71. - Kapitel 13 (4)

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Der Kofferraum knallte zu, wieder im Auto, ohne Plan, ohne Ziel, Fragen über Fragen, die niemand stellen wollte. Und sie alle wollten schlafen, doch wer könnte schon? Schnee kam und verging, der Himmel klarte auf, wurde heller. Keine Sonne. Keine Hilfe.

„Suma, wer bist du?" Kiana schaute auf und ihre Rehaugen waren Ruhe. Hannah und Viktoria drehten sich zu ihm um: Du hast uns etwas zu erklären. Die Fensterscheibe war so kühl und seine Stirn so heiß. Seufzen. Zittern.

„Es war einmal ein sehr kleiner Junge, der so bleich und krank war, dass ihn niemand haben wollte. Ein Junge, der immer älter wurde und immer mehr verstand und nie etwas sagte. Dieser Junge kam nirgendwo her und ging zu einem Mann, der Hass und Wut schmecken konnte. Dem Jungen war das egal, ihm war immer alles egal. Ruby war die beste, bis dieser Junge kam. Und dabei war er viel jünger als sie. Im ganzen Haus waren Kinder und die Ausbilder taten, was sie wollten. Manchmal schlugen sie, manchmal schnitten sie die Haut auf, manchmal vergewaltigten sie. Es weint niemand, der nichts mehr spürt. Und so weinten sie alle nicht mehr. Die Nächte wurden erträglich, es war nur noch stickig, nicht mehr laut. Aufträge waren über die ganze Welt verteilt und wurden immer ausgeführt. Der Junge tat, was er tat, ohne zu erbrechen, wie der Rest. Der Mann behandelte ihn besonders, er bekam besseres Essen, anderes Training. Und es war ihm egal, denn er fühlte ja doch nichts. Irgendwann fiel ihm ein Buch in die Hände. Er musste es beschützen und abschreiben und lesen. Die Texte langweilten ihn nach dem zwanzigsten Mal, sodass er ging, neue Bücher suchte und auf einem Internat voller Menschen endete. Sie sagten, dass alle Menschen wertlos seien und er glaubte ihnen das. Er hasste alle Menschen.
Und dieser Junge, dieser ‚dreckige Mörder', das bin ich."

Kiana tippte fassungslos auf seine Hande, die er sofort wegzog. „Die Narben."

Er nickte.

„Und das Gespräch in Politik."

Nicken.

„Mit fünf Jahren?"

Schulterzucken.

„Warum hat denn niemand etwas getan? Wie – wie kann, wie hast du das – Wie konntest du – Wie, ich, ich." Schluchzen. Tränen über Tränen. Hektische Atmung. Stumm umarmte Viktoria Kiana. „Ich, was, warum bist du, Ich, Du, Wir im Auto."

„Kiana, bleib ruhig.", murmelte er.

„Entschuldigung, tut mir – Wieso. Warum. Kleine Kinder? Mörder?"

„Niemand verdächtigt Kinder.", antwortete Suma trocken.

„Mörder.", nuschelte Hannah vor sich hin.

Kiana zitterte, konnte nicht aufhören zu heulen.

„Schhh.", meinte Hannah gemächlich, im Gegensatz zu ihrer tatsächlichen Verfassung. Noah machte das Radio an, hysterisches Lachen, über die Haare fahren. Viktoria strich Kiana über den Rücken, summte das Lied aus den Lautsprechern mit. Suma wünschte, er würde etwas tun, doch verschloss die Augen und starrte wild in seine Leere.

„Wie kann diese Welt nur so grausam sein?", hauchte Kiana schwach und schlief irgendwann endlich ein. Suma spürte Wärme an seiner Schulter. Kianas Kopf. Er blickte sie an, fühlte sich unwohl und konnte gleichzeitig nicht fassen, wie wenig er sich kannte.

„Und wie ist es jetzt?", fragte Hannah ruhig, denn in der Ruhe liegt die Kraft.

„Hä?" Das war Viktoria.

„Was fühlst du?" Noah schmunzelte.

Suma schwieg mehrere Ewigkeiten. Was er fühlte? Was für eine dämliche Frage, würde es heißen, wäre sie wirklich dämlich. Tss, würde es heißen, wollte er sie wegignorieren.
„Nicht nichts.", antwortete er, ehrlicher, als er je von sich erwartet hätte.

Der Tag brach an und schmeckte wie Myrrhe. Die Sonne schien trüb die Straße hinauf, auf dem Weg nach Nirgendwo.

ENDE TEIL 1

Blumenbrechen (Wird Nicht Mehr Überarbeitet Und Auch Nicht Fortgesetzt)Donde viven las historias. Descúbrelo ahora