Verzweiflung

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Draco saß auf einem der hohen Lehnstühle, die im Slytherin- Gemeinschaftsraum standen, und starrte in die Flammen des Kamins, während er Pansys Stimme auszublenden versuchte. Er trommelte ungeduldig mit den Fingern auf der Lehne herum. Plötzlich öffnete sich die Öffnung in der Steinmauer und Jocelyn kam herein. Sein Blick blieb an ihr hängen. Zu seiner Überraschung steuerte sie direkt auf ihren Bruder zu, der bisher schweigend dagesessen hatte. Als Lorcan seine Schwester erblickte, kam Leben in ihn. Er richtete sich auf und Jocelyn ließ sich neben ihn auf den Stuhl fallen. „Und?“, fragte Lorcan mit gesenkter Stimme. 
„Hey, Draco! Wie unhöflich ist es eigentlich, diese blöde Kuh anzustarren, wenn ich mit dir rede!“, sagte Pansy in dem Moment beleidigt, sodass er nur noch ein Teil von Jocelyns Antwort hören konnte. „...dass Tante Fiona mir etwas vererbt hat, aber er wollte mir noch nicht sagen, was es ist. Er hat gesagt, dass ich es in den Ferien erfahren werde, sobald ich unter dem Schutz des Ordens stehe.“ 
Dracos Augenbrauen schossen in die Höhe. „Was?“, platzte er irritiert in das Gespräch der Geschwister. Auch Pansy drehte sich nun widerwillig zu den beiden um. „Der Plan, den meine Schwester mit Dumbledore ausgeheckt hat.“, erläutere Lorcan knapp, bevor er sich wieder Jocelyn zuwandte. „Hat er dir schon irgendwelche Einzelheiten gesagt? Sollst du direkt vom Bahnhof aus von einem Ordensmitglied mitgenommen werden?“ 
„Er hat mir keine Einzelheiten gesagt.“, erwiderte Jocelyn seltsam tonlos. „In Ordnung.“, sagte Lorcan und Jocelyn stand ohne ein weiteres Wort auf und ging in Richtung Schlafsäle. 
„Was für ein Orden?“, fragte Pansy unverständlich. „Eine Geheimorganisation, die von Dumbledore gegründet wurde. Sie bildet sich ein, etwas gegen den Dunklen Lord anrichten zu können.“, erwiderte Lorcan und schnaubte abfällig. 
„Und Dumbledore will Jocelyn unter den Schutz des Ordens bringen?“, hakte Draco nicht weniger unverständlich nach. „Ja, das war der Plan.“, grinste Lorcan breit. „Dumbledore hält sich für schlau, aber in Wirklichkeit ist er einfach nur ein dummer, alter Mann.“ 
Draco schwieg und drehte gedankenverloren an dem Ring an seinem Finger. Er fragte sich, wie Lorcan von Jocelyns Plan erfahren hatte. Er fühlte Verachtung in sich hochsteigen. Dass Jocelyn vorgehabt hatte, auf die andere Seite zu wechseln, zu Potter und seinen Freunden...Dachte sie wirklich, sie könnte zu ihnen dazugehören? Sie war eine Fortescue, ihr Leben war schon vorbestimmt und es war einfach nur dumm von ihr, sich etwas anderes vorzumachen. Er bereute, dass er so freundlich zu ihr gewesen war. Sie war kein Stückchen besser als die scheinheiligen Gryffindors.

