Zerbrochene Träume

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Ginny war wie erstarrt. Ihre warmen braunen Augen wanderten erschrocken über sein Gesicht, schienen die hässliche rote Schramme wahrzunehmen, die sich quer über seine Wange zog. 
Sie hob langsam den Kopf, um ihm in die Augen schauen zu können. 
Lorcan erwiderte ihren erschrockenen Blick mit ausdrucksloser Miene. Zögernd streckte sie die Hand aus und berührte mit den Fingerspitzen die Schramme, bevor sie registrierte, was sie tat und hastig die Hand zurück zog. Lorcan rührte sich nicht. Er wusste, dass er keine Zeit für das hier hatte, dass er ihr direkt sagen sollte, was sie zu tun hatte, aber für einen kurzen Moment wollte er noch ihr Gesicht betrachten, bevor Hass darauf treten würde.
,,Wer ist das gewesen?", fragte sie leise.
Lorcan blickte sie nur an. In seinen Gedanken blitzte ein Bild von einem verwüsteten Salon auf, einem endlos langen Tisch, an dessen Ende eine unmenschliche Gestalt thronte, eine Stimme, die zischend und außer sich vor Wut „Crucio!“ schrie. Er versuchte die Erinnerung abzuschütteln.
,,Slughorn scheint ja einen echten Narren an dir gefressen zu haben.", sagte er mit spöttisch blitzenden Augen.
,,Wie lange hast du hier gestanden und mich beobachtet?", wollte Ginny leicht ärgerlich wissen.
Lorcan spürte, wie seine Mundwinkel zuckten.
,,Wie zur Hölle bist du hier reingekommen?", fragte sie.
,,Es gibt einen Geheimgang.", antwortete er knapp und lehnte sich an die Wand hinter sich. Plötzlich fühlte er wieder, wie erschöpft er war. Sein Körper litt immer noch unter den Folgen des letzten Wutanfalls des Dunklen Lords.
,,Was? Wo?", fragte Ginny ungläubig.
,,Nun, wenn ich ihn dir verrate, ist er nicht mehr so geheim, oder?", sagte er gedehnt und strich sich mit angespannter Miene über seinen rechten Unterarm.
Ärger zuckte über Ginnys Gesicht und sie schien alles andere als zufrieden zu sein mit seiner Antwort und doch war ihr offenbar klar, dass sie keine andere von ihm bekommen würde.
,,Weshalb bist du hier?", stellte sie die Frage, die ihr schon die ganze Zeit auf der Zunge zu brennen schien.
,,Bei Merlin, von dieser ganzen Fragerei bekommt man ja Kopfschmerzen.", sagte Lorcan und verdrehte die Augen.
Sie funkelte ihn gereizt an und Lorcan merkte, dass er ihr Gespräch viel zu sehr genoss. Er hielt sich bereits zu lange mit ihr auf.
Einen Moment lang schien Ginny zu überlegen, ihn einfach stehen zu lassen, aber irgendetwas hielt sie anscheinend davon ab. Stille breitete sich zwischen ihnen aus, während sie sich ansahen. Lorcans Lippen verzogen sich zu einem trägen Lächeln. 
„Und, hat dir deine Familie die Treffen mit mir verziehen?“
„Ja…Na ja, wenn man davon absieht, dass mich meine Brüder seitdem kaum noch eine Sekunde aus den Augen lassen.“, antwortete Ginny mürrisch. 
„Haben sie Angst, dass du dich wieder heimlich mit mir triffst?“, fragte er und Lorcan konnte nicht verhindern, dass sich ein Grinsen auf seinem Gesicht ausbreitete. 
„Jaah“, sagte sie augenverdrehend. Dann betrachtete sie ihn einige Sekunden abwägend, bevor sie zögerlich fragte: „Was ist mit dem Werwolfbiss? Normalerweise solltest du nicht hier stehen können.“
Lorcan stimmte ihr insgeheim zu. Die Tatsache, dass er hier stand und unbeschwert mit ihr plauderte und auf seinem Arm keine Spur mehr von der Wunde war, die der verdammte, stinkende Werwolf ihm zugefügt hatte, war absolut nicht normal. 
Einen Moment war Lorcan versucht, Ginny noch einmal wegen jener Nacht zu befragen, als der Werwolf ihn angefallen hatte, da seine Erinnerungen daran nur noch verschwommen und bruchstückhaft waren. Zeitweise hatte er sogar versucht, sich einzubilden, dass das Ganze nur ein wirrer Traum gewesen war, doch die nur allzu lebhaften Erinnerungen an das kleine Wieselmädchen und ihre warmen, drängenden Lippen waren gleichzeitig viel zu real, als dass er wirklich daran hätte glauben können.
