Snapes Abschied

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„Er will dich sehen.“, die Stimme seines Vaters drang wie durch dichten Nebel hindurch in Lorcans Bewusstsein. 
Er wandte sich von dem Fenster ab, vor dem er gestanden hatte und blickte hinüber zu Isidor. Die blassblauen Augen seines Vaters lagen tief in ihren Höhlen und glänzten wässrig. Er konnte nur schlecht verbergen, dass ihn Nacht für Nacht der Feuerwhisky warm hielt. Natürlich, dachte Lorcan voller Bitterkeit, Mutter hält ihn ja nicht mehr warm. Stattdessen teilt sie nun das Bett mit Yaxley.
Lorcan wusste nicht, was er schlimmer fand: Dass seine Mutter herum hurte oder dass sein Vater rein gar nichts dagegen unternahm. Isidors Schwäche ekelte ihn an. 
„Ich komme gleich.“
„Lass ihn lieber nicht warten.“, Isidors Blick huschte nervös zwischen Lorcan und der Tür hin und her. 
„Raus.“, meinte Lorcan beiläufig und drehte sich wieder zum Fenster um. 
Kurze Zeit später hörte er, wie Isidor wieder aus dem Zimmer schlich, die Tür jedoch offen ließ. Mit einem genervten Schnauben richtete Lorcan den Zauberstab auf die Tür, die daraufhin zufiel.
Es beunruhigte ihn. Auch wenn er sich alle Mühe gab, es nicht zuzugeben: Es beunruhigte ihn zutiefst, dass der Dunkle Lord in letzter Zeit so erpicht auf seine Gegenwart war.
Lorcan fühlte sich, als würde eine gewaltige Last auf sein Herz drücken. Er stützte sich mit den Händen auf den Oberschenkeln ab und sein Atem ging so flach und unregelmäßig, als ob er gerade meilenweit gerannt wäre. Kalter Schweiß brach ihm aus. In manchen Momenten - und gerade war wieder ein solcher Moment - hatte er das Gefühl, in diesem Haus zu ersticken. Fieberhaft rasten die Gedanken durch seinen Kopf und er versuchte, sich zu konzentrieren. Er konzentrierte sich auf diese eine Erinnerung, die er schon so öfters wieder aufgerufen hat, dass sie ihm immer unwirklicher erschien. 
Sie hob die Hand und legte sie vorsichtig auf seine Wange. Sie zeichnete mit den Fingerspitzen die Konturen seiner Wangenknochen nach, doch er packte abrupt ihre Hand, unfähig, noch länger zu warten. Er senkte den Kopf und presste seinen Mund auf ihren. Sie zog überrascht die Luft ein. Ihre Lippen waren weich und warm und ihre unsicheren, schüchternen Berührungen hinterließen eine flammende Hitze auf seiner Haut. Sie roch nach Sonne, nach Reinheit und schmeckte auch so.
Lorcan lächelte mit geschlossenen Augen. Er spürte, dass er ruhiger geworden war. Unter anderen Umstände hätte ihn die Tatsache, dass er von dem Wieselmädchen tagträumte, dass ihre haselnussbraunen Augen ihm immer wieder in den Sinn kamen, mehr beschäftigt, doch gerade war das nun mal alles, was er hatte. Da war so viel Dunkelheit um ihn herum, in seinem Kopf- er brauchte es, er brauchte sie. 
Er war nun bereit. Er öffnete die Augen und verließ das Zimmer, das er in Malfoy Manor bezog. Seine schweren, schwarzen Stiefel hinterließen dumpfe Geräusche auf der Treppe. Er zwang sich dazu, seine Schritte nicht langsamer werden zu lassen, als er auf den Salon zulief. Er betrat den inzwischen vollständig verwüsteten Raum. Scherben knirschten unter den Sohlen seiner Stiefel. In der Luft hing ein unangenehmer Geruch von Verbranntem und Tod. Am Ende des langen Tisches wartete der Dunkle Lord. Aufrecht saß er in seinem Stuhl, seine langen, weißen Finger spielten mit dem Zauberstab. Lorcan machte vorsichtig ein paar Schritte in den Raum. 
