- 𝟓𝟕 -

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Nora:
Der Arzt hatte das Gespräch beendet und widmete seine volle Aufmerksamkeit nun wieder mir. "Nora..." erreichte mich seine beruhigende Stimme. Ich starrte ihn an. Richtig wahrnehmen konnte ich ihn nicht. Ich hörte nur seine von weitem hallende Stimme. Auch seine ganze Figur nahm ich nur noch schemenhaft war.

"Nora, hörst du mich?" Fragte er. Ich wollte Nicken, irgendetwas sagen aber ich hatte keine Kontrolle über meinen Körper. Ich hätte nicht einmal meinen kleinen Finger heben können, wen ich es gewollt hätte. Ich starrte auf irgendeinen undefinierbaren Punkt und hatte einfach nur... Angst? Nein, ich hatte keine Angst. Auch Trauer die ich hätte verspüren müssen konnte ich nicht spüren. Ich fühlte gar nichts. Da war nichts, einfach nichts.

"Nora, du musst dich beruhigen." Erreichte mich die Stimme des Arztes, keine Sekunde später wurde es schwarz.

In meinen wilden Träumen wurde ich von den schlimmsten Erinnerungen heimgesucht die ich je erlebt hatte:

Ich war in der Schule gewesen, hatte den Matheunterricht hinter mich gebracht und war nun auf dem Weg zu der Politikstunde. Ich betrat den Klassenraum in dem schon ein Großteil meiner Mitschüler saßen. Ich ließ meinen Blick über die Reihen schweifen und fand noch einen freien Platz in der hintersten Ecke. Schnell ließ ich mich auf den freien Platz nieder und wartete auf den Beginn der Stunde. Mit etwas Verspätung kam meine Lehrerin herein und begann ihren Unterricht. Plötzlich vibrierte mein Handy in meiner hinteren Hosentasche. Vorsichtig holte ich es hervor und entsperrte es heimlich unter dem Tisch. Ich ließ meinen Blick über den Display wandern und sah eine Sprachnachricht von Mama. Mein Herzschlag setzte aus. Scheiße, es war etwas passiert sonst würde Mama keine Nachricht schreiben. Sie schrieb sonst nie, ich war ihr sonst egal. Schnell meldete ich mich und da meine Politik-Lehrerin gerade eh eine Frage gestellt hatte wurde ich auch sofort drangenommen. "Ich muss einmal aufs Klo" teilte ich ihr mein Anliegen mit. Ich sah sie seufzten "Gerade war Pause" meinte sie. "Ich weiß aber ich muss." Setzte ich mit mehr Nachdruck an. "Na dan los..." seufzte sie. Schnell verließ ich meinen Klassenraum. Draußen hörte ich die Nachricht an und wurde von Mamas keifender Stimme empfangen. "Du bewegst jetzt sofort deinen Arsch hierher mir ist der Alk ausgegangen." Schrie sie mich durch das Handy an. An ihrer Stimme konnte ich hören das sie schon ziemlich viel getrunken haben musste. Ab da war mein Verstand ausgeschalten. Mama ging es nicht gut. Sie sagte immer das es ihr gut ginge solange sie Alkohol hätte, und das sie traurig und depressiv werden würden, wen sie keinen bekommen würde. Ich musste ihr neuen besorgen. Ich hinterfragte diese Anweisung auch nie. Meiner Mutter musste es gut gehen. Sonst wäre ich schuld an ihrem Leid. Und das konnte ich ihr doch nicht antun. Ich wäre verantwortlich für Mamas leiden. Ich öffnete die Tür des Klassenraumes rannte hinein, ignorierte den verwirrten Blick meiner Lehrerin schnappte mir meinen Rucksack und rannte wieder heraus. Die Rufe meiner Lehrerin beachtete ich gar nicht. Ich rannte bis ich das Schulgebäude hinter mir gelassen hatte. Dann lief ich weiter bis ich zum nächsten Supermarkt kam. Ich betrat den Laden und automatisch setze mein