s i x t y o n e.

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-Freitag, 11. Januar 2019-

Das Schulgebäude kann ich mittlerweile wieder betreten, ohne direkt an Chloe denken zu müssen. Dennoch fällt es mir immer noch unheimlich schwer, mich auf den Unterricht zu konzentrieren, was wohl auch heute wieder der Fall sein wird. Die Lehrer haben zwar Verständnis dafür, müssen mich aber trotzdem irgendwie dazu bewegen, am Unterricht teilzunehmen, was ich ihnen nicht einmal verübeln kann.

Ich laufe durch das Gebäude, aber als ich dann nach links in diesen Gang abbiegen muss, werde ich langsamer. Leider liegt unser Klassenraum genau in dem Gang, in dem auch Chloes Spind war und vor dem auch immer noch die Karten und Fotos liegen. Die Blumen wurden mittlerweile wieder entfernt, weil die ersten Rosen verwelkt sind. Ich atme noch einmal tief durch und richte meinen Blick dann starr nach vorne, bevor ich schnell durch den Gang gehe und Chloes Spind nicht einen Blick zuwerfe.
Im Klassenzimmer angekommen atme ich tief durch und lasse mich dann auf meinem Platz fallen, neben dem immer noch ein leerer Platz ist. Leise seufzend hole ich meine Sachen hervor und warte darauf, dass der Unterricht beginnt.

Um 17 Uhr klingelt es zum Unterrichtsende und unsere Lehrerin verabschiedet uns ins Wochenende. Doch ein wenig glücklich lächelnd packe ich meine Sachen zusammen und schultere meinen Rucksack, weil ich weiß, dass Shawn morgen zurückkommt. Nachdem ich den Flur verlassen habe, fällt es mir leichter, mich auf den morgigen Tag zu freuen und so lächle ich Aaliyah sogar an, als sie auf mich zukommt. „Alles okay?" fragt sie, weil es die letzte Woche über kein wirklich ehrliches Lächeln von mir gab. Ich nicke und frage sie, ob wir nach Hause gehen wollen, woraufhin sie dann nickt.
Auf dem Nachhauseweg unterhalten wir uns ein wenig, wobei ich herausfinde, dass Aaliyah einen Jungen aus ihrer Parallelklasse wohl ganz süß findet. „Aber er hat eh kein Interesse an mir." Ich lache ironisch und schüttle dann ungläubig den Kopf. „Schlag dir das mal wieder ganz schnell aus dem Kopf. Bis ich Shawn kennengelernt habe, dachte ich auch, dass nie ein Junge an mir interessiert sein könnte und siehe da: Heute bin ich mit deinem Bruder zusammen und er ist der erste Junge, der sich wirklich für mich interessiert. Gut, sagen wir mal von Liam, meinem besten Freund, abgesehen." Aaliyah schmunzelt und ihr Lächeln wird sogar noch breiter, als wir am Haus ankommen. Mit fragendem Gesichtsausdruck gucke ich sie an, doch sie betritt das Haus nur und winkt mich hinter sich her. Eher zaghaft, fast schon misstrauisch folge ich ihr und ziehe mir Schuhe, Jacke und Schal aus. „Hallo?" ruft Aaliyah ins Haus hinein und geht dann in Richtung Küche, um zu schauen, ob dort jemand ist. Ich verschränke die Arme vor der Brust, weil es mir nicht wirklich geheuer ist, warum sie die ganze Zeit so komisch grinst, aber als jemand die Treppe herunterkommt, vergesse ich das wieder.
„Hey Honey." sagt da dieser Jemand hinter mir und ich drehe mich blitzartig um, nur um dann wirklich in Shawns Augen zu gucken. Kurzzeitig starre ich ihn einfach nur an, weil ich ihn erst morgen wieder erwartet habe, aber dann falle ich ihm in die Arme. Er lacht leise und streicht mir vorsichtig über das Haar, bevor ich meinen Oberkörper wieder von ihm löse. Eine Weile gucke ich ihm einfach in die Augen, bevor ich mich auf Zehenspitzen stelle und meine Lippen auf seine lege. Ich spüre, wie er in den Kuss lächelt, was mich dazu bringt, ebenfalls leicht zu lächeln.
Als ich mich wieder von ihm löse, liegt dieses Lächeln immer noch auf seinen Lippen und um ehrlich zu sein, macht es mich wirklich ein Stückchen glücklicher. „Na endlich lächelst du mal wieder, Emma!" kommt es da von Aaliyah hinter mir und ich drehe meinen Kopf so, dass ich sie angucken kann. Ich schlucke und fahre mir durch die Haare, bevor ich Shawn einfach wieder umarme. Nun eher verwirrt legt er seine Arme wieder um mich und guckt seine Schwester wahrscheinlich gerade fragend an.
Ich atme tief durch und löse mich wieder ganz, um dann meinen Rucksack zu nehmen und Shawn kurz anzulächeln, bevor ich nach oben und in mein Zimmer gehe. Kaum zu glauben, dass ich schon über ein halbes Jahr hier bin und in einem halben Jahr wieder zurück nach Deutschland muss. Seufzend stelle ich den Rucksack in der Ecke ab und lasse mich auf das Bett fallen.
Eine Weile liege ich nur da, bevor mir plötzlich wieder einfällt, was morgen auf mich zukommt. Verdammt, morgen wird Chloe beerdigt! Diese Erkenntnis treibt mir sofort Tränen in die Augen und ich zweifle daran, ob ich das überhaupt schaffen kann. Einerseits will ich Chloe unbedingt noch ein letztes Mal sehen und ihr die letzte Ehre erweisen, aber andererseits weiß ich irgendwie, dass es morgen unglaublich schwer für mich werden wird.

Das Klopfen an der Tür reißt mich aus meinen Gedanken und ich wische mir schnell die Tränen weg, die doch über meine Wangen gelaufen sind, bevor ich aufstehe und die Tür öffne. Als Shawn sieht, dass ich geweint habe, weiten sich seine Augen und er kommt ohne ein Wort ins Zimmer, schließt die Tür hinter sich und zieht mich zum Bett. Er setzt sich und zieht mich zu sich auf seinen Schoß, bevor er mir vorsichtig über mein Haar streicht und mich an sich drückt. „Hey, was ist denn los?" fragt er nach einer Weile leise und ich atme tief durch. „Morgen... ist Chloes Beerdigung." murmle ich schließlich und kuschle mich näher an ihn. Shawn sagt nichts, aber seine Anwesenheit hilft mir schon, mich zu beruhigen. „Und... und was, wenn ich mitkommen würde?" kommt es dann irgendwann von ihm und ich gucke überrascht zu ihm. „Das würdest du tun?" frage ich leise nach und Shawn lächelt. „Natürlich Honey. Ich weiß, wie viel sie dir bedeutet hat und ich weiß auch,  dass es dir schwerfällt, da drüber hinwegzukommen. Wenn du also möchtest, dass ich da morgen mit dir hingehe, tue ich das gerne." Ich muss nun ebenfalls lächeln und nicke dann. „Danke Shawn..." flüstere ich und nehme sein Gesicht in meine Hände. „Ich liebe dich."

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Da denkt man, dass man an einem Feiertag mehr Zeit hat, um ein Kapitel zu schreiben und hat am Ende noch mehr zu tun als sonst. Geil haha.

ᴛᴏʀᴏɴᴛᴏ ʟᴏᴠᴇ || sᴍWhere stories live. Discover now