Aber wie konnte es dann sein, dass der Werwolfbiss inzwischen nicht einmal mehr zu sehen war? Es war verrückt, tatsächlich so verrückt, dass er gerne mit jemandem darüber gesprochen hätte- ein törichter Wunsch. Vor allem, da das Wieselmädchen wohl kaum die Person war, der er seine Geheimnisse anvertrauen sollte- sollte ihr Mund auch noch so süß schmecken. Es war dumm genug, dass er sich ihr überhaupt angenähert hatte. Er konnte nur froh sein, dass der haarige Mistkerl, der ihn gebissen hatte, offenbar so in seinem Blutrausch gewesen war, dass er sich nicht mehr daran erinnern konnte, ihn zusammen mit Ginny gesehen zu haben, ihn überhaupt gesehen zu haben. Zumindest schien der Dunkle Lord davon noch nichts zu ahnen. Lorcan spürte, wie sich ihm die Kehle zuschnürte bei der Vorstellung, dass er davon erfahren würde.
„Unwichtig.“, zerschnitt Lorcan mit seiner eigenen, harten Stimme die kurze Stille zwischen ihnen. „Ich möchte, dass du etwas für mich erledigst. Schnell.“
Ginny zog die Augenbrauen so weit hoch, dass sie fast in ihrem Haaransatz verschwanden. „Ach ja? Und was führt dich zu der Annahme, dass ich dir auch nur irgendeinen Gefallen tun möchte?“
Lorcan trat dichter zu ihr, so dicht, dass ihm ihr blumiger Duft in die Nase stieg, und blickte auf sie herunter. Er sah, wie sehr es sie ärgerte, dass sie den Kopf nach oben strecken musste, um ihn weiter mit ihren Blicken zu erdolchen, und er genoss es. 
„Hmmm, ich glaube, du würdest mir jeden erdenklichen Gefallen tun, wenn ich dich nur darum bitten würde, mein süßes, süßes Wieselmädchen.“, wisperte er und beugte sich dabei dicht zu ihrem Ohr hinunter.
Mit Befriedigung registrierte er, wie sie erschauerte, als sein Atem ihre Haut traf. Sie trat einen Schritt zurück und ihre braunen Augen blitzten vor Zorn, während sich ihre Wangen rot verfärbten. Einen kurzen Moment lang kam Lorcan der Gedanke, dass er gehen und irgendjemand anderes mit dem Imperius-Fluch dazu bringen sollte, seinen Auftrag auszuführen. Doch ein Teil von ihm schien außerstande zu sein, das Wieselmädchen hier stehen zu lassen. Es war dumm, er merkte selbst, wie unkonzentriert er in ihrer Gegenwart war. Es war nun wirklich keine Zeit dafür, sich vorzustellen, wie er die kleine Weasley mit seinem Körper gegen die Wand drückte und mit seiner Zunge ihren süßen Mund erforschte und doch konnte er nicht verhindern, dass ihm genau das immer wieder durch den Kopf schoss. Er konnte nicht erklären, warum gerade sie ihn so erregte, aber sicherlich lag es daran, dass er schon lange mehr kein Mädchen in seinem Bett gehabt hatte. Es waren einfach nur seine Triebe, die sich hier meldeten und befriedigt werden wollten, weiter nichts. 
Er schob den unangenehmen Gedanken beiseite, dass er sie vor dem Werwolf gerettet hatte, obwohl er doch so leicht dafür hätte sorgen können, dass die Welt von einem weiteren Blutsverräter gereinigt wurde und konzentrierte sich wieder auf das Wesentliche.
„Such meine Schwester und bring sie zu mir.“, wies er Ginny an und während er in ihre haselnussbraunen Augen blickte, umgriff er langsam seinen Zauberstab in der Umhängetasche und dachte: 
Imperio
Der Effekt war direkt zu sehen: Die Wut in den Augen des Wieselmädchens wich einem abwesenden Glanz und ihre sonst so ausdrucksstarke Miene war plötzlich glatt und emotionslos. Sie starrte ihn an, die braunen Augen fest auf sein Gesicht gerichtet, aufmerksam auf weitere Anweisungen wartend, und erneut kamen ihm diese Gedanken unfreiwillig in den Sinn…Er könnte sie nun alles machen lassen. Alles, was er wollte. Sein Hals wurde trocken und er musste schlucken. Nein. Nein, er wollte es nicht so. Sie musste ihn von sich aus wollen, nicht, weil er ihr es befahl- obwohl das sicherlich auch seinen Reiz hätte…
Aber es wäre viel berauschender zu wissen, dass er, ein Todesser, es geschafft hatte, sie zu verführen- sie, die Tochter von Blutsverrätern, welche die Todesser verabscheuten.
Suche meine Schwester und bring sie zu mir. Ich werde hier warten. 
Das Wieselmädchen, sonst so stolz und gerade, wandte sich um und lief mit hängenden Schultern benommen davon. Lorcan wandte sich ab, weil ihn der Anblick plötzlich unruhig, ja, ärgerlich machte. Sie sollte nicht so einfach zu überwältigen sein. Wusste sie denn nicht, was sie für eine Zielscheibe darstellte? Hatte ihr noch niemand gesagt, wie hübsch sie war und was manche Menschen, Männer, mit solch hübschen Mädchen anstellen wollten? Er kam nicht umhin, sich einen gesichtslosen Todesser vorzustellen, der sie mit einem Imperius unterwarf. So wehrlos…Ihre Blutsverräter-Bruder sollten wirklich besser auf sie Acht geben.

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