16. Kapitel: Der Bruder

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Raphaels POV

Zu sagen, dass ich angepisst war, war vermutlich die Untertreibung des Jahrhunderts. Für wen hielt sie sich.

Ich wusste, dass meine Wut irrational und völlig unbegründet war. Sie hatte mich abgewiesen und damit hatte es sich. Eine Abfuhr. Mehr nicht. Ich war schon früher abgewiesen worden. Das war mir nichts neues. Aber es war etwas neues, seitdem es 1Raf7 gab. Seitdem hatte ich keine Abfuhr kassiert, sondern ich hatte Abfuhren verteilt. Jede Menge. Dass Anna nein gesagt hatte, kratzte an meinen Ego und zwar mehr, als es solltest. Ich musste zugeben, dass ich mir sicher gewesen war, dass sie ja sagen würde. Nachdem wir uns im Studio gut verstanden hatten und sie am nächsten Morgen Frühstück gemacht hatte, war ich sicher gewesen, dass sie es ähnlich sehen könnte. Aber Becca hatte Recht gehabt. Ich hatte schnell ein Traumbild aufgebaut. Zu schnell. Das war mir noch nie passiert und es würde mir auch nicht mehr passieren.

Ich war wirklich froh, dass ich mit Becca geredet hatte. Wie ich in dem Text geschrieben hatte, sie linderte immer die Schmerzen oder brachte Ordnung in mein Gefühlschaos.

Und trotzdem war ich angepisst, was sich besonders in meinem Fahrstil zeigte. Ich wurde auf der Strecke Wien nach Berlin mindestens zweimal geblitzt. Egal. Ich wollte nach Hause und gleichzeitig wollte ich wieder fliehen, denn zuhause könnte ich Anna treffen. Ich wollte sie nicht sehen, auch wenn ich nicht dachte, dass die Situation zwischen uns jetzt komisch sein würde. Dafür war sie zu professionell.

Gegen Nachmittag drückte ich die Tiefgarage auf. Ich hatte mich wieder beruhigt, doch als ich in meinen gewohnten Parkplatz einbog, kehrte die Wut zurück. Da stand wer. Das war doch jetzt nicht deren ernst. Es waren andere Parkplätze frei, aber das hier war meiner. Ich starrte den Porsche an. Kölner Kennzeichen. Anna. Okay, sie wollte mich ärgern. Also setzte ich mich auf den Parkplatz daneben und zwar so eng, dass sie über die Beifahrertür einsteigen müsste. Ich stieg aus und nahm meine Tasche aus dem Kofferraum. Dabei sah ich mir den Porsche genauer an. Das war nicht einfach irgendein Porsche, sonder der neue 911 GT2 RS. Krass, die bekam man nicht einfach so, man musste sich bewerben und wurde dann zugeteilt. Und mal wieder war es eine Sonderlackierung in einem aggressiven neongelb bis neongrün. Über die Motorhaube verliefen zwei schwarze Streifen. Das Auto sah gefährlich aus. Dann sah ich den Werbeaufkleber auf der Tür.

Porschezentrum von Steinhauer - Köln

Aha. Vielleicht hatte Anna ihren Audi ja eingetauscht. Ihr normaler Parkplatz war nämlich leer. Dann fiel es mir ein. Sie hatte angekündigt, dass ihr Bruder kommen würde. Vielleicht war das sein Auto. Aber das war sogar für Annas Verhältnisse übertrieben. Der GT2 RS war ein 700 PS Auto und in 1,5 Sekunden auf 100. Unausgestattet kostete der alleine schon fast 200.000 Euro. Ich wusste ja, dass sie von Geld kam, aber ihr Bruder war jünger. Als ob er ein Auto in diesen Dimensionen fahren würde.

Nein. Ich schüttelte entschieden den Kopf. Selbst wenn das sein Auto oder Annas neues war, konnte es mir egal sein. Es war mir egal. Aber wieder stellte ich fest, dass die gesamte Familie einfach Geschmack hatte, wenn es um Autos ging.

Ich verließ die Tiefgarage über den kleinen Zugang zum Wohnhaus. Die Tiefgarage wurde zwischen insgesamt drei Gebäuden geteilt und über die jeweilige Tür kam man mit dem passenden Türcode ins Gebäude. Das ermöglichte den Luxus eines Altbaus mit der Moderne einer Tiefgarage.

Im Flur roch es komischerweise nach Hund. Ich dachte mir nichts dabei, doch wurde im nächsten Moment fast von einem großen Dobermann umgenietet.

„Bonnie, aus!" Der Hund wich zurück. „Sitz." Er machte sitz, dann trottete er zu dem Typen, dem die Stimme gehörte. Ein blonder Mann saß auf der Treppe. Er trug ein weißes Shirt und eine helle blaue Jeans, dazu Nikes. Eine schwarze Bauchtasche hing quer, auf der in weiß Balenciaga stand. Er zog an der Leine und der Hund machte platz. Dann blickte er zu mir auf. Ich sah in dunkelgrüne Augen, die einen Hauch Blau um die Iris hatten. Sein Gesicht war scharf geschnitten und er musterte mich neugierig. Bis auf die Augen, die Haare, die Nase und die Wangenknochen war er die männliche Version von Anna. Ihr Bruder Johann stand vor mir. „Sorry", sagte er mit einer tiefen Stimme, die man ihm auf den ersten Blick nicht zutrauen würde. „Sie ist ganz aufgeregt, weil sie Anna überall riecht." Er stand auf streckte seine rechte Hand aus. Dabei fiel mein Blick auf seinen Unterarm. Dort prangte ein Tattoo; ein Rabe, der auf einen Stein pickte und die Flügel ausgebreitet hatte. Das Familienwappen. „Ich bin Johann, Annas Bruder." Er war nicht besonders groß, vermutlich keine 1.80, hatte aber die athletische Figur eines Schwimmers. Seine Schultern waren breit und die Arme gut trainiert.

BESSER SAG NIX - SAG MIR ALLES | RAF CamoraWhere stories live. Discover now