Unter Schlangen

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Der Hogwarts-Express verließ den Bahnhof und es dauerte nicht lange, bis Jocelyn nur noch Felder und Wiesen sah. Die Tür zu ihrem Abteil öffnete sich und ein weiterer Slytherin kam herein und ließ sich in den Sitz neben sie fallen. Er schenkte ihr einen kurzen, abschätzenden Blick und ignorierte sie dann genauso, wie die anderen es größtenteils taten. Die einzige Person, die sie nicht ignorierte, war Pansy. Jocelyn spürte ihre hasserfüllten Blicke wie kleine Nadelstiche auf der Haut brennen. Demonstrativ hatte die dunkelhaarige Slytherin den blonden Schopf von Draco, der auf dem Sitz lümmelte, auf ihren Schoß gezogen und streichelte nun durch sein Haar, was dieser gleichgültig über sich ergehen ließ. Jocelyn hätte gelacht, wenn ihr Hals nicht so zugeschnürt gewesen wäre. So starrte sie ohne etwas zu sehen aus dem Fenster und lauschte abwesend den Gesprächen der anderen. Blaise, der Junge, der sich neben sie gesetzt hatte, prahlte gerade mit den Ehrenplätzen, die er und sein Vater bei einem Spiel der Quidditchweltmeisterschaft bekommen hatten, worauf Draco verächtlich äußerte, dass das ja wohl nichts besonderes wäre, da er und sein Vater immer in der Ministerlounge sitzen durften, was Blaise verstummen ließ.
„Deine Familie hat so gute Kontakte.", schwärmte Pansy und lächelte auf Draco hinunter.
Ohne ihren Willen machte Jocelyn ein abfälliges Geräusch, was Pansy abrupt den Kopf hochreißen ließ. „Hast du ein Problem, Fortescue?", fauchte sie wütend.
Die anderen wandten die Köpfe zu ihr und Jocelyn sah Dracos amüsiertes Grinsen. „Nein, alles bestens.", sagte sie sarkastisch.
Pansy zog die Augen zu Schlitzen zusammen und Jocelyn entgegnete ihren Blick nicht minder finster. Zabini, der sich zu amüsieren schien, fragte nun: „Sag mal, warum bist du eigentlich nicht bei deinen kleinen Loser- Freunden?"
Jocelyn presste einen Moment die Lippen aufeinander, bevor sie schnippisch erwiderte: „Was geht dich das an?"
Lorcan, der ihr gegenüber saß, mischte sich mit einem gemeinen Lächeln ein. „Mutter und Vater haben ihr in den Ferien eine kleine Lektion erteilt, mit wem sie in Zukunft besser nicht mehr herumhängen sollte."
Pansy grinste breit und Zabini lachte auf, während Grabbe und Goyle ein belustigtes Grunzen von sich gaben. Jocelyn senkte den Kopf und biss wütend die Zähne aufeinander. Plötzlich verspürte sie so einen flammenden Hass, dass sie kurz davor war, ihren Zauberstab zu ziehen und ihrem Bruder einen Fluch entgegen zu schleudern. In diesem Moment kam der Servierwagen an ihrem Abteil vorbei und Grabbe und Goyle sprangen von ihren Sitzen auf. Auch Zabini erhob sich und in dem Moment fiel ihr auf, dass Malfoy sie mit merkwürdiger Miene anschaute. Doch im nächsten Moment sah er wieder weg und Jocelyn kam zu dem Entschluss, dass sie sich nur getäuscht hatte.
Die Zugfahrt dauerte heute halbe Ewigkeiten. Jocelyn war die erste, die erleichtert von ihrem Sitz aufsprang, als der Hogwarts-Express schließlich endlich in Hogsmeade hielt. Sie verließ das Abteil ohne einen Blick zurück und war eine der ersten, die ausstieg. Sie lief eilig und mit gesenktem Kopf den Bahnsteig hinunter und stieg in eine der Kutschen. Sie war unbesetzt bis auf eine Zweitklässlerin aus Rawenclaw, die keine Notiz von ihr nahm, was sie etwas entspannen ließ.
Aber wenig später stiegen niemand anderes als Harry, Ron und Hermine in ihre Kutsche. „Oh, hey Jocelyn.", sagte Harry überrascht.