„Ihr wolltet mich sprechen, Herr?“, fragte er leise und senkte den Kopf.
„Komm her, komm ruhig näher.“, zischte der Dunkle Lord mit seiner hohen, kalten Stimme. 
Lorcan folgte seinem Befehl. Wieder knirschten Scherben unter seinen Sohlen. 
„Wie fühlst du dich?“
Lorcan starrte in die glühend roten Augen seines Gegenübers. Er öffnete den Mund, schloss ihn wieder, um ihn erneut zu öffnen.
„Wie…bitte? Herr?“
Der Dunkle Lord machte eine wegwerfende, ungeduldige Bewegung mit seiner Hand.
„Gut. Ich fühle mich gut.“, presste Lorcan hervor. 
„Sicher?“, auf einmal fiel ihm der Hohn in der kalten, hohen Stimme des Dunklen Lords auf.
Lorcan starrte in die rot glühenden Augen. Er fühlte sich, als wäre ihm eine wesentliche Information entgangen.
Voldemort legte leicht den Kopf schräg, ohne ihn aus den Augen zu lassen.
„Keine Erinnerungslücken? Keine Gedanken in deinem Kopf, die nicht deine sind?“, zischte er.
Lorcan schluckte. 
Blitzartig tauchten Bilder in seinem Kopf auf. 
Das silbrige, unwirkliche Licht des Mondes schien in den Raum. Lorcan blinzelte und fühlte sich, als ob er aus einem Traum erwachen würde. Er blickte an sich herunter, langsam, mit schlafwandlerischer Benommenheit. Seine Finger waren rot vor Blut. 
„N-nein…“
„Du lügst.“, fauchte Voldemort. Seine Mundwinkel hoben sich und Lorcan konnte nicht anders, als zu erschauern. 
Es blitzten noch mehr Bilder auf.
Die hellen Funken, die aus seinem Zauberstab schossen, blendeten ihn so sehr, dass er für ein paar Sekunden blind war. Als er wieder sehen konnte, entwich ein Keuchen seiner Kehle. Er blickte hinunter, direkt in ein lebloses Augenpaar, das angstvoll aufgerissen war. Wer war das? Lorcan drehte den Kopf, betrachtete den fremden Raum, in dem er sich befand. Er konnte sich nicht erinnern, hierhergekommen zu sein.
„Es ist ein Geschenk.“
Voldemorts Stimme riss Lorcan zurück in die Gegenwart, zurück in den düsteren Salon, der die Spuren von Voldemorts vielen Wutanfällen trug.
Der Dunkle Lord streckte eine Hand nach ihm aus. Lorcan bewegte sich vorwärts, mit langsamen, steifen Schritten. 
„Nimm es an.“
Voldemorts lange, weiße Finger schlossen sich ohne Vorwarnung um Lorcans Handgelenk. Schmerz explodierte in Lorcan und vor seinen Augen tanzten Lichter. Alles wurde irgendwie dumpf, das Knistern des Kaminfeuers wurde immer leise…
„Deine Fassade bröckelt, böser Junge.“, sagte Ginny mit einem grimmigen Lächeln und wandte sich um. Ihre roten Haare flatterten hinter ihr her, als sie den Hügel hinauflief. Er hatte ihr Lachen im Ohr, glockenklar. 
Nach Luft schnappend riss Lorcan die Augen auf. Er stand immer noch an derselben Stelle. Voldemort ließ mit einem Zischen sein Handgelenk los.
Seine rotglühenden Augen verzogen sich zu Schlitzen.
„Was tust du da?“, fauchte er.
Lorcan stolperte ein paar Schritte rückwärts. Er fuhr sich mit den Händen durch die Haare, versuchte klar zu denken.
„Denkst du, dass du mich abwehren kannst?“, höhnte der Dunkle Lord. „Wollen wir doch mal sehen…“
Und er hob seinen Zauberstab. Lorcan brach zusammen, schreiend.

Burning DarknessWhere stories live. Discover now