Eine echte Slytherin

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Jocelyn warf sich ihre Umhängetasche mit den Schulbüchern darin über die Schulter, während sie im Gehen hastig ihre Haare zu einem Zopf band. Sie warf einen Blick auf die Wanduhr, deren Zeiger die Gestalt von Schlangen hatten, die sich ab und zu wandten und zusammenrollten, und sah, dass sie in zehn Minuten in Geschichte der Zauberei sitzen musste. Obwohl, dachte Jocelyn, während sie sich eilig auf den Weg zur Tür des Schlafsaals machte, vermutlich würde es Professor Binns sowieso nicht auffallen, wenn sie später kommen würde, so vertieft wie er immer in seine ellenlange, sterbenslangweilige Vorträge über die Koboldaufstände war. Doch der pflichtschuldige Teil in Jocelyn wollte dennoch pünktlich kommen, davon abgesehen, dass Draco auf sie wartete.
Der blonde Slytherin lehnte an der Wand gegenüber von der Tür zum Mädchenschlafsaal und blickte ihr entgegen, als sie atemlos auf ihn zukam.
„Na, endlich“, meinte er und zog eine Augenbraue nach oben. Draco hatte jetzt Alte Runen, das Wahlfach, das er statt Geschichte der Zauberei belegte. Jocelyn hatte schon manchmal über seinem Buch Runenübersetzung für Fortgeschrittene gesessen und sich mit schwirrendem Kopf gefragt, wie man hinter diesen kryptischen Zeichen eine Bedeutung erkennen konnte. 
Jocelyn grinste schuldbewusst.
„Tut mir leid, ich habe meine Feder nicht gefunden.“
„Deine Feder? Das klingt wie die schrecklichste Ausrede, die ich je gehört habe.“, bemerkte Draco spöttisch.
„Es stimmt aber. Sie ist ausversehen hinter mein Bett gefallen, als ich gestern die Bücher aus der Tasche getan ha-“, Jocelyn verstummte, als Draco mit dem Daumen sachte ihren Mundwinkel berührte und ihn danach zum Mund führte.
„Hmm, Erdbeermarmelade.“, murmelte er. 
Jocelyn rieb sich verlegen den Mund an ihrem Ärmel ab. Es hatte Pancake mit Marmelade zum Frühstück gegeben, ihr Lieblingsfrühstück. 
Mit einem Ruck zog Draco sie an den Handgelenken zu sich und Jocelyn gab einen überraschten Laut von sich, der aber sofort von seinem Mund gedämpft wurde. Warm drängten sich seine Lippen gegen ihre und Jocelyn klammerte sich an Dracos Umhang fest - sämtliche Gedanken waren aus ihrem Kopf vertrieben - und küsste ihn mit allem, was sie hatte, zurück. Irgendwann ließ Draco sie los und Jocelyn spürte ihren Puls an ihrem Hals wie verrückt rasen. 
„Wollte nur sichergehen, dass da keine Marmelade mehr ist.“, hauchte Draco mit einem spitzbübischen Lächeln. Zufrieden ließ er den Blick über ihr Gesicht gleiten und Jocelyn stellte sich vor, was er sah: Aufgeregt gerötete Wangen, große glänzende Augen und geschwollene Lippen. Unglaublich, dass ein Kuss von ihm sie immer noch derart aufwühlte. Sie hatte gedacht, dass sich das mit der Zeit legen würde, aber sie fühlte sich immer noch jedes Mal so, wie sie sich bei ihrem ersten Kuss gefühlt hatte. 
Sie gingen durch den Gemeinschaftsraum, der inzwischen, fünf Minuten vor Unterrichtsbeginn, komplett leer war, und schlüpften durch den Ausgang nach draußen.
„Oh, bei Merlin, das schaffen wir niemals mehr pünktlich“, fluchte Jocelyn und beschleunigte ihre Schritte. Draco holte sie mühelos ein. Schweigend liefen sie durch das verlassene Schloss. Manchmal vergaß Jocelyn, wie beeindruckend es war, doch nun, als das Gebäude ruhig vor ihnen lag, kam es ihr einmal mehr gewaltig vor. Schließlich kamen sie an den Punkt, an dem jeder von ihnen in eine andere Richtung musste. 
„Bis später“, sagte Jocelyn und wollte bereits in Richtung Professor Binns Klassenzimmer spurten, doch Draco packte überraschend ihr Handgelenk.
Sie drehte sich zu ihm um und einen Moment lang bohrte er seine grauen Augen in ihre.
„Vergiss nicht dein Versprechen, Fortescue.“, sagte er, bevor er sie losließ und in die entgegengesetzte Richtung lief.
Jocelyn verharrte sekundenlang und starrte ihm hinterher, bevor sie hastig zu Geschichte der Zauberei eilte. Vor der Klassenzimmertür verhielten sich ihre Schritte und einatmend legte sie die Hand auf den Türgriff. Kurz schloss sie die Augen, dann öffnete Jocelyn sie ausatmend wieder und drückte den Türgriff nach unten. Wie erwartet war Professor Binns derart vertieft in seine Erzählungen, dass er nicht einmal aufschaute. Ganz im Gegenteil zu ihren Mitschülern, die nun alle die Köpfe zu ihr umwandten. Jocelyn wich den Blicken aus und lief zu ihrem Platz, der noch frei war. Während sie sich auf den Stuhl sinken ließ und ihre Schultasche vor sich auf den Tisch legte, registrierte sie, dass Harry sie anblickte. Sie sah stur geradeaus zu Professor Binns, während ihr Herz wütend gegen ihre Brust schlug. Am liebsten hätte sie ihm vor allen Leuten angeschrien, doch stattdessen tat sie so, als ob sie seine schuldbewussten Blicke nicht wahrnehmen würde. 
Vergiss nicht dein Versprechen, Fortescue.
Unhörbar seufzend packte Jocelyn Feder, Tinte und Papier aus, während sie versuchte, Binns monoton vorgetragenen Worten soweit zu folgen, dass sie sich Notizen machen konnte.

Burning DarknessWo Geschichten leben. Entdecke jetzt