Willenlos

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Er saß in einem großen Raum an einem Tisch aus spiegelndem Edelholz und blickte auf den hohlwangigen Mann, der an der gegenüberliegenden Seite des Tisches saß. In seinen blassblauen Augen stand die Angst geschrieben. 
„Was sagst du da, Isidor?“, sprach er mit seiner zischenden Stimme, in der unterschwellige Wut herauszuhören war. 
„Eventuell…eventuell hat Jocelyn vor, auf die andere Seite zu wechseln.“ 
Er strich langsam mit einem langen, weißen Finger über den elegant gearbeiteten Holzstab in seinen Händen, was Isidor unruhig auf dem Stuhl herumrutschen ließ. „Was führt dich zu dieser Annahme?“, fragte er schließlich mit einer täuschend sanften Stimme. 
„M-mein Sohn…Er hat den Verdacht gehabt, dass sie etwas ausheckt, und hat sich umgehört. Anscheinend hat der Schulleiter sie in sein Büro gebeten und seitdem sei sie wie ausgewechselt.“ 
„Interessant.“, seine Lippen verzogen sich zu einem schmallippigen Lächeln. „Die Schwester deiner Frau, Isidor, war doch, wenn ich mich nicht täusche, eine enge Freundin Dumbledores, nicht?“ 
Isidor nickte mit einer ruckartigen Bewegung. Auf seiner Stirn glitzerten Schweißperlen. 
„Außerdem war sie auch Mitglied vom Orden des Phönix…“, fuhr er langsam fort. 
„Herr, d-denken Sie etwa…“, Isidor brach abrupt ab, als er ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen brachte. 
„Deine eigene Tochter, Isidor.“, zischte er und sah mit hämischer Freude zu, wie der Mann vor ihm noch mehr in sich zusammensank. 
„Herr, ich sehe sie nicht länger als meine Tochter an, das müssen Sie mir glauben, Herr…“, brach es verzweifelt aus ihm hervor. 
„Still.“, befahl er kalt. „Das ändert alles. Das habe ich nicht hervorgesehen.“, sprach er leise wie zu sich selber. Dann stieg auf einmal wilde Freude in ihm hoch und er begann zu lachen- ein von Wahnsinn erfülltes Lachen, das Grauen in Isidors sonst so gefühlslosen Augen auftauchen ließ.
„Dies ist sogar noch besser als alles, was ich geplant hatte.“, sagte Voldemort mit unheilvoll glühenden Augen.

Jocelyn verließ gleich am nächsten Morgen die Krankenstation und schaffte es sogar noch zum Frühstück. Ihr Arm war so gut wie geheilt und zurück war nur noch der brennende Hass auf ihren Bruder geblieben. Als sie die Große Halle betrat und den Slytherin- Tisch ansteuerte, bemerkte sie, dass Harry von seinem Rührei aufschaute. Sie spürte, wie sein Blick ihr folgte und dachte einmal mehr, wie gerne sie bei ihm und den anderen Gryffindors sitzen würde. Als sie den Tisch der Slytherins erreicht hatte, suchte sie ihn unwillkürlich nach einem weißblonden Haarschopf ab. Ein merkwürdiges Gefühl machte sich in ihr breit, als sie ihn schließlich neben Pansy erblickte, die ihren Kopf auf seiner Schulter abgelegt hatte, während er gerade über irgendetwas lachte. Sie wandte den Blick ab und setzte sich neben Theodore Nott, der sie gar nicht bemerkte. Oder vielleicht bemerkte er sie ja doch und ignorierte sie mit Absicht- so wie es der Großteil der anderen Slytherins auch tat. Sie lud sich Rührei auf und begann ohne Appetit zu essen. Der verzauberte Himmel von der Großen Halle war heute voller Wolken und ein Blick aus den Fenstern verriet Jocelyn, dass es draußen genauso bewölkt war. Wenig später kündigte das Flattern von unzähligen Flügeln die Ankunft der Post an. Sie hatte noch keinen einzigen Brief bekommen, seit sie in Hogwarts war und machte sich deshalb nicht die Mühe aufzuschauen. Doch als eine weiße Eule neben Lorcans Trinkbecher landete, wurde sie aufmerksam. Sie beobachtete, wie er der Eule den Brief vom Bein band und ihn ungeduldig aufriss. Seine Augen flogen über das Papier und als sie am Ende angelangt waren, umspielte ein freudiges Lächeln seine schmalen Lippen. Er sah auf und ihre Blicke trafen sich. Ihr Herz zog sich angstvoll zusammen, als sie das beunruhigende Glitzern in seinen Augen wahrnahm. Den ganzen restlichen Tag über war sie angespannt und wachsam. Als sie nach Verwandlung die Treppe hinunter in den Kerker lief, waren ihre Nerven so gereizt, dass sie vor Schreck aufschrie, als sie jemand an der Schulter berührte. Sie wirbelte herum und sah in Blaises erstauntes Gesicht. „Alles klar?“, fragte er mit hochgezogenen Augenbrauen. 
