Besorgnis

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„Was sagst du da?“, fragte Voldemort mit vermeintlich ruhiger Stimme, in der unterschwelliger Zorn mitschwang. Um ihn herum stand ein Halbkreis von Todessern, doch sein Fokus lag auf dem Jüngsten von ihnen, einem dunkelhaarigen Jungen, der seinen Blick mit erhobenem Haupt erwiderte. 
„Bellatrix ist tot.“, erwiderte er ruhig. „Die Verabredung mit Malfoy war eine Falle.“ 
Rechts von ihm wurde Lucius Malfoy sichtbar blasser. Voldemort musterte Lorcan mit seinen glühend roten Augen. Dieser spürte, wie der Dunkle Lord in seinen Kopf eindrang und wappnete sich. Endlose Sekunden vergingen und Lorcan musste all seine Kraft zusammennehmen, um seinen Kopf frei von verräterischen Bildern zu machen. Als der Dunkle Lord endlich von ihm abließ, stand Lorcan der Schweiß auf der Stirn. 
„Ich verstehe.“, zischelte Voldemort. „Draco, der törichte Junge, hat versucht, dem Unbrechbaren Schwur zu entkommen.“ 
Seine Augen glitten zu Lucius Malfoy, der so reglos dastand, dass es schien, als wöllte er mit seiner Umgebung verschmelzen. „Ich habe dich gewarnt, Lucius. Ich war gnädig, ich habe deinen leeren Versprechungen Glauben geschenkt.“ 
Wut verzerrte seine schlangenähnlichen Züge. Sein Zauberstab peitschte durch die Luft und alle, die im Raum waren, jagten zur Tür, so schnell sie konnten. „CrucioCrucio!“, brüllte Voldemort, wahnsinnig vor Wut darüber, seine treueste Dienerin verloren zu haben, sie von einem Sechzehnjährigen vernichtet zu wissen. 

Es war soweit: Der letzte Tag vor Beginn der Weihnachtsferien war angebrochen und die Große Halle erstrahlte mit den zwölf großen, wunderschön geschmückten Weihnachtsbäumen und den unzähligen Mistelzweigen in weihnachtlichem Glanz. Dennoch herrschte eine deutlich gedrücktere Stimmung als im Jahr davor, nicht zuletzt deshalb, weil die mit grimmigen Mienen patrouillierenden Auroren nicht gerade dafür sorgten, dass Freude bei den Schülern aufkam. Vielmehr waren sie eine Erinnerung daran, welch dunkle Zeiten angebrochen waren. Jocelyn machte sich gerade widerwillig auf den Weg nach unten in den Gemeinschaftsraum, wo bereits mit ungeduldiger Miene Draco auf sie wartete. Als er sie erblickte, glätteten sich jedoch die Falten auf seiner Stirn. Ein schiefes Lächeln erschien auf seinem Gesicht, während er zum Fuß der Treppe schlenderte. Jocelyn stieg die letzte Treppenstufe hinunter und blieb vor dem weißblonden Slytherin stehen, der in seinem eleganten, schwarzen Anzug beinahe schon verboten gut aussah. Er ließ auf provozierende Weise seinen Blick über sie wandern, von ihrem Scheitel, bis zu den einzigen hohen Schuhen, die sie besaß, und Jocelyn knickste spielerisch vor ihm. 
„Du hast dich also dazu entschlossen, das Kleid doch zu tragen?“, fragte er mit einem frechen Grinsen. 
„Nun, ich bin zu dem Entschluss gekommen, dass ich sowieso schon überall in der Schule verrufen bin, also wird es darauf wohl auch nicht mehr ankommen.“, sagte sie locker und er hielt ihr seinen Arm hin, damit sie sich bei ihm unterhaken konnte. 
