Von Mutterliebe

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Jocelyn spürte Harrys besorgten Blick auf sich, während Dumbledore sprach. Auf sein geflüstertes „Alles okay?“ hin hatte Jocelyn nur stumm nicken können. Die Wahrheit war, dass sie sich dessen absolut nicht sicher war, aber damit würde sie sich später beschäftigen.
„Wie die Geschichte weiterging, weißt du selbst, Jocelyn. Fiona nahm dich und deinen Bruder bei sich auf, wo ihr beide lebten, bis deine Eltern aus Askaban flüchten konnten.“
„Aber, Sir, Sie haben immer noch nicht erzählt, weswegen Voldemort Lorcan nicht dazu benutzt hat, seinen Körper zurückzubekommen, nachdem er seine Macht verloren hatte.“, warf Harry ein.
Dumbledore hielt inne.
„Das stimmt, Harry. Nun, Fiona tat ihr möglichstes, um einen Weg zu finden, Lorcan zu retten. Sie verbrachte die letzten sechzehn Jahre ihres Lebens damit, die Natur der Hokruxe zu erforschen, herauszufinden, was es für Mittel und Wege gibt, um Lorcan vor dem fremden Seelenbruchteil in ihm zu schützen.“
„Aber sie hat nichts gefunden, nicht wahr?“, sagte Jocelyn beinahe tonlos.
Dumbledore blickte sie an.
„Das stimmt nicht ganz. Fiona hat bemerkenswerte Entdeckungen gemacht, die uns nun vielleicht noch von großem Wert sein werden. Sie hat dafür gesorgt, dass Voldemorts Seelenbruchteil in Lorcan in Schach gehalten wurde. Sie sorgte mit bestimmten Zaubern dafür, mit denen sie Lorcan regelmäßig belegte, immer dann, wenn der Horkrux sich an die Oberfläche kämpfen wollte. So hat sie sichergestellt, dass Voldemort seine Verbindung zu Lorcan nicht nutzen konnte. Ich bin mir sicher, dass Voldemort Isidor nur deshalb aufgetragen hat, Fiona zu töten. Er kam dahinter, sobald er seinen Körper wiedergehabt hatte und natürlich hatte es ihn zutiefst beunruhigt, dass er den Jungen nicht so zu steuern vermochte, wie er es geglaubt hatte. Deshalb lautete sein nächster Auftrag, Lorcan in seine sichtbare Nähe zu bringen- dort, wo er ihn besser kontrollieren konnte.“
„Und mein Vater hat den Auftrag nur zu gerne ausgeführt.“, presste Jocelyn hervor und bis sich fest auf die Zunge.
„Aber das hätte er nicht so einfach können, wenn Molana nicht gewesen wäre.“, erwiderte Dumbledore und als er seufzte, wirkte er älter, als Jocelyn ihn jemals wahrgenommen hatte.
„Was meinen Sie damit?“, fragte Jocelyn mit klammem Gefühl.
„Fiona ist nach ihrer Arbeit als Lehrkraft in Hogwarts vollkommen von der Bildfläche verschwunden. Niemand hat recht gewusst, ob sie noch lebte, was ihr gerade für die Arbeit im Orden des Phönixes eine große Hilfe gewesen ist. Und vor allen Dingen wusste keiner davon, dass die Fortescues Kinder gehabt haben. Die einzigen Menschen, die davon gewusst haben, sind schließlich nach Askaban gekommen. Lediglich Molana war bekannt, dass Fiona dich und deinen Bruder bei sich aufgenommen hat und es wusste auch nur sie euren genauen Aufenthaltsort. An dieser Stelle scheint sich die Geschichte wiederholt zu haben, nicht wahr?“, Dumbledore lächelte. Es war ein trauriges Lächeln. „So wie die Potters darauf vertraut haben, dass Pettigrews Loyalität und Freundschaft zu ihnen stärker ist als der Wunsch, Voldemort zu dienen, hat Fiona geglaubt, dass Molanas Mutterliebe euch schützen würde.“ 
Es herrschte eine Stille, die Jocelyn in den Ohren schmerzte.
„Meine Mutter…hat uns ausgeliefert? Hat ihre eigene Schwester zum Tode verdammt?“
Obwohl sich das besser in das Bild einfügte, das Jocelyn von Molana hatte, als die Zeichnung einer liebenden Mutter, traf sie die Wahrheit dennoch wie ein Schlag. 
Sie musste wieder daran denken, wie ihre Mutter in Fionas Erinnerung auf sie heruntergeblickt hatte, mit einem nahezu liebevollen Ausdruck im Gesicht, und sie spürte, wie ihr Herz sich voller Schmerz zusammenzog. Es fühlte sich an, als würde sie geradeeben eine Mutter verlieren, die sie nie gehabt hatte.