Jocelyn lag wach. Sie starrte reglos an die Decke des Schlafsaals und lauschte den regelmäßigen Atemzügen der anderen Mädchen. In ihrem Kopf herrschte Chaos. Sie stand unter dem Imperius-Fluch. Bisher hatte sie nur in Büchern davon gelesen und sie wusste, dass sie sich des Fluches eigentlich gar nicht bewusst sein konnte. Aber trotzdem war es so. Als sie vorhin zu ihrem Bruder gelaufen war und ohne zu Zögern auf seine Fragen zu ihrem Besuch bei Dumbledore geantwortet hatte, hatte sie die ganze Zeit das Gefühl gehabt, dass gerade etwas schrecklich schief lief. Sie wollte das ihrem Bruder gar nicht anvertrauen, aber die Worte waren ihr wie von alleine über die Lippen gekommen. Sie konnte nichts dagegen machen. Kein Ton war ihr entwichen, als sie Dumbledore hatte warnen wollen. Wegen ihr wussten die Slytherins nun über den Orden Bescheid und sie hatte Angst davor, was sie ihnen noch verraten würde. Ihre Augen begannen zu brennen, als ihr klar wurde, wie furchtbar dumm sie gewesen war. Sie hatte sich eingebildet, dass sie tatsächlich vor ihrem Schicksal fliehen konnte. Dass sie eine Wahl hätte. Sie setzte sich im Bett auf, während die Tränen stumm und heiß über ihre Wangen liefen. Sie stellte die Füße auf den Boden und ihre Zehen versanken in dem weichen, dunklen Teppich, während sie im Dunkeln durch den Schlafsaal zum Ausgang lief. Sie tapste blind vor Tränen die Treppe zum Gemeinschaftsraum hinunter. Auf der untersten Treppenstufe entwich ihr ein unterdrückter Schluchzer. Zum Glück war sie alleine, so konnte sie ihren Tränen wenigstens freien Lauf lassen. Sie setzte sich vor dem Kamin auf den Boden und schlang die Arme um ihre angezogenen Beine, während die Tränen immer haltloser über ihre Wangen stürzten. Ein Teil von ihr weinte um ihren Bruder, denn sie hatte tief in ihren Inneren immer gehofft, dass sie ihm vielleicht doch irgendetwas bedeutete. Aber mit diesem Abend war diese Hoffnung endgültig begraben worden. Sie bedeutete Lorcan nicht das Geringste. Auf einmal spürte sie hinter sich eine Bewegung. Sie schrak zusammen und rappelte sich unbeholfen auf, während sie ihre Tränen wegzuwischen versuchte. Sie wandte sich um und sah in kühle, graue Augen. Draco musterte sie schweigend. Sie handelte, ohne nachzudenken. Jocelyn schlang die Arme um ihn und vergrub aufschluchzend ihr Gesicht an seiner Brust. Jocelyn spürte seine Überraschung. Einen Moment stand er völlig reglos. Dann hob er seine Arme und sie dachte einen Augenblick lang, er würde die Umarmung erwidern, aber stattdessen packte er sie an den Schultern und schob sie weg von sich. Verletzt sah sie auf und zuckte zusammen, als sie seinen kühlen Blick wahrnahm. „Plagt dich das schlechte Gewissen?“, sagte er verächtlich. Jocelyn machte einen Schritt zurück und versuchte das Gefühl von Enttäuschung zu unterdrücken. „Schlechtes Gewissen?“
Draco lachte verächtlich auf. „War ja nicht anders zu erwarten. Du bedauerst lediglich, dass dein toller kleiner Plan herausgekommen ist, nicht wahr?“ 
„Warum bist du so?“, entwich es ihr kläglich, bevor sie sich zurückhalten konnte. „Wie bin ich denn?“, fragte er gedehnt. „So kalt.“, erwiderte sie beinahe tonlos. Draco verzog abwertend das Gesicht. „Was wundert dich das, nachdem du vorgehabt hast, zu Potter und seinen Freunden überzulaufen?“ 
„Kannst du mich denn nicht verstehen?“, platzte es verzweifelt aus ihr heraus. „Ich will nicht zurück zu meinen Eltern!“ 
„Und deshalb wolltest du dich einer Geheimorganisation von Dumbledore anschließen? Denkst du wirklich, dass du da dazu gehören würdest- als Tochter von Todessern?“, sagte Draco mit schneidender Stimme. Sie wich seinem Blick aus. Jocelyn musste zugeben, dass sie sehr leichtgläubig gehandelt hatte. Sie hatte nicht einmal richtig über Dumbledores Angebot nachgedacht, bevor sie es angenommen hatte. Sie hatte die Alarmglocken in ihrem Kopf mit Ansicht ignoriert. Selbst wenn der Plan geklappt hätte- wäre sie im Orden überhaupt glücklich gewesen? Sie dachte an die offene Abneigung, die die Gryffindors ihr entgegengebracht hatten, als sie in ihr Haus gekommen war und schloss gequält die Augen. Plötzlich spürte sie Dracos Lippen dicht an ihrem Ohr. „Fang endlich an, zu akzeptieren, wer du bist.“, hauchte er und ein Zittern überfiel sie. Sie schlug die Augen auf und sah gerade noch, wie der blondhaarige Slytherin sich wieder von ihr entfernte und zurück zu dem Sessel ging, in dem er davor wohl gesessen hatte, ohne dass sie es bemerkt hatte. Die Verzweiflung schnürte ihr immer noch den Hals zu. Sie ging durch den Raum und ließ sich in den Sessel neben ihm fallen. „Du hast recht.“, sagte sie leise und sah auf ihre Hände. „Ich habe mir etwas vorgemacht.“ Er erwiderte nichts, aber als sie aufblickte, sah sie, dass die Kälte aus seinen Augen gewichen war. „Aber jetzt ist es schon zu spät.“, fügte sie noch leiser hinzu. 
„Wieso?“, fragte Draco stirnrunzelnd. Sie öffnete den Mund, aber wie erwartet kam kein Ton heraus. Weil mein Bruder mich jetzt steuern kann wie eine Marionette, dachte sie, was ihr unmöglich war auszusprechen. Was, wenn er von ihr verlangte, noch mehr Informationen zu beschaffen? „Draco“, sagte sie aus einer plötzlichen Eingebung heraus. „Stimmt es, dass du gut in Okklumentik bist?“ Er hob überrascht eine Augenbraue. „Ja.“
Jocelyn atmete tief durch und blickte ihm fest in die grauen Augen. „Bring es mir bei.“, sagte sie voller Entschlossenheit.
Als Jocelyn wenig später zurück in den Schlafsaal ging, fühlte sie sich bereits etwas besser. Draco hatte gesagt, dass er versuchen würde, es ihr beizubringen und sie hoffte, dass er sein Versprechen halten würde. Zu lernen, wie sie ihren Geist abschirmen konnte, war immerhin ein Anfang. Sie glitt zurück unter ihre Bettdecke und schloss die Augen. Sie fiel in einen tiefen, traumlosen Schlaf.

Burning DarknessWhere stories live. Discover now