In Wahrheit war es ihr deutlich schwerer gefallen, in das knappe Lederkleid zu schlüpfen, aber sie würde den Teufel tun, das Draco zu verraten, da er sowieso schon einen viel zu selbstgefälligen Eindruck machte. Sie waren die letzten im Gemeinschaftsraum, alle anderen waren bereits in die Große Halle gegangen, wo heute wie jedes Jahr das Festessen stattfinden würde. Sie liefen durch den Kerker und das Klicken von Jocelyns Absätzen klang wie Kanonenschüsse in der Stille. Sie war froh, als sie endlich den düsteren, kalten Kerker verließen und in die Eingangshalle traten. Die Türen der Großen Halle waren bereits geschlossen worden und Jocelyn unterdrückte ein Aufstöhnen- jetzt würden sie noch mehr Aufmerksamkeit auf sich lenken. Draco sah sie von der Seite an und schien ihre Gedanken zu erraten. Ein spöttisches Lächeln umspielte seine Lippen und sie sah ihn finster an. Dann seufzte sie leise und stellte sich dem Unvermeidlichen. Sie platzten mitten in Dumbledores Rede und alle Köpfe fuhren zu ihnen herum. Mit brennenden Wangen ging sie an Dracos Arm zum Slytherin- Tisch, wohlwissend, dass ihnen sämtliche Augen folgten. 
Dumbledore hüstelte leise und fuhr dann zu ihrer Erleichterung mit seiner Rede fort. „Wie wir alle wissen, herrschen dunkle Zeiten. Ich bin der Ansicht, dass Zusammenhalt gerade jetzt von großer Bedeutung ist…“ 
Sie setzten sich hin und Draco sah mit einem verächtlichen Gesichtsausdruck zu Dumbledore, während Jocelyn ihre Augen durch den Raum wandern ließ. Dabei begegnete sie Harrys verständnislosem Blick und erst in diesem Moment wurde ihr schlagartig bewusst, wie das, was sie vor einigen Tagen zu ihm gesagt hatte, auf ihn gewirkt haben musste. „Tut mir leid, dass ich dich wegen der Sache mit Draco so verletzt habe...Ich wollte auf keinen Fall mit deinen Gefühlen spielen...Da war nie was… Er hat eine Freundin…“, hörte sie das Echo ihrer eigenen Stimme in ihrem Kopf. 
Beschämt wandte sie den Blick von ihm ab. Was musste er jetzt nur denken? Wieder einmal verfluchte sie sich, dass sie Pansys Lüge so blind geglaubt hatte. In dem Moment beendete Dumbledore seine Rede und setzte sich wieder hin. Applaus brandete auf und wenig später erschienen wie aus dem Nichts die verschiedensten Speisen auf den Tischen. Während sie aßen, bekam Jocelyn mit, dass die meisten der Slytherins in den Ferien nach Hause gehen würden, ebenso wie der Großteil der Gryffindor-, Hufflepuff- und Rawenclaw- Schüler. Sie und Draco würden das Schloss in den Ferien wohl beinahe für sich haben. Obwohl sie in den letzten Tagen einen Sieg davon getragen hatten, war Jocelyn voller Sorge. Wie so öfters fragte sie sich, ob der Dunkle Lord inzwischen von Bellatrix' Tod erfahren und wen er wohl dafür seinen Zorn spüren lassen hatte. Das Gesicht ihres Bruders tauchte vor ihrem inneren Auge auf und ihr Hals wurde eng. Sie legte die Gabel auf den Tellerrand und schob den Teller von sich. Ihr war plötzlich jeglicher Appetit vergangen. Würde er leiden müssen, während sie hier in Hogwarts waren? Obwohl sie nicht darüber redeten, wusste sie, dass Draco von ganz ähnlichen Sorgen geplagt wurde. Er machte sich ebenso Gedanken über die Sicherheit seiner Eltern, wie sie sich über die von ihrem Bruder. 
„Ich fühle mich nicht wohl bei dem Gedanken, nutzlos hier herumzusitzen, während dort draußen…“, sie verstummte, aber Draco schien auch so zu verstehen. „Ich weiß.“, sagte er ruppig. „Meinst du, mir geht es anders?“ 
„Aber wo können wir schon hin? Was können wir machen?“, fragte sie verzweifelt. „Hier ist es nun mal am sichersten.“ 
Einige Zeit später erhob sich Dumbledore ein weiteres Mal und entließ sie für den heutigen Abend. Jocelyn und Draco schlossen sich den Slytherins an, die sich rücksichtslos einen Weg durch die Schülermenge zu den Flügeltüren der Großen Halle schafften, und waren bereits draußen in der Eingangshalle, als Jocelyn plötzlich spürte, wie jemand ihr Handgelenk packte. Sie wandte sich um, ebenso wie Draco, und erblickte Harry. Hinter ihm drückte sich mit unbehaglicher Miene Ron herum. 
