Eine Geschichte über Sumas Mutter (4)

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[Und dann habe ich eines Abends noch das hier geschrieben, was von Sumas Geburt und früher Kindheit erzählt. Dieser Text sollte in ein Buch über die Kinder der namenlosen Organisation rein, in der ich verschiedene Geschichten erzählen wollte, wie die Kinder überhaupt in die Organisation gekommen waren und aus welchen Verhältnissen sie kamen. Um es kurz zu sagen: keinen guten]

Er schreit – ein normales, gesundes Kind. Noch weiß er nichts von der grausamen Welt, von der Angst, dem Hass und der Schuld, die ihn einnehmen werden. Er schreit, weil er ein unschuldiges Baby, weil er ein Mensch ist. Ein winziges Wesen, dass ruhiger wird und zu schlafen beginnt.

Ein Mädchen lächelt traurig, streicht einen kurzen Augenblick über sein kleines Händchen, gibt es einer Krankenschwester und schläft weinend ein. Ihr unreifer Körper hätte ihr Kind beinahe nicht überlebt. Einige Wochen später verlässt sie das Krankenhaus – alleine.

Das Jugendamt versucht ihn zu vermitteln, doch es endet ohne Familie, in einem Auffanglager für Neugeborene. Er ist von Anfang an ein ungewöhnliches Kind in jeglicher Weise. Sein Aussehen sticht hervor, weiße Haare nur übertroffen von weißerer Haut, mit zwei Monaten beginnt er zu sitzen, nach zehn Monaten kann er stehen.

Nach einem Jahr wird er an ein Waisenhaus übergeben. Mit dreieinhalb Jahren beginnt er kurze Sätze, Absätze und Texte zu lesen. Doch bleibt stumm. Nach einem dreiviertel Jahr, mit vier Jahren, beginnt er sich schließlich auszudrücken - wenn es nötig ist. Doch fragen ihn die Betreuer nach seiner Stimmung, ernten sie Ignoranz. Er vertraut nicht. Und wird es in jedem Jahr weniger.

Am 1. Mai 2016 adoptiert ihn ein Mann mittleren Alters aus unerklärlichen Gründen. Und aus ebenso unerklärlichen Gründen wird diese Adoption genehmigt. Vielleicht, weil dieses Kind zum ersten Mal von jemandem Adoptiert werden will. Dass es endlich jemanden gibt, der sein Aussehen nicht zu befremdlich findet. Vielleicht auch, weil dieser Mann Bekannte mit genügend Macht hat, sodass sein wahres Motiv nicht aufgedeckt wird.

Kinder werden nicht bestraft.

Kinder sind unschuldig.
Kinder fallen nicht auf.

Der in jeder Weise auffällige Junge wird ausgebildet und kurz vor seinem fünften Geburtstag auf seinen ersten Auftrag geschickt, zusammen mit Nummer 1. Die Tablette mischt er in ein Getränk und geht ohne von irgendwem beachtet zu werden. 01 macht nichts, hilft dem Neuling nicht, denn er benötigt sie anscheinend nicht.

Empört verweigert 01 die weitere Zusammenarbeit mit dem Kind. Darauf beginnt der Adoptivvater in dem blauäugigen Neuling eine große Chance zu sehen, sodass dieser langsam von allen abgeschottet Ausgebildet wird, zu anderen Zeiten besseres Essen als sie bekommt und ohne einen sonst üblichen Partner arbeitet. Innerhalb von zwei Jahren wird dieses Kind zur neuen Nummer 1.

Mit sechs Jahren bricht er einem Menschen zum ersten Mal das Genick. Es ändert sich nicht mehr, als dass seine Äuglein ihre Spiegelung verlieren und sein seltenes Lachen komplett verschwindet.

Mit Zehn bringt er seinen hundertsten Menschen um, noch immer ist er abgeschotteter von den anderen Kindern. Es gibt keine Bücher, nur eine Spielzeugkiste. Der Junge spielt nicht. Er macht nichts, außer das, was er muss. Aufträge erfüllt er mit Bravour.

Das erlernte Lesen vergisst er als eines von wenigen Dingen nicht. Mit 15 Jahren beginnt er ein Buch zu lesen, welches im Flur der Villa vergessen wird. Insgesamt liest er es sieben Mal, doch sehnt sich nach anderen Welten. Nach Orten, die nicht sind wie die Villa und Menschen, die nicht den innerlichen Druck besitzen, den er verspürt, seit er dort ist. Alles Vorherige ist verblasst und nur dunkel in seiner Erinnerung. Figuren in Büchern sind nicht blass, wie er und die anderen Kinder. Er denkt, vielleicht könnte er lesen, wäre er fort. Die Aufträge bewerkstelligt er weiterhin als der Beste.

Schließlich verschwindet er mit 16, wissend, dass ihm niemand etwas anhaben kann, denn keiner tötet den mit Abstand Besten. Das Buch begleitet ihn.

Fast ein Jahr lebt er von Diebstahl. Er bricht nachts in Bäckereien ein, um an Essen zu gelangen und in Bibliotheken, um in der Kinderbuchecke zu schlafen. Er bringt sich das Schreiben selbst bei indem er einzelne Wörter abschreibt. Sein „a" ähnelt eher einem „e", seine „e"s verwischen in „o"s. Zudem ist er Linkshänder. Seine Buchstaben stehen eng beieinander, schmal und hoch.

Wie kommt es, dass dieser Junge auf das berühmte Weltinternat geht? Lina Rat. Ihr fällt der Junge auf, der tagtäglich in der Bücherei sitzt und liest, schreibt [Mathebuch]

[Und dann schrieb ich dazu noch folgende Anmerkungen: wie er aufs Internat kam; Wie die Lehrer zu ihm stehen; kurz: was in Blumenbrechen geschieht; Bedeutung der Geschichte: er ist nicht mehr als ein kleines Kind.]

Blumenbrechen (Wird Nicht Mehr Überarbeitet Und Auch Nicht Fortgesetzt)Where stories live. Discover now