Jäger und Gejagte

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Draco lief eine schmale Pflasterstraße hinab, in der lauter verfallene Backsteinhäuser standen. Die Laternen, die den Gehweg säumten, waren größtenteils ausgefallen, sodass er in tiefer Dunkelheit lief, und die Häuser wirkten unbewohnt mit ihren dunklen Fenstern. Er ging durch eine Gasse zwischen zwei Häusern und in eine ähnlich verlassene Straße. Draco war bisher nur einmal hier gewesen, aber er hoffte trotzdem, dass er den Weg wiederfinden würde. Er drang immer tiefer in das Labyrinth der Backsteinhäuser ein und warf ab und an einen prüfenden Blick auf Jocelyn, die reglos in seinen Armen lag. Schließlich lief er durch eine Straße namens Spinner's End, an die er sich noch von seinem letzten Besuch erinnern konnte und erreichte das letzte Haus der Straße. Es wirkte auf den ersten Blick genauso unbewohnt wie die restlichen Häuser, aber dann nahm Draco einen schwachen Lichtschein im Erdgeschoss wahr. Er zögerte, aber schließlich klopfte er an. Nach einigen Sekunden hörte er ein Geräusch hinter der Tür und sie öffnete sich einen Spaltbreit. Snapes schwarze Augen weiteten sich kaum merklich, als er Draco auf seiner Türschwelle erblickte. Er wurde blass und öffnete mit einer ruckartigen Bewegung die Tür. 
„Komm rein, schnell!“, zischte er und trat zurück. 
Draco ging an ihm vorbei ins Haus und Snape ließ die Tür zuschnappen. 
„Es war außerordentlich dumm von dir, hierherzukommen, Draco! Hier wird der Dunkle Lord am ehesten mit dir rechnen!“, fauchte er. 
Snapes Blick fiel auf Jocelyns reglose Gestalt in Dracos Armen und seine Miene wurde noch finsterer. 
„Leg sie dahin.“, knurrte er widerwillig und deutete auf das zerschlissene Sofa, das in der Ecke seines kleinen, finsteren Wohnzimmers stand. 
Draco durchquerte den Raum und legte Jocelyn vorsichtig darauf ab. Snape verließ das Wohnzimmer und Draco hörte etwas klirren. Er verschränkte die Arme und lief ungeduldig neben dem Sofa auf und ab. Abwertend musterte er die schäbige Einrichtung seines Hauslehrers und fragte sich einmal mehr, wie man an solch einem Ort leben konnte. Endlich kam Snape mit einem Tablett zurück, auf dem verschiedene Fläschchen und Salben standen. Er stellte das Tablett auf den wackeligen Tisch, der vor dem Sofa stand und besah sich dann einige Sekunden lang schweigend die Wunde an Jocelyns Hals. 
„Was ist das alles?“, Draco nahm eines der Fläschchen hoch und hielt es gegen das trübe Licht der Lampe. 
„Das ist ein Stärkungsdrang. Das musst du doch wohl erkennen können.“, sagte Snape missbilligend. 
„Sie können niemals aus Ihrer Haut, was, Professor?“, grinste Draco spöttisch, während er das Fläschchen wieder hin stellte. 
Snape ignorierte ihn und griff nach einer der Salben. Er schraubte sie auf und schmierte die übelriechende Paste auf Jocelyns Wunde. Draco rümpfte die Nase und beobachtete, wie Snape nun nach dem Stärkungstrank griff. Er öffnete das Fläschchen und flößte Jocelyn einige Schlucke davon ein. 
„Das war's?“, fragte Draco. 
„Mehr kann ich nicht für sie tun.“, erwiderte Snape kühl. 
„Wird sie jetzt ein Werwolf?“ 
„Greyback war nicht verwandelt, als er sie gebissen hat, aber trotzdem ist es durchaus möglich.“ 
Snape ließ sich in den Sessel sinken, der neben dem Sofa stand und sah ihn schweigend an. 
„Was, gar keine Schimpftirade?“, spöttelte Draco. 
Snapes Mundwinkel hoben sich kaum merklich. Doch dann wurde seine Miene wieder ernst. 
„Was hast du jetzt vor, Draco?“, fragte er. „Dir ist hoffentlich klar, dass ihr nicht lange hierbleiben könnt.“ 
Das Grinsen wich von Dracos Gesicht und Snape sah Unsicherheit in seiner Miene aufblitzten. 
„Ist Vater sehr sauer?“, wollte er zögerlich wissen. 
Lucius' vor Wut verzerrtes Gesicht kam ihm in den Sinn, aber er schwieg. Draco schien auch so zu verstehen, denn er wurde kaum merklich blasser. 
Er hat ihm und Mutter doch nichts angetan, oder?“, fragte er beklommen. 
„Du kannst dir sicher denken, dass der Dunkle Lord sehr zornig war“, sagte Snape. Draco erstarrte und Snape fügte hinzu: „Jedoch geht es ihnen beiden gut.“ 
Draco atmete ein paar Mal tief durch und nickte. 
„Ich habe es nicht geplant, weißt du!“, platzte es plötzlich aus ihm heraus. „Aber Greyback“, Draco schauderte, als er den Namen aussprach, „hätte sie getötet. Ich konnte einfach nicht…“ 
„Es ist in Ordnung, Draco.“, sagte Snape ruhig. 
„Nichts ist in Ordnung!“, sagte Draco und verzog gequält sein Gesicht. „Vater…Er wird mir das niemals verzeihen.“ 
Snape schwieg und stand von seinem Sessel auf. Er ging zu dem einzigen Fenster im Raum und schob die Vorhänge beiseite, um auf die düstere Straße schauen zu können. 
„Wenn die Sonne aufgegangen ist, dürft ihr nicht mehr hier sein.“, sagte er und wandte sich zu Draco um. 
Dieser sah mit gerunzelter Stirn zu Jocelyn. „Wird sie…“, fing er an, wurde aber von seinem Hauslehrer unterbrochen. 
„Ich kann dir nicht sagen, ob sie wieder gesund wird. Greyback mag zwar nicht verwandelt gewesen sein, aber möglicherweise hat er sie trotzdem infiziert.“, sagte er. 
Er richtete den Zauberstab auf eine Bücherwand, und mit einem Knall flog eine verborgene Tür auf und eine schmale Treppe wurde sichtbar, auf der Wurmschwanz stand. 
„Habe ich dir nicht gesagt, dass du nicht an Türen lauschen sollst, Wurmschwanz?“, fragte Snape träge. 
Wurmschwanz' kleine, wässrige Augen glitten durch den Raum und blieben an Draco hängen. 
„Ah, Draco, wie reizend!“, sagte er mit quiekender Stimme. 
Draco sah mit hochgezogenen Brauen zu Snape. 
„Der Dunkle Lord hat ihn hierher geschickt.“, erklärte dieser knapp. 
Mit einem Schlenker seines Zauberstabs warf er Wurmschwanz, der gerade die letzten Stufen heruntergekommen war, die Tür vor der Nase zu. Snape ging auf eine weitere, verborgene Tür zu, die in einen kleinen Raum führte, in dem ein schmales Einzelbett und ein überladener Schreibtisch standen. Auf der Türschwelle wandte er sich nochmal zu Draco um. 
„Sobald es hell wird, müsst ihr von hier verschwinden. Ruhe dich solange noch etwas aus.“, meinte er knapp und schloss dann die Tür hinter sich. 
Draco begutachtete mit kritischem Blick den löchrigen Sessel, bevor er sich schließlich mit einem ergebenen Seufzen darauffallen ließ. Er schloss die Augen und merkte plötzlich, wie erschöpft er war.

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