„Was soll das eigentlich?“, fragte Harry ohne Umschweife. „Erst sagst du, dass Malfoy…“, Jocelyn unterbrach ihn hastig. „Ich war nicht ich selbst. Ich hatte meine Erinnerungen verloren und war etwas…verwirrt.“ 
Harry sah sie abwägend an und sein Blick huschte zu Draco, woraufhin sich sein Gesicht verdüsterte. „Jaah, war wohl dumm zu glauben, dass du endlich gecheckt hast, was Malfoy für ein Idiot ist.“, sagte er grimmig. 
„Was hast du eigentlich für ein Problem, Potter? Fällt es dir so schwer zu verstehen, dass sie meine Freundin ist und nicht deine? Langsam wird es wirklich erbärmlich.“, sagte Draco und trat mit schmalen Augen einen Schritt nach vorne. Harry schnaubte und stürmte wütend an ihm vorbei, wobei er ihn unsanft anrempelte. Ron folgte ihm und im Vorbeigehen hörte Jocelyn ihn zu Harry sagen: „Man, ich kapier' dich echt nicht, lass' es doch einfach gut sein.“ 
Draco schnaubte abfällig und zog sie mit sich. Sie hatten gerade die Tür, die hinunter in die Kerkerräume führte, erreicht, als sie erneut aufgehalten wurden: „Mister Malfoy, Miss Fortescue!“, hörten sie Snapes unangenehme Stimme hinter sich. 
Draco atmete entnervt aus und sie drehten sich zu ihrem Hauslehrer um, der mit wehendem Umhang auf sie zuschritt. „In mein Büro.“, sagte er knapp und lief ihnen voraus. Jocelyn tauschte einen beunruhigten Blick mit Draco, doch der zuckte lediglich die Schultern. Sie beeilten sich, Snape hinterherzukommen und Jocelyn unterdrückte ein Frösteln, als sie die unterkühlten Kerkerräume betraten. Snape wartete bereits ungeduldig neben der Tür seines Büros, als sie ihn einholten und öffnete die Tür, um sie einzulassen. Jocelyn setzte sich unbehaglich auf den Stuhl vor Snapes Schreibtisch, während Draco stehen blieb; seine Haltung mit den verschränkten Armen vor der Brust drückte deutlichen Widerwillen aus. Jocelyn beobachtete, wie Snape die Tür schloss und seinen Zauberstab darauf richtete, während er leise etwas murmelte. 
„Wollen sie uns ein schmutziges Geheimnis verraten, Professor, oder warum der Muffliato-Zauber?“, sagte Draco spöttisch. 
Snape ging mit schnellen Schritten um seinen Schreibtisch herum und packte ihn bei den Schultern. „Hast du mir etwas zu sagen, Draco? Irgendetwas?“, zischelte er mit schmalen Augen. 
Dracos Grinsen wich und er sah seinen Hauslehrer finster an. „Lass mich los.“ 
Die beiden maßen sich mit Blicken und Jocelyn, die sich immer unbehaglicher fühlte, platzte eilig heraus: „Was ist denn, Professor Snape?“ 
Nur widerwillig wandte dieser sich von Draco ab, um sie anzuschauen. „Der Dunkle Lord scheint über irgendetwas sehr…aufgebracht.“, sagte er mit steifer Stimme. 
„Woher… Oh, ach so.“, sagte Jocelyn eilig, als sie sah, wie Snape mit schmerzerfüllter Miene seinen Unterarm rieb, dort, wo sich sein Dunkles Mal befand. 
„Und da hast du direkt an uns gedacht…“, sagte Draco, der seinen spöttischen Unterton wiedergewonnen hatte. 
„Ich weiß, dass der Dunkle Lord euch einen Auftrag gegeben hat, und ich weiß auch, dass er glaubt, dass sie-“, er wies auf Jocelyn, „bei dem Unfall gestorben sind.“ 
„Das denkt er?“, fragte Jocelyn ungläubig. 
„Ihr Bruder ist daran nicht gerade unschuldig. Er hat - wie sagt man so schön - die Behauptung in den Raum gestellt.“, erwiderte Snape mit ausdrucksloser Miene. 
