Rettung

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Das Wasser wurde gluckernd vom Abfluss geschluckt, das einzige Geräusch in der ohrenbetäubenden Stille. Lorcan konnte sich nicht rühren. Wie von dem Pertificus Totalus getroffen, stand er vollkommen still und starrte sich in dem Spiegel über dem Waschbecken an. Er starrte in seine blassblauen Augen im Spiegel, doch was er stattdessen sah, war seine Schwester, die sich vor Schmerz schreiend auf dem Boden krümmte. Er ließ den Blick über seine steinernen Gesichtszüge gleiten, doch eigentlich war er noch immer in dem Salon mit dem Kamin, in diesem Raum, auf dem ein Fluch zu liegen schien. In ihm tobte es. In Gedanken schrie er, zertrümmerte den Spiegel und zerkratzte sich das Gesicht, während er bewegungsunfähig verharrte. Er legte den Kopf schräg und horchte in sich herein. Unter all dem, unter dem in ihm wütenden Sturm, lag eine andere Emotion, eine, die nicht zu ihm zu gehören schien. Triumph. Ein Bild blitzte vor seinem Inneren Auge auf. Er stand in einer dunklen, kalten Gefängniszelle und vor seinen Füßen lag ein in sich zusammengefallener Mann. Als er nach unten schaute, sah er, dass seine langen, weißen Hände den Zauberstab auf den Mann gerichtet hielten. Lorcan blinzelte und das Bild verschwand und damit auch das triumphale Gefühl. Er schnappte nach Luft, wie ein Ertrinkender.„Ich habe das Gefühl zu ersticken. Hilf mir, Wieselmädchen", hörte er seine eigene Stimme. Sie schwebte wie ein Geist durch den Raum. Die Worte waren aus ihm herausgeplatzt und während er sie ausgesprochen hatte, war es gewesen, als ob ein Fremder sie sagen würde. Er erinnerte sich an Ginnys große, fassungslose Augen, an das Unverständnis in dem warmen Braun.
Lorcan verlor den Verstand.
Anders ließ sich all das nicht erklären.
Er verfiel mit jedem Tag mehr dem Wahnsinn.
Das Wasser gluckerte auf seinem Weg nach unten.
Er starrte sich an, ohne zu blinzeln.
Seine Faust schoss nach vorne, ohne dass er es kommen sah.
Risse zogen sich über sein Gesicht, spalteten es in zwei Hälften.
Ein Schrei entriss sich seiner Kehle.

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Jocelyn schwebte zwischen den Welten. Zumindest fühlte es sich so an. Ihre Wange ruhte auf dem kalten Steinboden und ihr Gesicht spannte von dem getrockneten Salz ihrer Tränen. Sie wusste nicht, was für ein Tag es war. Ob die Sonne schon untergegangen war? Immer wieder ließ sie sich von der Traumwelt umhüllen, wie von einem warmen, schützenden Mantel. Sie erinnerte sich an das Gefühl von Dracos Händen auf ihrem Körper, an das kribbelnde Gefühl auf ihrer Haut, wann immer er sie berührt hatte und obwohl sie die Erinnerungen einerseits trösteten, rissen sie andererseits jedes Mal noch tiefere Krater in ihre Brust. Sie sah wieder vor sich, wie er ihr den Rücken zugekehrt hatte, wie er mit seiner Mutter aus dem Haus gelaufen war, ohne auch nur einen Blick zurück zu werfen. Sie hörte sich flehen: „Draco, kämpf dagegen an, bitte! Ich liebe dich!"
Alle Hoffnung war inzwischen aus ihr gewichen. Zitternd lag sie auf dem kalten Boden. Niemand würde ihr zu Hilfe kommen. Die einzige Person, der sie etwas bedeutete, hatte sie vergessen.
Hatte vergessen, dass er sie liebte.
Jocelyn wusste nicht, wie lange sie schon hier war. Plötzlich vernahm sie donnernde Schritte vor ihrer Zellentür und spannte sich an. In unregelmäßigen Abständen bekam sie etwas zu trinken und zu essen. Jocelyn hoffte inbrünstig, dass es nur Wurmschwanz und nicht Yaxley sein würde.
Die Zellentür wurde entriegelt und der Hereinkommende warf die Tür so heftig auf, dass sie an die dahinterliegende Wand krachte. Jocelyn zuckte zusammen und setzte sich hastig auf, was sich mit ihren gefesselten Händen als schwierig gestaltete. Sie blinzelte gegen die Helligkeit an, die von draußen hereindrang und erkannte, dass Yaxley in der Tür stand.
Ihre Kehle wurde eng und instinktiv rutschte sie unbeholfen nach hinten, bis sie die Wand im Rücken spürte. Der große, blonde Zauberer starrte auf sie herunter, auf seinem brutalen Gesicht lag ein hämisches Grinsen und seine farblosen Augen hielten sie gefangen. Er kam langsam in die Zelle und seine schweren Stiefel hinterließen dumpfe Geräusche auf dem Steinboden. Mit einem Fußtritt warf er die Zellentür zu und die plötzliche Dunkelheit ließ Jocelyn ängstlich aufkeuchen.
Yaxley entzündete mit seinem Zauberstab ein Licht und trat dicht vor Jocelyn, die mit angezogenen Knien an der Wand kauerte.
„Du bist schmutzig.", zischte Yaxley.
Er rümpfte die Nase und Jocelyn drehte das Gesicht zur Seite, beschämt.
Yaxley lachte und das Lachen rasselte unangenehm in seiner Brust.
„Wenn Malfoy dich jetzt sehen könnte."
Jocelyn zuckte unwillkürlich zusammen und erneut erklang Yaxleys hämisches Lachen.
„Oh, Verzeihung, ich habe vergessen, dass das ein schwieriges Thema für dich ist. Du wirst sicher nicht gern daran erinnert, dass er dich zurückgelassen hat für uns- schön verpackt und zugeschnürt, fast wie ein Weihnachtsgeschenk."
Wieder lachte er und Jocelyn schmeckte pure Wut auf ihrer Zunge.
„Fahren Sie zur Hölle", stieß sie hervor.
Yaxley beugte sich nach unten und packte sie unvermittelt am Arm.
„Nicht ohne dich, meine Teuerste."
Er riss Jocelyn an den gefesselten Handgelenken nach oben.
„Komm schon", sagte er ungeduldig, als ihre Beine ihr den Dienst versagen zu drohten und sie unbeholfen nach hinten stolperte. „Du musst dich herrichten. Der Dunkle Lord hat einen Auftrag für dich." Das düstere Vergnügen stand ihm in die farblosen Augen geschrieben, die im schwachen Licht seines Zauberstabs noch farbloser wirkten.
„Was für ein Auftrag?", entwich es Jocelyn ängstlich.
„Das wirst du noch früh genug erfahren."

Burning DarknessWhere stories live. Discover now