schlechtes Gewissen ein. Es war falsch was ich jetzt machen würde. Ganz falsch. Mit jedem Schritt den ich zu der Alkohol Abteilung ging, wurden meine Füße schwerer. Ich griff in aller Eile nach den Flaschen stopfte sie in meinen Rucksack und lief wieder hinaus. Ich hörte den schrille Alarmton und meine Schritte beschleunigten noch. Ich hatte mittlerweile eine Taktik entwickelt wo ich wieder Luft holen konnte und von dem Sprint ausruhen konnte. Nach etwa fünfzehn Minuten kam ich an unserer Wohnung an. Ich öffnete die Tür und wurde direkt von meiner Mutter empfangen. Diese nahm mir unsanft den Rucksack ab und öffnete ihn grob. Sie starrte hinein und ihr wilder Blick traf mich als sie wieder hochschaute. Mit einem aggressiven Ton packte sie mich im Genick und schleppte mich in die Küche. Dort entließ sie mich aus ihrem harten Griff und stieß mich zu Boden. "Was soll das sein?" Schrie sie. "Ich... was habe ich falsch gemacht?" Rief ich eingeschüchtert. Am Nacken zog sie mich hoch und hielt mir den geöffneten rucksack vor die Augen. Fuck! In der Eile hatte ich 1. viel zu wenig Alkohol eingepackt und 2. den falschen. Auf einzelnen der Bierflaschen konnte ich das Wort Alkoholfrei lesen. "Was zur Hölle soll das sein?" Schrie sie erneut. "Ich... Ich weiß es nicht" schrie ich nun auch als sich ihr Griff um meinen Hals noch verstärkte. "Es tut mir leid! Es tut mir leid!" Schrie ich hysterisch. "Ich besorg dir neuen, ich gehe gleich los." Bot ich ängstlich an, in der Hoffnung Mama wurde dann ruhiger werden. "Du wirst mir neuen besorgen aber erst wen ich mit dir fertig bin." Flüsterte sie hämisch und ich wüsste was nun kommen würde. "Mama, bitte nicht! Es wird nie wieder vorkommen, ich schwöre es. Es war dumm von mir, ich tue es nie wieder! Mama bitte..." mein flehen wurde ignoriert. Grob zog mich meine Mutter zu der Küchenzeile wo sie sich einen Löffel aus der Schublade griff. Diesen erhitze sie über dem Herd. "Mama bitte..." war das letzte was ich sagen konnte bevor Mama den kochend heißen Löffel auf meinen Unterarm presste. Mein schreien und mein winden schien Mama nicht zu stören. Im Gegenteil es schien sie nur anzuspornen. Nach einer gefühlten Ewigkeit in der ich mich vor schmerzen krümmte nahm Mama endlich den Löffel von meinem Arm, nur um ihn mir mit aller Wucht ins Gesicht zu schlagen. Erneut stieß ich einen Schrei aus. "Das hast du verdient verstanden!" brüllte Mama. "Ich will das du weißt das nur du allein daran schuld bist das ich das machen musste! Nur du allein, sag es!" Ich schluckte. "Ich allein bin schuld, du kannst gar nichts dafür. Es war mein Fehler." Schluchzte ich. "Richtig und jetzt verdammt nochmal hör auf zu heulen." Brüllte sie, und stieß mich von sich. Durch den plötzlich Stoß konnte ich mich nicht mehr halten und knallte mit dem Kopf gegen die Tischkante. Ein erneutes schluchzten kam aus meinem Mund. "Hör endlich auf oder ich prügle so lange auf dich ein bis du nicht mehr weinen kannst." Schrie sie. Schnell wischte ich mir die Tränen vom Gesicht. "Und jetzt geh und hol mir richtigen Alkohol." War ihre letzte Anweisung bevor ich aus dem Raum rannte. Ich öffnete die Haustür und dort stand sie schon wieder. Mit dem Löffel in der Hand ging sie auf mich los. Ich lief zurück in die Wohnung dort war sie auch. Das war der Moment wo ich realisierte das es nur ein Alptraum war.