„Jaah, weil er das selbst geglaubt hat, bis er sich vom Gegenteil überzeugen konnte.“, Draco funkelte Jocelyn an, da er immer noch verärgert darüber war, dass sie ihm in den Raum der Wünsche gefolgt war und somit die Sicherheit aufgegeben hatte, die ihr die Tatsache, dass der Dunkle Lord sie für tot hielt, gegeben hatte. 
„Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass der Dunkle Lord so wütend ist, weil er erfahren hat, dass sie noch lebt…“, sagte Snape mit gerunzelter Stirn. „Im Übrigen erscheint mir eure Erklärung dafür, warum Lorcan zurück nach Hogwarts gekommen ist, immer noch nicht schlüssig.“ 
Bevor Jocelyn darauf etwas erwidern konnte, sagte Draco wie aus heiterem Himmel: „Wir haben Bellatrix getötet.“ 
Snape wirbelte zu ihm herum, der reine Unglauben stand ihm ins Gesicht geschrieben. „Das ist völlig unmöglich.“, zischte er. „Was habt ihr getan?“ 
Jocelyn warf Draco einen Blick zu, der deutlich ausdrückte, dass sie an seinem Verstand zweifelte, und er sagte gelassen: „Er hätte es sowieso bald erfahren.“ 
„Wisst ihr, was der Dunkle Lord mit euch machen wird, wenn er euch in die Finger bekommt? Habt ihr auch nur die geringste Ahnung…“, Snape wurde von Draco unterbrochen. „Dann müssen wir wohl dafür sorgen, dass er uns nicht in die Finger bekommt.“ 
„Ihr mögt vielleicht dem Unbrechbaren Schwur entflohen sein, aber du bist töricht zu glauben, dass ihr damit davon kommt, Draco.“, sagte Snape mit mühsam beherrschter Stimme. Jocelyn war überrascht, dass er von der Möglichkeit wusste, dem Unbrechbaren Schwur zu entkommen, aber Snape war viel zu sehr auf Draco konzentriert, als dass er ihre Überraschung bemerkt hätte. Sie lieferten sich ein stummes Blickduell. 
„Das war purer Wahnsinn, Draco.“, sagte Snape finster. 
„Immer noch besser, als untätig herumzusitzen, so wie sie, Professor.“, erwiderte Draco provozierend. „Sie warten wohl auf den nächsten Moment, in dem sie vor dem Dunklen Lord zu Kreuze kriechen können? Im Grunde genießen sie es doch, dass mein Vater so in Ungnade bei ihm gefallen ist!“ 
Snapes Augen verdunkelten sich vor Wut und er zischte: „Ich würde dir raten, lieber zu schweigen.“ 
„Sonst was?“, sagte Draco und verzog seine Augen zu schmalen Schlitzen. 
Jocelyn stand eilig auf und trat an seine Seite. „Es ist vielleicht besser, wir gehen jetzt.“, sagte sie drängend. 
„In der Tat.“, sagte Snape kalt und war mit wenigen Schritten bei der Tür und riss sie auf. Jocelyn tastete nach Dracos Hand, die zu einer Faust geballt war, und nach einigen endlosen Sekunden, in denen er Snape weiterhin finster anstarrte, entspannte er langsam seine Finger und ließ sich von ihr mitziehen. Snapes Bürotür fiel hinter ihnen ins Schloss und Jocelyn wandte sich zu Draco um. 
„Was ist denn los mit dir?“, fragte sie mit gesenkter Stimme. Er atmete mühsam beherrscht durch und presste dann seine Lippen aufeinander, seine ganze Haltung drückte unterschwellige Wut aus. „Hey“, sagte sie sanft und nahm sein Gesicht zwischen ihre Hände. Sie streichelte zärtlich mit ihren Daumen über seine Wangenknochen, bis ein Teil seiner Wut von ihm abzufallen schien und er die Hände auf ihre Taille legte und sie zu sich zog. „Du machst dir Sorgen um sie, nicht wahr? Deine Familie.“, wisperte Jocelyn. 
„Natürlich mach ich das!“, antwortete Draco heftig. „Wer weiß schon, was er ihnen angetan hat! Er ist wahnsinnig, Lyn.“ 
Sie blickte in seine aufgewühlten, hellgrauen Augen und sah die Angst in ihnen. „Sie werden das alles überstehen, hörst du? Sie sind Malfoys, die lassen sich nicht so leicht unterkriegen, schon vergessen?“, sagte sie leise und seine Mundwinkel bogen sich leicht nach oben, während er die Hände hob und nun seinerseits ihr Gesicht umfasste. 
