23. Kapitel: Festivals

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Annas POV

Drei Wochen, acht Klausuren à fünf Stunden und zwei Panikattacken später saß ich wieder in meiner Berliner Wohnung. Ich hatte kein schlechtes Gefühl bei den Klausuren. Ich hatte mein Bestes gegeben und konnte jetzt ohnehin nichts mehr ändern.

Ich hatte Raphael tatsächlich über den Verlauf meiner Klausuren auf dem Laufenden gehalten und er schien sich ernsthaft dafür interessiert zu haben. Es war keine Ablenkung gewesen, im Gegenteil: das Gespräch mit ihm an seinem Geburtstag hatte mir einen großen Teil meiner Nervosität genommen und ich hatte unsere Unterhaltung genossen. Ich nahm ihm auch die Neugierde nicht übel. Ich wusste, dass er mich näher kennenlernen wollte, aber mir fiel es schwer, mich ihm zu öffnen. Je näher ich ihn an mich heranließ, desto stärker könnte er mich verletzten. Und ich hatte noch nicht herausgefunden, wie weit ich ihm vertrauen konnte. Denn ich wusste immer noch nicht, ob er mich wollte, weil ich es ihm schwer machte oder er ehrlich interessiert war. Seine Fragen sprachen für letzteres. Aber ich wollte keine voreiligen Schlüsse ziehen.

Ich musste einen Weg finden, mich ihm zu öffnen und nicht mehr in Verteidigungsmodus zu gehen, sobald er über meine Familie oder meine Vergangenheit fragte. Panik machte mir jedoch der Gedanke, dass er herausfinden könnte, wer mein Bruder war. Ich wusste nicht, ob es das kaputt machen, könnte was wir uns gerade aufbauten - was auch immer das war. Ich wusste nicht, ob das Wissen um meinen Bruder alles ändern würde, und ich war nicht bereit, dass herauszufinden. Also würde ich so weitermachen wie vorher und Raphael die Fragen so ehrlich es ging beantworten.

Obwohl ich schon zwei Tage zurück war, hatte ich ihn noch nicht gesehen. Er war den ganzen Tag am Tempelhofer und war mit Soundchecks und Proben beschäftigt. Er hatte mir einen Parkausweis und den VIP Pass mit den Backstagezugängen in den Briefkasten geworfen und mich per WhatsApp über seinen Auftritt informiert. Wir schrieben ein wenig über WhatsApp, aber nicht viel, da wir beide tagsüber gestresst waren. Raphael hatte gefragt, wie meine Zeit in Köln war und ich hatte ihm im Gegenzug mein Feedback zu den neuen Songs geschickt. Tatsächlich hatte ich eine Diskussion über Waffen vom Zaun gebrochen, denn der Refrain machte mich sauer. Raphael hatte abgeblockt und gemeint, ich solle mich nicht so anstellen, worauf hin ich ihm einen Monolog per Sprachnachricht über Feminismus gehalten hatte. Er hatte sie sich tatsächlich angehört und meinte daraufhin nur, dass er das Lied nie in meinem Beisein spielen würde. Damit konnte ich vorerst leben. Sag nix und Gotham City waren meine Favoriten. Tatsächlich spielte ich sie rauf und runter, obwohl sie erst im Dezember erscheinen würden.

Ich freute mich ehrlich darauf, Raphael spielen zu sehen. Wir hatten nicht mehr über die ausstehende Verabredung gesprochen, aber ich hatte es nicht vergessen. Er wollte zu zweit mit mir Zeit verbringen und das Wissen hinterließ ein angenehmes Kribbeln im Bauch. Aber ich hatte ihm auch einen Kuchen versprochen. Also verbrachte ich den Vormittag damit, eine Pistazienrolle für ihn zu backen. Ich würde sie einfach mit zum Festival nehmen. Ich war eine gute Bäckerin und es machte mir Spaß, Leute von meinen Backkünsten zu überzeugen. Für Raphael gab ich mir aber noch einmal extra Mühe.

Ich war aufgeregt, denn ich war noch nie irgendwo Backstage gewesen. Bei Max' Konzerten hatte ich Logenkarten, aber da er mich aus allem raushielt, hielt er mich auch aus dem Backstage raus. Ich war aufgeregt, wie ein kleines Kind am Weihnachtstag, als mich der Taxifahrer am Backstageeingang rausließ. Obwohl ich einen Parkausweis von Raphael bekommen hatte, hatte ich mich für die teure Taxifahrt entschieden, denn die Jungs hatten sicherlich einen Haufen Alkohol im Backstage und ich hatte das letzte Mal Wein mit Bella getrunken. Mit anderen Worten: ich hatte richtig Lust auf Party.

Ich zeigte meinen Ausweis vor und hing mir danach den VIP Ausweis um den Hals. Ich hatte mir die Haare wie damals fürs Petrol gestyled. Mit meinem Outfit war ich aber wieder genauso ratlos gewesen. Also trug ich wieder die Doc Martens (es war ein Festival, ich brauchte etwas bequemes und cooles, also Docs) und einen schwarzen Jeansrock. Da ich Raphael nie das Corboshirt zurückgegeben hatte - auch weil es mir beim Waschen ein bisschen eingelaufen war und mir das leid tat - trug ich es jetzt als lockeres Oberteil, das ich in den Jeansrock gestopft hatte. Mit dem Corbooberteil fühlte ich mich der Gruppe zugehörig. Immerhin war ich nur ihretwegen hier. Ich hatte mir noch eine einfache Sweatshirtjacke umgebunden, falls es kalt werden würde oder ich mich auf den Rasen setzen musste.

BESSER SAG NIX - SAG MIR ALLES | RAF CamoraWo Geschichten leben. Entdecke jetzt