende abgehoben wurde. „Hallo?" wurde ich von einer rauen und wackeligen Stimme begrüßt. „Marie? Thomas hier." Stellte ich mich vor. „Wer?" ich zog die Augenbrauen zusammen, das ganze gefiel mir nicht. „Thomas, dein One-Night-Stand?" wiederholte ich. „Ah so." murmelte die Frau am anderen Ende, ihre Stimme klang irgendwie ganz anders. „Marie alles klar bei euch? Wie geht es euch?" stellte ich die Frage, vor der ich mich am meisten gefürchtet hatte. „Gut, uns könnte es nicht besser gehen!" lallte die Frau am anderen Ende, sie hatte getrunken stellte ich alarmiert fest. „Wo ist Nora?" fragte ich kühl. „Weiß nicht, wird schon kommen" lallte Marie desinteressiert in den Hörer. Auf einmal bekam Marie einen gackernden Lachanfall, ich hielt mir den Hörer ein paar Zentimeter vom Ohr weg. „Weißt du es ist so schön. So schön." Hörte ich sie sagen, bevor ich das Gespräch vor lauter Wut unterbrach. Wütend fuhr ich mir durch meine braunen Haare.

Dann wählte ich erneut eine Nummer, allerdings die von meinem Bruder. Als er nach drei Mal klingeln abnahm begrüßte er mich überschwänglich. „Hallo Bruder wie geht's?" Ich atmete einmal tief durch und platzte dann direkt mit der Wahrheit heraus. „Hannes es geht um Nora." Sofort klingelten bei Hannes sämtliche Alarmglocken. Er war ihr Onkel, selbst wenn sie nie wirklich Kontakt zu ihm hatte, kannte sie ihn, und er sie. Er hatte mir geholfen die Zeit der Schwangerschaft durchzustehen, und danach mit der Situation fertigzuwerden. Er hatte Nora immer liebgehabt, das wusste ich. „Was ist passiert?" riss mich seine angespannte Stimme aus meinen Gedanken. „Marie hat wieder angefangen zu trinken." Platzte ich heraus. „Scheiße!" stieß Hannes aus. „Sie ist zugedröhnt sie weiß nicht mal mehr wo Nora ist und es ist ihr auch total egal." Rief ich in den Hörer, die Sorge in meiner Stimme war unüberhörbar. „Hannes ich will da hin, ich muss selber sehen, ob es Nora gut geht." Ich hörte wie am anderen Ende der Leitung etwas auf einer Tastatur getippt wurde. „Der nächste Zug nach Kassel fährt in einer Stunde." Verkündete mein Bruder. „Ich würde mitkommen." Schlug er vor. Ich wusste das er sich wahnsinnige Sorgen um Nora machte. „Okay, ich spreche mit Steff." Sagte ich. „Wir treffen uns am Bahnhof." Meinte Hannes knapp. Dann war die Leitung unterbrochen.

Ich atmete einmal tief durch. Ich erhob mich und lief in unsere Küche, wo meine Freundin Steffanie gerade am Schnippeln war. „Hey." Begrüßte sie mich liebevoll, als sie mir ins Gesicht blickte veränderte sich ihr Gesichtsausdruck sofort. Sie wusste das etwas nicht in Ordnung war. „Was ist passiert?" fragte sie mich etwas ängstlich. „In Kassel ist etwas passiert, ich fahr da, mit Hannes jetzt hin." Sprach ich die Wahrheit unruhig aus. „Ist was... geht es Nora gut?" hakte sie nach. „Ich weiß es nicht, Marie säuft sich das halb tot, ich will einfach sehen, wie es Nora geht." Erklärte ich. Sie nickte. „Ruf mich an, wenn du mich brauchst." Ich umarmte sie dankend. „Wie lange bleibt ihr weg?" Ich zuckte mit den Schultern. „Weiß ich nicht" „Okay, ihr schafft das, falls irgendwas ist, ich bin immer erreichbar." Ich bedankte mich bei meiner wundervollen Freundin mit einem Kuss. Dann begann ich mir einen Rucksack zu packen mit den wichtigsten Sachen. Auch eine zweite Jeans und einen Pullover legte ich dazu, wer weiß wie lange wir brauchen würden. Ich verabschiedete mich von Steffanie und versprach sie auf dem Laufenden zu halten.

