Leben nehmen oder nehmen lassen

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In Jocelyns Nacken kribbelte es unangenehm und sie konnte sich nicht davon abhalten, alle paar Sekunden einen Blick über ihre Schulter zu werfen. Verdammt schlechte Idee, schoss es ihr durch den Kopf. Zum Schutz schob sie ihre langen, roten Locken über ihre Schultern nach vorne und ging eiliger. Ihr Magen fühlte sich unangenehm hohl an, was auch der Grund war, warum sie schon früh morgens das Motelzimmer verlassen hatte, das Draco und sie sich gemietet hatten. Das und die quälende Unruhe, die an ihr genagt hatte. Seit dem Kuss – diese Bezeichnung erschien Jocelyn nicht einmal annähernd genug, um das zu beschreiben, was gestern Abend zwischen ihr und dem blondhaarigen Slytherin vorgefallen war – herrschte eine seltsame Spannung zwischen ihnen und die Nacht, die sie in einem Bett verbracht hatten, hatte nicht gerade zur Linderung dieser beigetragen. Im Gegenteil- Jocelyn hatte die ganze Zeit wachgelegen, da sie sich Dracos Nähe mit einer unangenehmen Intensität bewusst gewesen war, die sie regelrecht unter Strom stehen hatte lassen. Irgendwann hatte sie es nicht mehr ausgehalten und war aufgestanden. Das Bild, wie weich und verletzlich seine Miene im Schlaf gewirkt hatte, kam ihr in den Sinn und ließ ihr Herz schneller schlagen. Sie hatte ihm eine kurze Nachricht hinterlassen, obwohl sie vorhatte, noch vor seinem Aufwachen zurück zu sein. Mit vor Aufregung trockenem Hals betrat Jocelyn den Supermarkt. Sie hasste den Gedanken, etwas stehlen zu müssen, aber ihr vor Hunger schmerzender Magen zwang sie dazu. Während sie bemüht entspannt durch die Regalreihen schlenderte, ließ sie eine Packung Kekse in der Tasche ihres Umhangs verschwinden. Danach blickte sie sich reflexartig kurz um und stockte. Einige Meter hinter ihr stand ein junger Mann mit langen dunklen Haaren, die etwas zottlig wirkten, und starrte sie an. Sie schluckte krampfhaft und wandte den Blick ab. Scheinbar unberührt lief sie weiter, doch kaum war sie um das Regal gebogen, beschleunigte sie ihre Schritte. Sie kam an der Obstabteilung vorbei und nach kurzem Zögern griff sie mit einer hastigen Bewegung nach einem Apfel und ließ ihn ebenfalls in die Taschen ihres Umhangs wandern. Dann beschloss sie, kein weiteres Risiko mehr einzugehen, und steuerte schleunigst auf den Ausgang zu. Sie wäre vor Schreck beinahe zusammengezuckt, als sie den dunkelhaarigen Mann erblickte, der neben dem Ausgang an der Wand lehnte und ihr mit regloser Miene entgegen blickte. Ihre Gedanken überschlugen sich. Sollte sie an ihm vorbei durch die Tür laufen? Er würde sie doch nicht in Anwesenheit von Muggeln angreifen, oder? Schließlich fasste sie einen Entschluss und lief direkt auf ihn zu. Der Dunkelhaarige löste sich von der Wand, als sie näher kam und seine Mundwinkel kräuselten sich zu einem hintergründigen Lächeln, das ihr einen kalten Schauer über den Rücken jagte. Jocelyn erreichte die Tür und zog sie mit einer ruckartigen Bewegung auf. Sie stürmte nach draußen und spürte, dass er ihr folgte. 
„Es gehört sich nicht, zu klauen.“, sagte er hinter ihr. Sie wurde langsamer und sah über ihre Schulter. 
„Es gehört sich auch nicht, Leute zu verfolgen.“, zischte sie. „Verschwinden Sie lieber, bevor ich Ihnen ein Fluch auf den Hals jage.“ 
Der Mann, der ausgemergelt wirkte und stechend dunkelblaue Augen hatte, stieß ein hämisches Lachen aus. „Entzückend.“, sagte er spöttisch und ließ auf unangenehme Weise den Blick über sie gleiten. Noch während sie einen Schritt nach hinten trat, griff er nach ihrem Arm und zog sie rücksichtslos an sich. Ein kupferartiger Geruch drang an ihre Nase, der beinahe wie Blut roch, und Galle stieg in ihr hoch. Sie wollte ihren Zauberstab aus ihrer Tasche ziehen, doch er umklammerte ihr Handgelenk. Er zerrte sie grob hinter sich her und ignorierte ihre Befreiungsversuche. Als er sie in eine Seitenstraße zerrte, erfasste sie Panik. Jocelyn holte aus und schlug ihm mit voller Wucht ihren Ellenbogen in die Seite. Er zuckte zurück und sie nutzte die Gelegenheit, um sich loszureißen. „Du Miststück!“, knurrte er. 
Sie zog ihren Zauberstab und richtete ihn auf den Todesser. „Kommen Sie nicht näher!“ 
Der Dunkelhaarige legte den Kopf in den Nacken und stieß ein Lachen aus, das wie ein Brüllen klang. Jocelyn lief weiter rückwärts und ließ seine Zauberstabhand nicht aus den Augen. Plötzlich stieß sie mit dem Rücken gegen etwas, oder besser gesagt jemand. Noch bevor ihr der bekannte Geruch von Blut, Schweiß und Dreck in die Nase stieg, wusste sie, dass sie richtig in der Klemme steckte. Greyback neigte sich über sie und als sie seinen widerlich heißen Atem an der empfindlichen Haut ihres Nackens spürte, schrie sie auf. „Sachte, Fenrir. Der Dunkle Lord will sie in lebendigem Zustand.“, sagte der dunkelhaarige Todesser und schlenderte gemächlich auf sie zu. Greyback stieß ein unzufriedenes Knurren aus. Er fuhr mit einem Finger über die Wunde an ihrem Hals, die er ihr zugefügt hatte, und Jocelyn zuckte zusammen, während er rau lachte. „Nur ein Biss.“, murmelte er begierig und beugte sich erneut über sie. Jocelyn, die sich nur noch zu gut an den Schmerz erinnerte, als er ihr die Zähne in den Hals geschlagen hatte, schrie erneut auf und schlug wild um sich. Plötzlich schrie jemand: „Petrificus Totalus!“, und der dunkelhaarige Todesser sackte in sich zusammen. Greyback erstarrte, die Zähne bereits gebleckt. Jocelyn schnappte nach Luft. „Hermine?“, fragte sie ungläubig.

Burning DarknessWhere stories live. Discover now