„Kommst du klar?“, Harry berührte Jocelyn an ihrem Handgelenk, als diese sich in die andere Richtung des Flurs umwenden wollte, in Richtung des Slytherin-Gemeinschaftsraums.
Sie hatten Dumbledores Büro geradeeben verlassen und Jocelyn fühlte sich wie betäubt. Sie drehte sich um und blickte Harry in die grünen Augen hinter der Brille.
Es war ein merkwürdiges Gefühl, dass er all das mit ihr zusammen erlebt hatte. Irgendwie zu intim. Sie fühlte sich unangenehm verletzlich.
„Ich komm schon klar, Harry.“, sagte sie also und bemühte sich um eine feste Stimme, doch das Zittern in ihren Worten war nicht zu überhören.
„Okay.“, Harry machte mit einem unentschlossenen Gesichtsausdruck einige Schritte nach hinten, doch irgendetwas schien ihn noch davon abzuhalten, wirklich zu gehen. „Wenn du reden möchtest…Ich bin für di-“, Harry unterbrach sich mitten im Satz und fuhr sich unbehaglich durch die strubbligen Haare. Offenbar war ihm gerade wieder eingefallen, wer sie war und wer er war.
Jocelyn lächelte ihn an. Es fühlte sich merkwürdig an- zu lächeln. 
„Wissen Hermine und Ron davon? Von den Horkruxen? Und davon, was Dumbledore von dir verlangt?“
Harry ließ den Arm sinken und runzelte die Stirn. Er nickte. „Jaah. Ich habe ihnen von den Horkruxen erzählt, aber wir haben noch nicht darüber geredet, wie….Du weißt schon. Davon, was ich tun muss.“
Jocelyn machte einen Schritt auf ihn zu und spürte, wie dumpfe Wut in ihrem Inneren pochte. Sie wusste, dass die Wut nur etwas anderes zu verbergen versuchte, etwas, mit dem sie sich jetzt nicht auseinander setzen wollte.
„Du musst gar nichts tun, das weißt du doch, Harry, oder?“, sie trat noch einen Schritt auf Harry zu und blickte ihn an, suchte in seinen Augen nach einem Zeichen dafür, dass er verstand. „Wenn du mich fragst, ist das ein Himmelsfahrtkommando, auf das Dumbledore dich da schicken will. Es gibt keinerlei Garantie dafür, dass es ein gutes Ende für dich nehmen wird. Er kann nicht verlangen, dass du dein Leben aufs Spiel setzt!“
Sie merkte, dass sie vor lauter Erregung eine Hand in Harrys Umhang gekrallt hatte und ließ sie hastig wieder sinken. 
„Er verlangt gar nichts, Jocelyn. Ich will das tun, nein, ich muss es tun. In diesem Augenblick, in dem Voldemort sich dazu entschlossen hat, meine Eltern zu töten und auch mir einen Todesfluch entgegen zu schleudern, hat er mich dafür ausgewählt, ohne es zu wissen. Es gibt nur einen Weg, das zu beenden, verstehst du?“
Jocelyn schüttelte vehement den Kopf. Es war alles so unfair, Harry sollte nicht so eine gewaltige Last tragen müssen. Er hatte seine Eltern verloren, als er noch ein Baby gewesen war. Auch Jocelyn war von ihren Eltern verlassen worden, als sie noch sehr jung gewesen war, doch der Unterschied war, dass Harrys Eltern ihn geliebt hatten. Sie hätten ihn niemals freiwillig verlassen. Doch ihre Eltern hatten sich bewusst dazu entschlossen, sie hatten mit ihren Entscheidungen bewirkt, dass das Leben von Jocelyn und ihrem Bruder verdammt war. 
„Ist es nicht unfair?“, presste Jocelyn hervor und senkte den Blick auf den Boden. „Dass man sich nicht aussuchen kann, in was für ein Leben man hinein geboren wird? Dass man nicht die Wahl hat? Stattdessen muss man es irgendwie schaffen, damit klar zu kommen. Damit klar zu kommen, keine Eltern zu haben, damit klar zu kommen, eventuell keine Zukunft zu haben. Meine Eltern haben Lorcan die Chance auf eine Zukunft genommen. Meine Mutter hat die Wahl gehabt, sie hätte ihn beschützen können, wie eine Mutter ihr Kind beschützen sollte, aber stattdessen…“, Jocelyns Stimme brach. Sie hatte nicht gemerkt, wie sie immer lauter geworden war. Sie spürte, wie Harry näher kam, spürte wie sein Umhang ihren streifte und dann legte er unbeholfen die Arme um ihren bebenden Körper. Jocelyn erwiderte die Umarmung und während sie ihr Gesicht in Harrys Halsbeuge presste, dachte sie nicht daran, dass er ein Gryffindor und sie eine Slytherin war, dass er Dracos Erzfeind und sie Dracos Freundin war- Harry war in diesem Augenblick nur ein Mensch, der ihr Trost schenkte.

Burning DarknessWhere stories live. Discover now