„Klar.“, sagte sie knapp. Sie liefen zusammen den düsteren Gang zu Snapes Klassenzimmer hinunter, doch einige Meter davor hielt Blaise sie zurück. 
„Sag mal, wollten wir nicht zusammen Zaubertränke lernen?“, sagte er mit gewinnendem Lächeln. 
„Stimmt“, nickte sie nach kurzem Zöern. 
„Heute Nachmittag in der Bibliothek?“, fragte Blaise. Sie bemühte sich um ein Lächeln. „In Ordnung.“ 
Als sie einige Stunden später die Bibliothek betrat, war Blaise schon da. Sie wollte gerade auf ihn zulaufen, als sie Lorcan bemerkte, der neben ihm am Tisch saß. Anscheinend hatten sie ihre Schritte gehört, da nun beide zu ihr aufsahen. 
„Ah, da bist du ja!“, sagte Blaise und lächelte sie breit an. Jocelyn erwiderte sein Lächeln nicht, sie fixierte mit misstrauisch verrenkten Augen ihren Bruder, was diesen sichtlich amüsierte. 
„Ich geh dann mal, Zabini. Denk an das, was ich dir gesagt habe.“, grinste Lorcan und lief an ihr vorbei zum Ausgang der Bibliothek. 
Widerwillig nahm sie seinen Platz ein. „Was hat er dir denn gesagt?“, entwich es ihr mit ungewollt scharfer Stimme. 
Sie hatte den Eindruck, dass Blaises Lächeln für einen Moment wankte, aber im nächsten Augenblick war es schon wieder strahlend und unbeschwert. „Ach, du kennst doch Lorcan. Er hält jedes seiner Worte für eine Offenbarung.“ 
Sie musste grinsen. „Ihr seid Freunde, oder?“, fragte sie mit so lockerer Stimme wie möglich. In Wahrheit hing ziemlich viel von seiner Antwort ab, da Lorcans Freunde nämlich gar nichts anderes als komplette Arschlöcher sein konnten. 
Blaise prustete los. „Lorcan? Mein Freund?“ Er zog eine Grimasse. „Bestimmt nicht.“ 
Sie nahm ihm seine Antwort ohne Weiteres ab- zu sehr wünschte sie sich, dass er wirklich kein Idiot war. „Also, dann fangen wir mal an!“, sagte sie fröhlich und zog das Zaubertränkebuch zu sich. Sie schlug es auf und überlegte, mit welchem Thema sie anfangen sollten und dabei entging ihr, wie ein hämischer Ausdruck über Blaises Gesicht zuckte. Als sie aufblickte, war er wieder verschwunden. Sie strich sich eine Locke aus dem Gesicht und beugte sich vor. In den nächsten Minuten versuchte sie ihm das Thema so gut wie möglich zu erklären. „Verstehst du, was ich meine?“, fragte sie schließlich unsicher nach. 
