Ins Ungewisse

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Einen Monat später
Der knallrote Zug mit der Aufschrift Hogwarts- Express stieß einen lauten Pfeifton aus und die ersten Türen schlossen sich schon.
„Beeil dich, wenn du den Zug nicht verpassen willst!", rief Draco Jocelyn zu, die einige Schritte hinter ihm und Lorcan- überwältigt von der Vielfalt der Eindrucke, die auf sie einstürmten- stehen geblieben war. Sie beeilte sich, die beiden einzuholen, und sah sich dabei fortwährend um. Unmengen von Schüler drängten in den Zug, während ihre Eltern und Verwandten neben dem Bahngleis standen und ihnen Anweisungen und Verabschiedungen hinterherriefen. Jocelyn schaute wehmütig auf ein Elternpaar, das ihrer Tochter, ein Mädchen mit buschigen, lockigen Haaren, hinterher winkte, das gerade in ein Abteil eingestiegen war. Die Frau wischte sich die Augen und der Mann legte tröstend den Arm um ihre Schultern. Bei dem Anblick warf Jocelyn einen kurzen Blick zurück an die Stelle, wo die Familie Malfoy sich von ihrem Sohn und Lorcan verabschiedet und sie völlig ignoriert hatten, und sah, dass sich Lucius und Narzissa bereits zum Gehen wendeten. Dann trat sie hinter Draco und ihrem Bruder in ein noch nicht ganz so besetztes Abteil.
„Draco!", Jocelyn schaute indigniert, als ein riesiger, plumper Typ auf sie zugelaufen kam.
„Hallo, Goyle.", sagte Draco gelangweilt.
Jocelyn verzog abwertend den Mund. Solch ein Trottel gehörte also zu Dracos Freunden? Was hatte sie überhaupt etwas anderes erwartet. Sie drückte sich an Lorcan vorbei und beschloss, sich ein Abteil fern von Malfoy und ihrem Bruder zu suchen, auch wenn ihr nicht wohl dabei war. Sie fürchtete jeden Moment, dass jemand losschrie: „Hey, das ist eine Fortescue!", und hätte sich am liebsten weiterhin unsichtbar gemacht. Aber stattdessen straffte sie die Schultern und kämpfte sich nun auch noch an Malfoy vorbei.
„Wo willst du hin?", rief dieser ihr hinterher, aber da war sie schon an Goyle vorbei und auf dem Gang. Eilig ließ sie das Abteil hinter sich und wich dabei geschickt den anderen aus, die sich auch noch einen Platz suchten. Sie hatte gerade ein fast leeres Abteil erreicht, als sie plötzlich jemand am Arm packte. Jocelyn schloss einen Moment genervt die Augen, dann drehte sie sich um. Sie lag richtig mit ihrer Vermutung.
„Was?!", schnauzte sie Malfoy an.
In den letzten Wochen hatte er ihr mehr als genug Anlass gegeben, ihn zu verachten. Nicht nur, dass er ein verwöhnter, arroganter Idiot war, nein, er hatte unterdessen auch jede Möglichkeit genutzt, ihr mit hämischen Sprüchen und allem, was ihm sonst noch eingefallen war, das Leben in Malfoy Manor zur Hölle zu machen. Er hatte ihren Vater dabei unterstützt, sie Drecksarbeiten wie ein Hauself machen zu lassen, und sich darüber amüsiert. Isidor verzeihte ihr nämlich nicht, dass sie zur ihrer – wie er fand – blutverräterischen Tante Fiona hielt und so über ihren Tod trauerte. Er fand, dass sie viel zu verweichlicht und schwach war und wenn er eins verachtete, dann war es das. 
„Dein Vater hat mir aufgetragen, dich im Auge zu halten. Wenn du denkst, dass ich das vergessen habe, muss ich dich leider enttäuschen.", Draco lächelte ihr triumphierend ins Gesicht.
„Ach, tatsächlich?", machte Jocelyn betont überrascht. „Und was genau gibt dir den Anlass zu glauben, dass mich das interessiert?"
Dracos Lächeln wurde noch breiter. „Du willst doch nicht den Unmut deines Vaters auf dich ziehen?"
Jocelyns Magen verknotete sich vor Wut. Sie packte Dracos Hand und löste sie von ihrem Arm. „Weißt du was, Draco? Ich denke, ich gehe das Risiko ein. Nur weil du darauf versessen bist, dass dein Daddy dich mag, ist es bei mir nicht auch so."
Draco hörte abrupt auf zu lächeln und sein Gesicht wurde vor Wut noch blasser. „Wie kannst du es wagen!", zischte er leise und bedrohlich.
Er umgriff erneut ihren Arm und wollte sie mit sich ziehen.
„Lass mich los, du Idiot!", fauchte Jocelyn, deren Nerven endgültig am Ende waren.
Plötzlich straffte Draco sich und setzte ein spöttisches Lächeln auf, das wohl jemand hinter ihr gelten sollte. Jocelyn wandte sich um und erblickte einen Jungen mit strubbligem schwarzem Haar und einer runden Brille. Sie erkannte ihn im selben Moment, in dem Draco neben ihr zu sprechen begann.
„Sieh einer an! Auf der Suche nach einer Möglichkeit zur nächsten Heldentat, Potter?"
„Die Frage ist wohl eher, was du machst, Malfoy.", Harry blickte Draco unbewegt an.
Dieser schnaubte herablassend und ließ Jocelyn los. „Wir sehen uns nachher.", sagte er mit mühsam gezügelter Wut in der Stimme.
