Geschwisterbande

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Als Jocelyn an diesem Morgen die Augen aufschlug, konnte sie sich im ersten Moment überhaupt nicht dazu überwinden, aufzustehen, und starrte stattdessen trübe an die Decke. Sie fühlte sich völlig frustriert, von einer inneren Unruhe befallen, die sie immer mehr zermürbte. Es machte sie wahnsinnig, dass ihre Erinnerungen einfach nicht zurückkommen wollten. Schließlich überwand sie sich aber doch und schlüpfte lustlos in ihre Schuluniform und band ihre Haare zu einem hohen Zopf zusammen. Als sie einen kurzen Blick in den Spiegel warf, fiel ihr wieder einmal die hässliche Narbe oberhalb ihres Schlüsselbeines ins Auge. Stirnrunzelnd strich sie darüber und plötzlich, wie aus dem Nichts, tauchte eine Erinnerung in ihrem Kopf auf... 
Sie sah sich selbst in einem düsteren Raum mit einem langen, glänzenden Tisch stehen und spürte, wie jemand sie an den Schultern packte, fühlte, wie sich spitze Nägel in ihre Haut bohrten und roch Blut und Schweiß. Dann schlug auf einmal jemand, oder etwas, seine Zähne in die empfindliche Haut ihres Halses und flammender Schmerz durchzuckte sie... 
Als Jocelyn wieder zu sich kam, kauerte sie zusammengekrümmt am Boden. Was war das? Voller Panik rappelte sie sich auf und begegnete ihrem eigenen, entsetzten Blick aus großen, blassblauen Augen. Benommen ging sie hinunter in die Große Halle, obwohl ihr jeglicher Appetit vergangen war. Ihr fiel auf, dass Draco nicht da war, aber sie maß dem nicht viel Bedeutung zu- der Schreck steckte ihr immer noch in den Gliedern und langsam begann sie sich zu fragen, ob sie ihre Erinnerung wirklich wieder zurückbekommen wollte. Doch sie ahnte noch nicht, dass das erst der Anfang gewesen war. 
Das nächste Mal passierte es in Verteidigung gegen die Dunklen Künste, ein Fach, das sie bei dem grimmigen, hakennasigen Professor Snape hatten. Sie übten gerade, einen ungesagten Schockzauber anzuwenden - Jocelyn hatte Goyle als Partner, einen plumpen, strohdummen Slytherin -, als wie aus dem Nichts ihre Umgebung um sie herum zu verschwimmen begann…

Sie sah sich einem ausgezehrt wirkendem Mann mit kalten Augen gegenüber. „Jocelyn.“, sagte er täuschend sanft und erhob sich von der großen, weißen Couch, auf der er gesessen hatte.
Er trat auf sie zu und Jocelyn wich automatisch zurück. „Du hast unserer Familie eine unsagbar große Schande bereitet.“ 
Im nächsten Moment hob er seinen Zauberstab und schrie wutentbrannt: „Crucio!“ 
Eine endlose Sekunde lang verspürte Jocelyn gar nichts, aber dann traf sie der Schmerz mit aller Wucht. Ein gellender Schrei entwich ihr, ein Laut tiefsten Peines, und sie sank auf die Knie. Sie krümmte sich und schlang ihre Arme um ihren Körper, wollte sich irgendwie von dem Schmerz schützen, aber sie war ihm hilflos ausgeliefert…

Als sie endlich wieder zu sich kam, spürte sie, dass jemand ein Arm um ihre Taille gelegt hatte und sie aus Snapes düsterem Klassenzimmer heraus bugsierte. Als sie den Kopf drehte, erblickte sie Draco. Er sah sie mit gerunzelter Stirn an und sie sagte schwach: „Es geht schon wieder.“ 
Mit skeptischem Blick ließ er sie los und sie lehnte sich kraftlos an die Mauer vor der Klassenzimmertür. „Wie habe ich die hier bekommen?“, fragte sie Draco plötzlich und berührte dabei sachte die Narbe an ihrem Hals. Sein Gesicht verschloss sich und einige Zeit musterte er sie abwägend, als würde er überlegen, wie viel er ihr sagen sollte. Sie musterte ihn ihrerseits auch und dabei fiel ihr auf, wie fertig er aussah. Tiefe Ringe lagen unter seinen Augen und seine Haare standen wirr in alle Richtungen ab. Sonst sind sie immer perfekt geordnet, schoss es ihr plötzlich durch den Kopf und sie stockte. Wo kam der Gedanke denn plötzlich her? 
„Ein Werwolf hat dich gebissen.“, holte Dracos nüchterne Stimme sie schließlich wieder ins Jetzt zurück. Sie sah ihn sprachlos an und ein Schaudern überfiel sie. 
„Und du…du warst dabei?“, fragte sie verunsichert. Einen Moment huschte ein freudloses Grinsen über sein Gesicht. „Ja, war ich.“, sagte er knapp. 
Sie sah ihn an, während tausend Fragen durch ihren Kopf schwirrten. „Wenn's dir wieder besser geht, lass uns zurückgehen.“, meinte Draco und ging wieder in den Klassenraum.

Burning DarknessWhere stories live. Discover now