Blaise nickte mit einem sonnigen Lächeln und bemühte sich, nicht gelangweilt dreinzuschauen. „Ja, vielen Dank, dass du das machst. Ich weiß das echt zu schätzen.“ Er unterdrückte ein abfälliges Schnauben, als er sah, wie sie sich über seine Worte freute. Wie leicht sie zum Narren zu halten war. Ein nettes Wort hier und ein Kompliment da und sie ließ alle Vorsicht fallen. Sie blätterte eifrig um und fuhr fort in ihren Erklärungen. Er musste zeitweise an sich halten, sie nicht zu verbessern. Er konnte das alles viel besser als sie. Während er sich interessiert gab und sich hin und wieder Notizen machte, malte er sich ihr Entsetzen aus, wenn ihr klar werden würde, wie dumm sie gewesen war. 
Jocelyn hatte richtig Spaß daran, mit Blaise zu lernen. Sie war so vertieft, dass sie nicht bemerkte, wie jemand die Bibliothek betrat. Wenig später stützten sich plötzlich zwei schlanke Hände links und rechts von ihr auf dem Tisch ab. Sie zuckte vor Schreck zusammen und wandte hastig den Kopf um. Dracos Gesicht war so nah vor ihrem, dass sie erstarrte. „Hi.“, sagte er und sein warmer Atem traf ihr Gesicht. 
„Hi.“, ihre Stimme war beschämend piepsig und zu allem Übel spürte sie jetzt auch noch, wie ihr das Blut in die Wangen schoss. Endlich ließ er wieder von ihr ab. Ein zufriedenes Lächeln umspielte seine Lippen. Idiot!, dachte Jocelyn wütend. „Was macht ihr?“, fragte er gedehnt. 
„Was wohl? Wir lernen.“, entgegnete Jocelyn schnippisch. 
Draco schnappte sich eines der Pergamente, die auf dem Tisch verteilt herumlagen und sagte zweifelnd: „Zaubertränke?“ 
„Ja, und?“, hakte sie nach, aber er beachtete sie gar nicht. Er und Blaise starrten sich einige Augenblicke lang in eisigem Schweigen an, bevor er schließlich wieder zu ihr sah. 
„Na, dann viel Spaß euch noch.“, sagte er abfällig und wandte sich um. Verwirrt sah Jocelyn ihm hinterher, bevor sie wieder zu Blaise blickte. 
„Habt ihr...“, fing sie an, wurde aber schon wieder von ihm unterbrochen. „Lass uns weitermachen.“, lächelte er. 
Doch dazu sollte es nicht kommen; eine Zweitklässlerin aus Rawenclaw kam auf ihren Tisch zu und blieb vor Jocelyn stehen. „Jocelyn Fortescue?“, fragte sie mit zitternder Stimme und wich ihrem Blick aus. 
„Ja, die bin ich.“, erwiderte Jocelyn irritiert. 
„Ich soll dir das hier geben.“, die Zweitklässlerin reichte ihr ein eingerolltes Pergament und suchte dann so schnell wie möglich das Weite. Sie weiß offenbar, wer meine Eltern sind, dachte Jocelyn bitter. Dann rollte sie das Pergament auseinander. Sie las die kurze Mitteilung von Dumbledore, der sie in sein Büro bat, und biss sich aufgeregt auf die Unterlippe. 
„Ich muss los.“, sagte sie zu Blaise und begann, ihre Lernsachen zusammenzupacken. Doch Blaises Antwort ließ sie innehalten. „Nein!“, sagte er entschlossen. 
„Bitte?“, fragte Jocelyn indigniert. 
Blaise, dessen Gesicht plötzlich gar nicht mehr sonnig war, schüttelte den Kopf. „Ich...ich verstehe das hier immer noch nicht richtig.“, sagte er und irgendwas in seiner Stimme ließ sie die Stirn runzeln. 
„Wir können doch auch noch morgen weiterlernen.“, erwiderte sie restlos verwirrt über seinen plötzlichen Stimmungsumschwung. 
Hinter Blaises Stirn schien es zu arbeiten, aber schließlich sagte er: „Du hast recht.“ 
Sie stand von ihrem Stuhl auf und wollte sich gerade verabschieden, als er sich ebenfalls erhob. „Ich begleite dich noch.“, sagte er hastig. 