Ein seltsamer Ausdruck trat in seine Augen, während er sie eindringlich musterte. „Du hast alles durcheinander gebracht, weißt du das? Manchmal erkenne ich mich überhaupt nicht wieder.“, murmelte er und schüttelte den Kopf. „Das ist alles deine Schuld.“ 
Jocelyn konnte nicht anders, als zu lächeln. „Meinst du, mir geht es anders, Draco Malfoy?“, fragte sie. Beinahe gleichzeitig suchten sie die Lippen des jeweils anderen. Ihre Münder trafen sich und verschmolzen miteinander. Eng umschlungen krachten sie an die Wand hinter ihr. Jocelyn spürte die Kälte des Gemäuers an ihrer Haut brennen, aber es war ihr egal. Hungrig und ohne Zurückhaltung küssten sie einander und ihre Zungen lieferten sich einen wilden Kampf. Draco knabberte mit den Zähnen an ihrer Unterlippe und sie vergrub wohlig schaudernd ihre Hände in seinen Haaren. Nun zogen seine Lippen eine heiße Spur ihr Schlüsselbein hinunter und ihr wurde gleichzeitig kalt und warm. Er hob sie hoch, sodass sie eng an ihn gepresst war, und drückte sie an die Wand, während er sie wieder küsste, noch leidenschaftlicher als zuvor. Seine Hände glitten über ihre Hüften und fanden den Saum ihres Kleides. 
„Stopp“, hauchte Jocelyn gegen seine Lippen, ihr Kopf fühlte sich völlig durcheinander gewirbelt an. Sie drehte ihren Kopf beiseite und fühlte, wie Dracos warme Lippen über ihre Wange strichen. „Wir können nicht…Nicht hier.“, presste sie atemlos hervor. 
Sie hörte, wie er einatmete und die Luft zischend wieder entweichen ließ. Langsam löste er sich von ihr. Seine Augen waren dunkel vor Verlangen und seine Haare ganz unordentlich von ihren Händen. Einige Augenblicke sahen sie sich nur an und Jocelyn, die spürte, dass sie kurz davor war, jegliche Vorsicht fallen zu lassen und sich wieder an ihn zu schmiegen, wandte mühsam den Blick von ihm ab. „Du hättest dieses Kleid vielleicht besser doch nicht anziehen sollen.“, sagte Draco trocken und ihr entwich ein Lachen. 
Sie nahm seine Hand und verschränkte ihre Finger mit seinen, während sie den Flur hinunter zu der unsichtbaren Öffnung in der Steinmauer liefen, die in ihren Gemeinschaftsraum führte. Der hohe Raum war voller Slytherins und ihnen drang lautes Stimmengewirr entgegen, als sie durch die Öffnung schlüpften. 
„Was wollte Snape?“, fragte Nott Draco, als sie sich einen Platz nahe dem Kamin suchten. 
„Nichts Wichtiges.“, erwiderte Draco ausweichend. 
„War es wegen deinen Bruder?“, riet Montague, der in dem Sessel neben Nott saß, und zwinkerte Jocelyn zu. Die Slytherins hatten sich herzlich darüber amüsiert, dass Lorcan eine Gryffindor als Geisel genommen hatte, allen voraus Montague. Jocelyn erwiderte sein breites Lächeln nicht und unterdrückte den Drang, den Slytherin böse anzufunkeln. 
„Nein“, sagte sie knapp. Montague nickte und ließ seinen Blick dann langsam über ihren Körper gleiten, wobei er einige Augenblicke zu lang auf ihren nackten Beinen verweilte. „Schickes Outfit, Fortescue.“, sagte er und seine Augen blitzten auf. 
Jetzt funkelte sie ihn doch an und zerrte unbehaglich am Saum ihres Kleides. „Halt besser die Fresse, Montague.“, sagte Draco finster. 
„Uh“, machte Montague belustigt. „Du drohst mir, Malfoy?“ 
„Sieht so aus.“, erwiderte Draco kalt. 