In seinem Blick lag eine unausgesprochene Drohung. Jocelyn zog die Augenbrauen hoch und wandte ihm den Rücken zu. Sie hörte, dass er sich entfernte. Jocelyn räusperte sich unsicher und blickte dem Jungen vor ihr in die smaragdgrünen Augen.
„Nun...Danke.", sagte sie zögerlich.
Harry lächelte leicht. „Keine Ursache."
Jocelyn folgte ihm in das fast leere Abteil und setzte sich neben ein Mädchen mit blonden Haaren, das in einer Zeitschrift las. Harry setzte sich gegenüber von ihr hin. Jocelyn fiel auf, dass das Mädchen ihre Zeitschrift falschherum las und runzelte verwirrt die Stirn. Harry war ihrem Blick gefolgt und musste grinsen.
„Luna?", sagte er freundlich.
Die Angesprochene ließ langsam ihre Zeitung mit der Aufschrift Klitterer sinken.
„Oh", machte sie, als sie bemerkte, dass sich jemand neben sie gesessen hatte. „Ich habe dich gar nicht bemerkt.", sagte Luna fröhlich zu der Rothaarigen.
Diese lächelte halbherzig. „Macht nichts."
„Ich kenne dich gar nicht. Wer bist du?", fragte Luna verträumt.
Harry sah, dass sich die Rothaarige versteifte. Sie ließ sich lange Zeit mit ihrer Antwort. „Ich heiße Jocelyn.", antwortete sie schließlich leise.
Harry fühlte sich verwirrt. Er fragte sich, warum sie plötzlich so unbehaglich aussah. „Jocelyn Fortescue.", ergänzte das Mädchen in dem Moment resigniert seufzend. Dann verschränkte sie die Arme wie zum Schutz vor der Brust und sank den Blick auf den Boden. Fortescue. Wo hatte er den Namen schon mal gehört? Dann fiel es ihm abrupt wieder ein. Die Fortescues waren überzeugte Todesser gewesen, die für sehr viele Opfer gesorgt hatten. Hagrid hatte einmal eine Bemerkung über sie fallen lassen und Hermine hatte darauf gesagt, wie froh sie war, dass sie nun wie viele andere Todesser in Askaban saßen. Dass die Fortescues eine Tochter hatten, war aber nie zum Gespräch gekommen. Harrys erste Reaktion auf die Tatsache, dass vor ihm die Tochter skrupelloser Todesser saß, war Verachtung. Er ließ den Blick über ihre blassblauen Augen und die dunkelroten, langen Haare gleiten, und ein Teil von ihm machte ihn leise darauf aufmerksam, dass sie keineswegs wie die Tochter von Todesser aussah. Sie wirkte...verletzlich, nicht skrupellos und hartherzig, wie es ihre Eltern waren. Die kurze Stille in ihrem Abteil wurde von Luna unterbrochen, die Jocelyn neugierig ansah.
„Du bist neu hier?", erkundigte sie sich freundlich.
Jocelyn sah nicht auf, sondern nickte nur knapp.
„In welchem Haus bist du?", wollte Luna wissen.
Jetzt sah Jocelyn doch auf. „Ich...ich weiß nicht.", erwiderte sie Luna stockend.
„Bist du noch nicht für ein Haus ausgewählt worden?", hörte sich Harry fragen.
Er gab seinen anfänglichen Widerwillen auf und sah Jocelyn neugierig an. Sie erwiderte seinen Blick unsicher.
„Nein.", sagte sie nach kurzem Zögern. „Er will, dass ich nach Slytherin komme.", fügte sie dann hinzu- so leise, dass Harry sie kaum verstand.
„Wer?", fragte er nach.
Sie schreckte auf und Harry sah, dass sie gar nicht gemerkt hatte, dass sie laut sprach. „Mein...mein Bruder.", stotterte sie.
„Du hast ein Bruder?", Luna tauchte erneut hinter ihrer Zeitschrift auf.
Jocelyn seufzte. „Leider."
In diesem Moment wurde die Abteiltür aufgeschoben und Hermine und Ron traten wild durcheinander redend ein.
„Das kannst du echt nicht machen!", sagte Hermine gerade streng.
„Ach, komm, so schlimm war's auch wieder nicht, Hermine.", Ron verdrehte die Augen.
Die beiden setzten sich neben Harry. „Was war nicht so schlimm?", fragte dieser grinsend Ron.
„Ich habe einem Erstklässler das hier abgenommen.", Ron langte in seine Jackentasche und zeigte Harry einen Zauberstab, der sich in dem Moment laut quiekend in eine Gummimaus verwandelte. „Sowas hatte ich noch nie. Ist doch ganz witzig, oder?", feixte er. Harry schüttelte lachend den Kopf. Erst in dem Augenblick bemerkten Ron und Hermine Jocelyn. Sie schauten sie beide fragend an und Hermine beugte sich zu ihr vor.
„Hey, ich habe dich vorhin gesehen.", sagte sie langsam. „Am Bahnsteig. Mit den...Malfoys?"
„Ja. Ich habe in den Ferien bei ihnen gewohnt.", erwiderte Jocelyn.
„Gewohnt?", würgte Ron hervor.
„Meine Tante ist gestorben und ich wusste keinen Ort, an den ich sonst hingehen hätte können.", sagte sie knapp.
„Das tut mir leid.", in Hermines Augen trat Bedauern und ihre Miene war viel weicher geworden. „Ich habe dich noch nie gesehen. Bist du..." - „Neu hier? Ja.", kam ihr Jocelyn zuvor und ein Lächeln huschte über ihr Gesicht.

Burning DarknessKde žijí příběhy. Začni objevovat