Jocelyn senkte den Kopf und murmelte ein knappes Hallo. Sie fühlte seine Verwunderung über ihre abweisende Art und die der anderen, aber sie versuchte das Bedauern zu unterdrücken, das in ihr hochkommen wollte. Wenn sie erst einmal getan hatte, was Isidor ihr befohlen hatte, würden sie sowieso nichts mehr mit ihr zu tun haben wollen, von daher war es besser so. Die Kutsche fuhr an und erneut schien die Zeit im Schneckentempo zu vergehen, bis sie endlich da waren. Währenddessen hatten die drei einige Versuche unternommen, mit ihr zu reden, aber als ihre Antworten einsilbig blieben, hatten sie die Versuche irgendwann eingestellt. Wahrscheinlich, dachte Jocelyn bitter, fühlen sie sich jetzt nur bestätigt. Wie konnte man von einer Fortescue erwarten, dass sie etwas anderes als ein kaltes Miststück war? Sie stieg erneut als erstes aus und legte schnurstraks den Weg zu den hohen Flügeltüren Hogwarts zurück. Sie durchquerte den Eingang und betrat die Große Halle. Zögernd ging sie zum Gryffindor- Tisch und setzte sich ans Tischende. Nach und nach trudelten alle Schüler ein und nach einer kurzen Begrüßung Dumbledores, begann das Festmahl. Jocelyn bekam kaum etwas hinunter und sah mit trüber Miene auf ihren Teller hinunter. Sie fühlte sich verloren zwischen den fröhlich durcheinanderredenden Schülern, die völlig sorglos schienen. Sie zählte die Minuten, bis es endlich Zeit war, in die Gemeinschaftsräume zu gehen. Aber den Weg, den sie einschlug, nachdem sie die Große Halle verlassen hatte, war nicht der, der zu dem Gryffindor- Gemeinschaftsraum führte. Unbemerkt ging sie schnellen Schrittes in die entgegengesetzte Richtung, zu dem Schulleiterbüro. Als sie vor dem Wasserspeier stand, hoffte sie, dass sie ihn nicht verpasst hatte. Minuten vergingen und sie wurde langsam etwas unruhig, als sie endlich Dumbledore den Gang hinunterlaufen sah. Er hielt überrascht inne, als er sie vor seinem Büro warten sah.
„Miss Fortescue! Was führt Sie zu dieser späten Stunde noch zu mir?", fragte er fröhlich. Heute trug er ein dunkelblaues Gewand, auf dem leuchtend gelbe Sterne waren.
Jocelyn lächelte verkrampft. „Ich habe ein kleines Anliegen, Professor."
Dumbledore sah sie einen Moment neugierig an, aber dann sagte er das Passwort für sein Büro und ging voraus die Treppe hoch. Jocelyn folgte ihm nach kurzem Zögern. Er öffnete die Bürotür und hielt sie für sie auf.
„Setzen Sie sich.", forderte er sie höflich auf. Er nahm gegenüber von ihr Platz und faltete die Hände, während er sie auffordernd anblickte.
Jocelyn atmete tief durch und sammelte Kraft für die unglaubliche Lüge, die sie ihm gleich auftischen würde. „Professor", fing sie an. „Ich fürchte, der sprechende Hut hat ein Fehler gemacht, als er mich nach Gryffindor geschickt hat."
Sie schluckte, als Dumbledore sie verwundert über seine halbmondförmigen Brillengläser hinweg anschaute. „Was führt Sie zu dieser Annahme, Miss Fortescue?"
„Ich...ich fürchte ich passe einfach nicht nach Gryffindor, Sir. Ich glaube, ich habe die Eigenschaften eines anderen Hauses in mir.", Jocelyn gab sich Mühe, überzeugend zu sein, aber sie hatte das Gefühl, dass Dumbledore ihr diese Lüge niemals abkaufen würde.
„Der sprechende Hut täuscht sich für gewöhnlich nicht.", bemerkte Dumbledore freundlich, aber mit einem entschiedenen Unterton in der Stimme.
Oh, Merlin, dachte Jocelyn verzweifelt, es funktioniert nicht, er durchschaut meine Lüge. „Bitte", brach es heftiger als gewollt aus ihr hervor. Ihre Stimme zitterte, als sie weitersprach: „Er muss sich getäuscht haben."
Dumbledore sah sie einige Augenblicke lang eindringlich an. „Miss Fortescue, ich muss Sie etwas fragen. Ist es wirklich Ihr Wunsch, das Haus Gryffindor zu verlassen? Oder...ist es vielmehr der Wunsch eines anderen?"
