53. Kapitel: Familie

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Annas POV

Raphael verschränkte die Arme vor der Brust und sah mich erwartungsvoll an. "Du hast mir einiges zu erklären."

Seine Stimme war nicht unfreundlich, schlicht neutral. Sie holte mich in die Realität zurück. Ich schluckte und nickte, hielt seinem Blick stand. Mein Herz hämmerte durch meine Brust. Ich konnte immer noch nicht glauben, dass er vor mir stand, dass er hier war. Ich hatte nicht damit gerechnet. Nun stand er in meinem alten Zimmer. Seine braunen Augen sahen mich an, er hatte ein Pokerface aufgesetzt.

Unwillkürlich überlief mich ein Schauer und ich biss mir auf die Lippe. Er war hier und er wollte mir zuhören. Das war alles, was zählte. Meine Lippen brannten immer noch von dem Kuss. Am liebsten würde ich ihm wieder in die Arme fallen, ihn festhalten und nie wieder gehen lassen.

Meine Hände ruhten in meinem Schoß als ich begann zu erzählen. Ich ließ kein Detail aus, ich setzte da an, wo alles für mich begonnen hatte: meinem Umzug nach Berlin, denn den Anfang der Geschichte kannte er ja. Ich erzählte von den Berlin-Regeln, meiner Abneigung gegen Straßenrap und meiner ständigen Angst, Max zu verlieren, sollte ich mich nicht daran halten. Ich erzählte ihm, dass ich so verunsichert gewesen war, dass ich Max anfangs nichtmal erzählt hatte, dass er mein Nachbar war. Ich erklärte, wie ich mich mit allen Mitteln von ihm hatte fern halten wollen - einfach, weil ich Vorurteile hatte und Angst. Er erfuhr, wie ich mit mir gerungen hatte, es ihm zu sagen, als wir zusammengekommen waren - aber wie ich wieder Angst gehabt hatte. Ich kehrte mein Innerstes komplett nach außen, ließ ihn alles spüren.

Meine Stimme blieb erstaunlich fest. Er unterbrach mich nicht, hörte aufmerksam zu. Ich konnte keine Gefühlsregung in seinem Gesicht erkennen, aber ich ließ mich nicht verunsichern.

Ich erzählte, wie sich die Angst, dass Max gehen würde in die Angst verwandelte, dass ich ihn verlieren könnte. Dass ich so tief drinsteckte, dass ich selbst nicht mehr wusste, wie ich daraus kommen sollte.

Erst zum Ende hin brach mir die Stimme weg. "Ich wollte dich nie verletzen, niemals." Ich spürte, wie eine Träne meine Wange runter rann. "Ich hatte so eine scheiß Angst, dass du mich nicht verstehen kannst und gehst. Ich hab so Angst, dich zu verlieren. Mir war noch nie jemand so wichtig wie du. Und ich weiß, dass ich hier gerade echt viel von dir verlange und meine ganze Familie kompliziert ist. Aber bitte, gib mir noch eine Chance. Ich verspreche dir auf alles, was mir wichtig ist, dass ich sowas nie wieder mache - ich werde immer direkt ehrlich sein. Ich weiß, dass ich dir vertrauen kann." Ich sah zu ihm hoch. "Vertraust du mir?"

Er sagte nichts, sah mich einfach nur an. Irgendwann in der Mitte meines Monologs hatte er begonnen, im Zimmer auf und ab zu gehen. Jetzt stand er wieder an der gleichen Stelle wie zu Beginn, versteinert und sah mich an. Mit zwei Schritten war er bei mir, setzte sich neben mich. Sanft strich er mir über die Wange.

"Ich vertraue dir", murmelte er. "Ich kann zwar immer noch nicht nachvollziehen, dass du solange nichts gesagt hast. Aber ich verstehe irgendwo, dass du erst alles mit Max klären wolltest."

Ich schloss die Augen und erlaubte mir, für einen Moment nichts als Erleichterung zu fühlen. "Danke", flüsterte ich. "Rückblickend weiß ich auch nicht, warum ich nicht früher etwas gesagt hab. Aber ich hatte einfach so Angst, dass du mich verlassen könntest. Mir ist erst an meinem Geburtstag klar geworden, dass es schon lange nicht mehr um Max ging, sondern nur noch um dich. Und als Max plötzlich kein Thema mehr war, da hab ich es einfach verdrängt. Ich glaube, ich hab meine Verlustängste doch nie ablegen können. Es tut mir so leid."

"Ja, sollte es auch. Das war ein beschissenes Gefühl."

Ich war ihm dankbar, dass er nichts beschönigte und es ausdrückte, wie es war. Ich nickte. "Ja. Ich weiß." Ich lehnte mich an ihn. Er legte den Arm um mich und strich mir sanft über die Schulter. "Gibst du mir noch eine Chance?", fragte ich.

BESSER SAG NIX - SAG MIR ALLES | RAF CamoraWhere stories live. Discover now