Widerwillig lief sie mit ihm zusammen aus der Bibliothek. Sie wollte nicht, dass er mitbekam, wo sie hinging. Ein Teil von ihr war schlau genug, ihm noch nicht gänzlich zu vertrauen. „Also dann.“, sagte sie wenig später, als sie die Eingangshalle betraten. Doch Blaise hielt ihren Arm fest. „Was ist denn noch?“, fragte sie etwas ungehalten. Sein merkwürdiges Verhalten begann sie langsam zu nerven. 
„Snape will dich sprechen.“, platzte er heraus. 
„Wieso das? Und warum fällt dir das erst jetzt ein?“, wollte sie misstrauisch wissen. 
Blaise lächelte schief. „Ich wollte dir nicht die Laune verderben.“, sagte er. „Er hat gesagt, dass du gegen sieben in seinem Büro erscheinen sollst. Keine Ahnung wieso, aber ich denke nicht, dass es allzu lange dauert. Geh doch einfach danach zu deiner Verabredung.“ 
Jocelyn fühlte sich, als würde ihr gerade etwas entgehen, aber sie folgte Blaise dennoch in den Kerker. „Mit wem triffst du dich eigentlich?“, fragte er nach einigen Augenblicken wie nebenbei. Sie liefen gerade einen der vielen, düsteren Gänge hinunter und Jocelyn schlang zitternd die Arme um ihren Oberkörper, während sie fieberhaft überlegte, was sie ihm antworten sollte. In dem Moment blieb Blaise abrupt stehen. Sie wollte gerade seinem Blick folgen, als auf einmal jemand ihre Arme packte und sie aus dem Schein der grünlich leuchtenden Lampen in die Dunkelheit eines schmalen Durchgangs zerrte. Blaise kam hinterher und seine Silhouette ragte drohend vor ihr auf. „Wie dumm bist du eigentlich, Fortescue?“, sagte er langsam und in der Dunkelheit des engen Durchgangs sah sie das gehässige Lächeln, das seine ebenmäßigen Züge entstellte. Sie japste erschrocken auf, als ihr Angreifer einen Arm um ihren Hals schlang und zudrückte. „Sehr, sehr, sehr dumm.“, hörte sie Lorcans genussvolle Stimme direkt neben ihrem Ohr und sie begann panisch gegen ihn anzukämpfen. Lorcan verstärkte seinen Griff und zischte: „Schnauze, elendige Blutverräterin.“ 
Dann tastete er sie unsanft ab, bis er in der linken Tasche ihres Umhangs die Pergamentrolle von Dumbledore fand. „Schauen wir doch mal, wer dir geschrieben hat.“, murmelte er. 
Sie nutzte es, dass er seinen Griff etwas lockerte und begann laut schreiend um sich zu schlagen. Lorcan packte sie an den Schultern und warf sie gegen die Steinmauer. Ihr Körper schlug hart dagegen und mit einem schmerzerfüllten Stöhnen sank sie zu Boden. Er trat vor sie und zerrte sie an ihren Haaren grob wieder nach oben. Als sie einen Schmerzenslaut von sich gab, zog er seinen Zauberstab und murmelte „Silencio.“ 
Dann überflog er das Pergament. „Dumbledore.“, sagte er schließlich und schnalzte tadelnd mit der Zunge. Lorcan zog noch fester an ihren Haaren und sie öffnete den Mund zu einem schmerzerfüllten Wimmern, aber kein Ton kam über ihre Lippen. „Na, dann, liebe Schwester: Verabschiede dich von deinem freien Willen. Du hast es ja nicht anders gewollt.“ 
Angst explodierte in ihr. Verzweifelt schlang sie die Hand um Lorcans Handgelenk und versuchte sein Griff um ihre Haare zu lockern, aber ihr Bruder lachte nur über ihre jämmerlichen Befreiungsversuche. 
„Imperio.“, flüsterte er.

Burning DarknessWhere stories live. Discover now