21. Kapitel: Picknicks

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Annas POV

Eins musste man mir lassen: wenn ich eins konnte, dann war es meinen Problemen aus dem Weg zu gehen. Die Waffe beispielsweise hatte ich in einer kleinen Nische hinter meinem Bett versteckt bis ich wusste, was ich damit machen würde. Frei nach dem Motto: aus den Augen aus dem Sinn.

Ich konnte immer noch nicht glauben, dass ich gestern den Deal geschlossen hatte, ohne dass es zwischen mir und Raphael unangenehm geworden war. Im Gegenteil, er hatte sich benommen als wäre nie etwas passiert. Vielleicht wollte er so mit der Situation umgehen. Vielleicht wollte er vergessen, dass etwas passiert war. Aber eigentlich war er dafür zu nett zu mir gewesen. Er hatte gesehen, dass mich die Situation überfordert hatte und versucht, mich zu beruhigen. Das wusste ich wirklich sehr zu schätzen. Es zeigte mir, dass er meinen Fähigkeiten vertraute. Dafür würde ich ihm immer dankbar sein.

Bis auf die Dankbarkeit verbat ich mir jedoch jeden Gedanken an Raphael. Ich würde meinen Examensplan durchziehen. Deswegen reduzierte ich meine Stunden in der Kanzlei, würde nur noch einmal die Woche kommen und den Rest so viel lernen wie möglich. Keine Ablenkung, kein Raphael. Dass er wegfliegen würde, würde mir die Sache erleichtern, aber gleichzeitig spürte ich einen Stich im Herzen. Ich wollte es nicht zugeben, aber er würde mir fehlen. Die Möglichkeit, einfach zu ihm rüberzugehen, half mir bei meiner Verdrängung. Denn wollte ich es ändern, könnte ich es.

Im Moment wollte ich es aber nicht. Ich wollte einfach nur dieses scheiß Examen hinter mich bringen. Also hatte ich meinen Esstisch zur Lernzone erklärt und saß seit acht Stunden dran. Bis auf eine Lunchpause hatte ich durchgezogen. Mein Handy hatte ich so eingestellt, dass nur wichtige Anrufe durchgelassen wurden, denn für die Kanzlei musste ich auf Abruf bleiben. Trotzdem erschrak ich als es klingelte.

Ohne auf den Anrufer zu achten nahm ich ab. „Von Steinhauer?"

„Anna, schwing deinen Hintern in den Park."

Ich grinste. „Bella, du weißt, dass ich lernen muss."

Ich konnte ihr Augenrollen hören. „Ich wusste, dass du das sagst. Deswegen stehe ich vor deiner Tür." Es klingelte. „Bitte drück mir auf oder ich klingle Sturm." Sie legte auf.

Kopfschüttelnd stand ich auf und drückte ihr die Haustüre auf. Wenig später stand meine beste Freundin vor mir und grinste frech. Dann betrachtete sie mein Outfit. „Du hast echt noch die Jogginghose aus dem ersten Examen?"

Ich sah an mir runter auf die graue alte Jogginghose. Sie hatte Flecken, die nicht mehr rausgingen und ein Loch im Schritt. „Das ist meine Lernhose", verteidigte ich mich.

Dieses Mal rollte Bella wirklich mit den Augen. Dabei fiel ihr das honigblonde Haar in die Stirn und ihre blauen Augen leuchteten. „Und das wievielte Glas Erdnussbutter hast du schon gelöffelt?"

Schuldbewusst glitt mein Blick zu meinem Tisch, wo tatsächlich ein offenes Glas Erdnussmus mit Löffel drin stand. „Ich hatte erst zwei Löffel." Naja, vielleicht auch vier.

Bellas Blick fiel auf ihre dünne Armbanduhr. „Anna, nur heute Abend. Dann lasse ich dich bis zum Examen in Ruhe, außer du flehst mich an, dich abzulenken. Bitte." Sie setzte eine Schmolllippe auf. „Du hast doch bestimmt eh schon Stunden gelernt. Wie viel geht da noch in deinen Kopf rein?"

Ich zögerte. „Ich müsste eigentlich noch das eine Kapitel fertig machen."

„Bitte Anna. Felix kommt auch und er bringt einen Freund mit. Du kannst mich nicht mit den beiden im Stich lassen." Felix war Bellas Freund. Ich konnte ihn gut leiden, fand ihn aber irgendwie auf langweilig. Aber Bella war glücklich und das war alles was zählte. „Ich hab Janoschs Hafturlaub bewilligt bekommen. Da kannst du mit mir picknicken", fügte sie hinzu.

BESSER SAG NIX - SAG MIR ALLES | RAF CamoraWo Geschichten leben. Entdecke jetzt