44. - Kapitel 9 (1)

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Zwei Wochen, die sich Suma nicht auf seinem Baum hatte blicken lassen. Und nun saß er wieder da. Inzwischen war der August angebrochen und die Temperaturen draußen stiegen ins Unermessliche. Trotzdem saß Suma mit seiner Jeansjacke dort und starrte seinen Block an. Im Unterricht war er die letzten Wochen ausnahmslos erschienen.

Kiana guckte aus dem Fenster und begann unweigerlich zu grinsen. Sein Kugelschreiber war neu, hatte eine silberne Spitze, die im Sonnenlicht glänzte. Der Block war inzwischen fast leer. Kiana bemerkte ihren Gesichtsausdruck, merkte, dass sie noch immer wütend war und noch immer Mitleid empfand. Sie öffnete das Fenster und guckte Suma an.

„Hallo.", grüßte Kiana. Suma fuhr hoch.

„Was willst du?", fragte er sofort.

Kiana runzelte die Stirn. Was sie wollte? „Ist alles okay?"

„Natürlich." Suma drehte seinen Kopf zum Fachtrakt, weg vom Fenster, weg von Kianas Rehaugen. Er wusste es. Wusste, dass er sie nicht überzeugte, wusste, dass sie ihm wieder nicht glaubte und er selbst glaubte sich kaum noch.

„Warum bist du so nervös?"

„Ich bin nicht nervös." Er blieb so sitzen, sah weg. Weg, weg. „Wie kommst du darauf?"

Sie blickte auf seine rechte Hand, die vor ihrem Fenster baumelte. „Vielleicht irre ich mich auch. Ich habe den Eindruck, immer wenn du nervös bist, tickst du gegen deinen Fingernagel."

Er sah zu seiner Hand. Sofort hörte er auf. Das tat er noch immer?
Er hatte schon aufgehört. Vor ewigen Zeiten.
Das tat er nicht mehr. Warum sollte er auch? Das war sinnlos.

„Wie oft noch? Ich bin nicht schwach, Kiana. Ich bin es nicht."

Suma starrte Kiana an und schüttelte den Kopf. Er war kurz davor, wieder wegzulaufen, er wollte eine Mauer um sicher herum haben, ein zugemauertes Fenster. Er wollte sicher vor Dummheiten sein. Wieder alleine. Wenn er alleine war, konnte nichts ihn zum Reden bringen.

„Vor was hast du so eine unglaubliche Angst, dass du immer stark sein willst?"

„Was?" Er schüttelte den Kopf. „Angst ist schwäche. Ich habe keine Angst." Er schlug rhythmisch mit seinem Stift gegen den Block. In ihren Augen, in ihrem Gesicht war es. Ihr Mund zuckte, ihre Haare wackelten. „Du glaubst mir nicht."

Sie nickte. „Das tue ich wirklich nicht. Tut mir leid. Ich kann es dir einfach nicht glauben."

Sie schwiegen. Was sollte Suma schon antworten? Sie hatte ihn ertappt und ihr war das klar geworden, bevor es ihm klar wurde. Vor irgendetwas hatte er Angst, doch konnte es nicht benennen. Ein grauer Nebel hing über ihm und er wollte gar nicht wissen, was darunter verborgen lag. Es waren Schwächen.

„Du?", flüsterte er. Der Baum leuchtete so grün, dass es Suma in den Augen brannte.

„Wie bitte?"

„Vor was hast du Angst?"

Kiana klammerte sich an ihr T-Shirt. „Ich glaube vor mehr oder weniger allem auf dieser Welt.", meinte sie. „Schlangen, Hunden, Gewitter. Ich bin ein Feigling und schlecht in Sport und hoffentlich bekomme ich keine schlechtere Note. Hoffentlich werde ich nicht noch leistungsschwächer als ich sowieso schon bin. Hoffentlich bemerkt keiner, wie dumm ich eigentlich bin. Davor habe ich am meisten Angst." Sie guckte zur Seite.

Schwach.
Schwäche.
Er wollte es nicht glauben, doch „Du machst mir Angst und das lasse ich zu.", meinte er kaum verständlich und sprang vom Baum. Irgendwo ging er hin. Irgendwo weit weg von dieser Frage. Und wandelte weiter durch den grauen Nebel.

Kiana schaute ihm hinterher. Die Glastür zum Schülertrakt schloss sich hinter ihm. Sie schloss das Fenster, vorsichtig, als wäre es eine Glasmembran und starrte auf ihren Schreibtisch.

„Hm."

Sie verschränkte die Arme hinter ihrem Rücken und lehnte sich an die Fensterbank.

„Merkwürdig."

Blumenbrechen (Wird Nicht Mehr Überarbeitet Und Auch Nicht Fortgesetzt)Where stories live. Discover now