Dann machte ich mich auf den Weg zum Hauptbahnhof von Berlin. Dort traf ich auf meinen Bruder, der mich nervös erwartete. Gemeinsam bestiegen wir den Zug nach Kassel. Gedankenverloren starrte ich aus dem Fenster. Ich hatte keine Ahnung was mich in Kassel erwarten würde. „Glaubst du ihr geht es gut?" fragte ich mit zittriger Stimme meinen großen Bruder. „Ich weiß es nicht Thommy." Gestand er mir ehrlich. „Aber wen es ihr schlecht gehen würde glaubst du nicht, dass sie sich dann schon gemeldet hätte?" Ich zuckte mit den Schultern. „Sie hat noch nie Kontakt zu mir gewollt." „Das wird schon." Meinte mein Bruder aufmunternd. Die nächsten drei ein halb Stunden vergingen schleppend und unendlich langsam. Je näher wir Kassel kamen desto nervöser wurde ich, ich hatte keine Ahnung was mich erwarten würde.

In Kassel stiegen mein Bruder und ich aus, und liefen zu der Wohnung die Nora und Marie bewohnten und nur zwanzig Minuten vom Bahnhof entfernt lag. Wir liefen mehrere Etagen hoch und kamen schließlich zu der Haustür, hinter der meine Tochter lebte. Johannes klingelte, woraufhin keiner öffnete. Nervös klingelte ich nochmal. Und nochmal, bis wir ein Scheppern aus dem inneren vernahmen. Ängstlich schaute ich meinen Bruder an. Dieser drückte zum wiederholten Mal auf den Klingelknopf. Nach ein paar Sekunden die mir wie eine Ewigkeit vorkamen, wurde die Tür geöffnet und eine betrunkene Marie schaute uns entgegen. „Marie..." mein Bruder war fassungslos, und ich ebenfalls. Die gut gelaunte, vor Lebensfreude sprühende, hübsche Marie die ich kennen gelernt hatte, war wie ausgewechselt. „Was wollt ihr?" fragte sie uns kalt.

„Wo ist Nora?" fragte ich sie und versuchte die Fassung zu bewahren. „Weiß nicht was euch das angeht." Lallte sie. Ich spürte wie die Wut in mir hochkam, dieser Frau ging es am Arsch vorbei, wie es ihrer Tochter ging. „Können wir erstmal reinkommen?" fragte Hannes. Marie zuckte mit den Schultern und lief wieder zurück in ihre Wohnung. Die Tür ließ sie offenstehen. Nach kurzem Zögern betraten wie ebenfalls die Wohnung. Der Zustand dieser Wohnung verschlug mir die Sprache. Es war stickig und man konnte den Alkohol riechen. Während wir uns einen Weg durch das Chaos bannten, mussten wir über mehrere Flaschenberge steigen. Die Wohnung war in einem verwahrlosten Zustand. Wir folgten Marie in den Raum, der das Wohnzimmer sein sollte, wo Marie schon saß und eine Bierflasche in der Hand hielt. Ich lief zu ihr und riss ihr diese aus der Hand. „Sag mal geht's noch?" fuhr sie mich an. „Du hast genug getrunken. Verdammte Scheiße wo ist Nora?" rief ich. Fassungslos fuhr ich mir durch die Haare. Dann bannte ich mir einen Weg durch das Chaos, um Nora vielleicht in der Wohnung zu finden. Mein Bruder blieb bei Marie. Auch ihm konnte ich ansehen, wie fassungslos er über die Zustände war in denen Nora leben musste. Ich schaute jeden Raum durch. Hinter einer Tür fand ich einen aufgeräumten Raum. Ich nahm an das hier Nora wohnte, aber sie war nicht hier.

„Wo ist Nora." Schrie ich nun fast als ich das Wohnzimmer wieder betrat. „Ruhig bleiben Thommy." Ermahnte mich mein Bruder. Schnaubend zog ich einen Stuhl heran und ließ mich mit verschränkten Armen darauf nieder. „Marie, wir sind gekommen, weil wir uns Sorgen machen, wie es Nora geht." Erklärte Hannes jetzt bemüht ruhig. „Warum? Uns geht es doch gut." Empörte sich Marie. Ich knirschte mit den Zähnen. „Und warum sieht es dann hier wie ein verwahrloster Stall aus?" platzte es aus mir heraus. „Marie, wir denken das es Nora nicht guttut, wen sie weiter hierbleibt." Sprach mein Bruder aus. Mein One-Night-Stand sprang auf. „Das könnt ihr nicht machen, das lasse ich mir nicht gefallen!" empörte sie sich. Mit schnellen Schritten verließ sie den Raum und wir hörten nur noch die Haustür.

„Scheiße." Stießen mein Bruder und ich gleichzeitig aus. Und damit hatten wir verdammt recht.

↬ 𝐒𝐜𝐡𝐫𝐢𝐭𝐭𝐞 // 𝐒𝐢𝐥𝐛𝐞𝐫𝐦𝐨𝐧𝐝 𝐅𝐚𝐧𝐟𝐢𝐜𝐭𝐢𝐨𝐧Où les histoires vivent. Découvrez maintenant