Montague sah sich um und sagte spöttisch: „Hört ihr das? Ein echter Mann, unser Malfoy, genau wie sein Vater.“ 
Jocelyn bekam im letzten Moment noch Dracos Arm zu fassen, bevor er aufspringen konnte. „Lass ihn, Draco, er ist es nicht wert.“, sagte sie und starrte Montague böse an. „Jaah, du warst auch ein echter Mann letztes Jahr, als die Weasleys dich überwältigt haben und dich in das Verschwindekabinett gesperrt haben, was?“ 
Ihre Worte zeigten sofortige Wirkung: Auf Montagues Gesicht erschienen rote Flecken und er blickte sie finster an. Draco lachte auf und zog sie zu sich. Er gab ihr einen Kuss auf den Scheitel und murmelte: „Touché.“ 
Ihr Magen flatterte und sie ertappte sich selbst dabei, wie sie dümmlich grinste. Der Rest des Abends verlief glücklicherweise friedlich. Irgendwann legte Jocelyn den Kopf auf Dracos Schulter und schloss die Augen, während er sich mit gedämpfter Stimme mit Nott unterhielt und dabei abwesend mit den Fingerspitzen über ihren Arm strich. Es ist seltsam, dachte sie, dass man glücklich sein kann, obwohl um einen herum die Welt zusammenbricht. Im selben Moment brach ein Gefühl von Schuld über sie herein. Wo war Lorcan wohl gerade, während sie sicher in Hogwarts saß? Musste er vielleicht gerade jetzt Schmerzen erleiden? Sie würde so gern mit ihm reden, nur um zu wissen, ob er okay war. Plötzlich fiel ihr schlagartig etwas ein und sie richtete sich so abrupt auf, dass sich Draco mitten im Satz unterbrach und sie erstaunt anschaute. 
„Bin gleich wieder da.“, murmelte sie und war schon auf dem halben Weg in den Mädchenschlafsaal. Sie war erleichtert, ihn beinahe leer vorzufinden und ging eilig zu ihrem Bett. Sie zog ihren Koffer darunter vor und musste husten, als eine Staubwolke aufwirbelte. Ungeduldig wedelte sie den Staub beiseite und klappte den Kofferdeckel auf. Sie durchwühlte mit fliegenden Händen den Inhalt und murmelte dabei: „Irgendwo muss er doch sein, komm schon…“ 
Endlich fand sie, was sie gesucht hatte: Ein kleiner, runder Taschenspiegel, den man aufklappen konnte und auf dem das Wappen Slytherins abgebildet war. Der Zwei-Wege-Spiegel, den Lorcan ihr vor einiger Zeit gegeben hatte, damit sie ihm Informationen über den Orden zukommen lassen hatte können. Sie klappte ihn auf und sah wie erwartet nur sich selbst in dem Spiegel. „Lorcan“, flüsterte sie und umklammerte den Spiegel fester. Sie schloss die Augen und versuchte, sich mit aller Kraft auf ihren Bruder zu konzentrieren. Sie stellte sich vor, wie sein Spiegel hell aufleuchten und er stirnrunzelnd danach greifen würde…
Sie schlug die Augen wieder auf und ließ enttäuscht die Luft entweichen, als sie immer noch ihr eigenes Gesicht aus dem Spiegel heraus anschaute. Sie warf den Spiegel auf ihr Bett und klappte den Koffer zu. Der Tritt, mit dem sie ihn wieder zurück unter das Bett beförderte, war heftiger als nötig. Einen Moment blieb sie reglos neben ihrem Bett stehen und gab sich ihren Gedanken hin. Sie erinnerte sich daran, wie ihr Bruder ihre Umarmung erwidert hatte - vielleicht das erste Mal überhaupt -, wie er sie an sich gedrückt hatte, und ihr Hals wurde eng. 
„Du musst aufhören zu glauben, dass nach allem was war, immer noch die Hoffnung besteht, dass ich zu retten bin! Bin ich nicht, okay? Ich werde deine Erwartungen niemals erfüllen können!“, hörte sie seine Stimme sagen. 
In diesem Augenblick schwor sie sich, dass sie niemals aufhören würde, um ihn zu kämpfen- ganz egal, was er ihr vor einigen Tagen auch gesagt hatte.

Burning DarknessWhere stories live. Discover now