Mit weit aufgerissen Augen sah Jocelyn in Dumbledores ruhige, weise Augen. „Es ist mein Wunsch.", flüsterte sie kraftlos und zu ihrem Entsetzen fühlte sie Tränen in den Augen.
Weitere, endlose Sekunden vergingen, bevor Dumbledore sich in seinem Stuhl zurücklehnte und mit nachdenklicher Miene nickte. „In welches Haus möchten Sie denn, Miss Fortescue?"
Jocelyn sah auf ihre Hände. „Slytherin.", das Wort schmeckte bitter auf ihrer Zunge.
Es blieb erneut still, bevor der Schulleiter mit sanfter Stimme sagte: „In Ordnung, dann werde ich Ihren Umzug in die Wege leiten."
Jocelyn sah auf und pappte sich irgendwie ein dankbares Lächeln aufs Gesicht. „Danke, Professor."
Nachdem Dumbledore ihr den Weg zum Slytherin- Gemeinschaftsraum beschrieben und ihr das derzeitige Passwort gesagt hatte, lief sie los. Der Gemeinschaftsraum der Slytherin lag im unterirdischen Teil des Schlossgebäudes und der Eingang stellte eine Öffnung in einer Steinmauer dar, die sich auftat, nachdem Jocelyn das Passwort gesagt hatte. Schaudernd sah sie sich in dem dunklen, mit grünlichen Kugellampen beleuchteten Raum um, der langezogen war und hässliche, rohe Steinwände besaß, und spürte direkt Abneigung in sich. Um den offenen Kamin herum und verteilt im Raum standen einige hohe Lehnstühle, die von ein paar Slytherins besetzt waren- unteranderem ihrem Bruder und Malfoy, die jetzt beide ihr Eintreten bemerkt hatten und sich zu ihr umwandten. „Na, sieh einer an, wen wir da haben.", spöttelte Lorcan, während Malfoy sie wortlos musterte. Ohne zu reagieren ging Jocelyn durch den Raum zu der Treppe, von der sie vermutete, dass sie in die Mädchenschlafsäle führte und lief sie hoch. Während sie ihre Vermutung bestätigt sah und den ungemütlich wirkenden Schlafsaal durchquerte, auf der Suche nach ihrem Bett, dachte sie in einem Anflug von schwarzem Humor, dass sie bei ihrem Glück wahrscheinlich direkt neben Pansy ihr Bett hatte. Die Slytherins-Mädchen sahen erst nach ein paar Augenblicke, dass sie in den Raum gekommen war, und sofort begannen sie miteinander zu flüstern. Wie zu erwarten, war Pansy die erste, die die Frage aussprach, die sich alle Mädchen stellten. „Was zur Hölle suchst du in unserem Schlafsaal, Fortescue?!"
„Ich habe das Haus gewechselt.", erwiderte Jocelyn knapp.
Pansy lachte überrascht auf, aber als Jocelyns Gesicht ernst blieb, hörte sie direkt wieder damit auf. „Ist das dein Ernst?!", schnappte sie.
Jocelyn hatte ihr Bett entdeckt, anscheinend hatte es Dumbledore kurzfristig dazustellen lassen. Es stand am Raumende, was sie erleichtert zu Kenntnis nahm, da sie dann zumindest nur einen Bettnachbar hatte. Wie bei ihrer Ankunft in Hogwarts lag ihr Koffer bereits am Fußende des Bettes. Jocelyn öffnete ihn und suchte nach ihrem Pyjama, während Pansy ihr gefolgt war und aufgebracht auf sie einredete. „Wehe, du glaubst jetzt, dich an Draco ranmachen zu können, du blöde Ziege! Er gehört mir, hast du kapiert?"
„Sie wird es bestimmt versuchen, Pans.", mischte sich ein anderes Mädchen ein, das ein schmales, boshaft wirkendes Gesicht hatte. „Sie schaut ihn immer so an."
Pansy, bestätigt durch den Einwurf des Mädchens, wandte sich vor Wut bebend wieder zu Jocelyn um.
„Stopp", sagte diese entnervt seufzend, bevor Pansy etwas sagen konnte. „Ich will deinen Draco gar nicht. Du brauchst keinerlei Befürchtungen haben, von mir aus kannst du ihn gerne haben."
Pansy schnaufte. „Ich hoffe es für dich!", sagte sie bissig und ließ sie dann endlich in Ruhe, um sich ebenfalls für die Nacht umzuziehen. Erschöpft ließ sich Jocelyn auf ihr Bett sinken.

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