Erschrocken fuhr ich aus dem Schlaf. Ich atmete tief durch bis ich die Orientierung wieder gefunden hatte. Ich war noch immer im Krankenhaus. "Nora!" Hörte ich eine erleichterte aber sehr bekannte Stimme. Ich drehte mich zur rechten Seite und dort saßen sie. Nowi, Onkel Hannes, und Steff. "Was...was macht ihr hier?" Fragte ich, bevor ich von Steff in eine lange Umarmung gezogen wurde. Ich spürte wie Steff ein paar Tränen die Wangen hinunter liefen und auf meine Haare tropften. "Ich..." Ich wollte etwas sagen, aber es kamen nur Schluchzer aus meinem Mund. "O mein Schatz" murmelte Steff immer und immer wieder. "Geht es dir gut?" Fragte sie schlußendlich und schaute mich von oben bis unten an. Ich nickte. "Verdammt ich hab mir solche Sorgen gemacht! Solche Sorgen!" Dann lag ich in Onkel Hannes armen. "Maus ich habe doch gesagt Bau keine scheiße." Murmelte er in die liebevolle Umarmung. Mir entwich sogar sowas wie ein Lachen "Ich hab's versucht..." setzte ich an wurde aber von Nowis Umarmung unterbrochen. "Ich wollte das alles nicht..." versuchte ich zu erklären. "Das wissen wir doch" flüsterte Steff und zog mich erneut in eine Umarmung.

Ich schaute mich in dem Zimmer um und sah das die drei schon sehr lange hier gesessen haben mussten. Mehrere Kaffeebecher standen auf der Fensterbank und in ihren müden Gesichtern sah man die Wartezeit. "Wo ist Thomas?" Fragte ich und schaute mich weiter suchend um. "Der holt uns nur schnell Kaffee." Meinte Hannes.

Die Nachricht das Thomas hier war ließ mein Herz schneller schlagen. Es weckte in mir ein unfassbar großes Verlangen ihn jetzt endlich zu sehen, ihm endlich die Wahrheit zu sagen, ihn endlich zu umarmen und einfach Tochter sein zu dürfen. "Wo ist er?" Stieß ich aus. "Er ist beim Kaffeeautomaten, Kaffee holen..." wiederholte Hannes sein Information. "Wo genau?" Fragte ich ungeduldig. "Der Kaffeeautomat ist am Ende des Flures links" beschrieb mir Johannes verwirrt. "Waru..." weiter kam er nicht den Ich schlug die Bettdecke beiseite und sprang aus dem Bett. Ich riss die Tür zu meinem Zimmer auf und rannte den Flur entlang. Die Rufe von Steff und Hannes das ich aufpassen sollte und langsam machen sollte hielten mich nicht auf, ich musste ihn sehen, jetzt.

Ich bog links ab und da sah ich ihn. Papa!

Thomas:
Ich stand an dem Kaffeeautomaten und wartete darauf das dieser mir das Elexier ausspucken würde dass das einzige war was mich in diesem Moment  noch am Leben halten konnte. In diesem Sekunde hörte ich Schritte die sich schnell näherten. Überrascht wer hier so ein Tempo draufhatte drehte ich mich um.

Kaum das ich mich umgedreht hatte kam mir ein ersticktes „Papa!" entgegen. Obwohl ich das Wort in Bezug zu mir noch nie von ihr gehört hatte, wusste ich das sie es war. Denn ihre Stimme würde ich unter tausenden erkennen. Keine Sekunde später hielt ich meine Tochter in den Armen.

↬ 𝐒𝐜𝐡𝐫𝐢𝐭𝐭𝐞 // 𝐒𝐢𝐥𝐛𝐞𝐫𝐦𝐨𝐧𝐝 𝐅𝐚𝐧𝐟𝐢𝐜𝐭𝐢𝐨𝐧Where stories live. Discover now