s i x t y.

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-Montag, 7. Januar 2019-

Als der Wecker am Morgen um 7 klingelt und ich meine Augen öffne, muss ich erst einmal realisieren, was heute auf mich zukommt. Ich stelle den Wecker aus und bleibe dann noch kurz liegen, bis ich dann doch aufstehen muss. Mühevoll rapple ich mich auf und sammle mir Sachen zusammen, die ich heute anziehen will. Nachdem ich den Hoodie und die Jeans angezogen habe, gehe ich ins Bad und mache mich dort ebenfalls weitestgehend fertig, um danach nach unten zu gehen und zu frühstücken. Aaliyah, Karen und Manuel sind ebenfalls schon dort und als ich die Küche betrete, gucken sie mich allesamt an. Ich zwinge mich zu einem wahrscheinlich gequält aussehenden Lächeln und mache mir ein Müsli, das ich dann auch schnell esse.
Am liebsten würde ich wieder oben in mein Zimmer verschwinden und mich unter die Bettdecke verkriechen, aber da es nunmal so etwas wie eine Schulpflicht gibt, kann ich mich nicht davor drücken.
So kommt es, dass ich knapp eine Viertelstunde später gemeinsam mit Aaliyah das Haus verlasse und mit ihr den Weg zur Schule gehe. „Ist alles okay?" fragt sie nach einer Weile, da ich einfach nur geschwiegen habe. Ich schlucke und spanne meine Schultern ein wenig an, bevor ich ihr doch antworte. „Ich habe irgendwie Angst davor, in die Schule zu gehen. Ich habe Angst vor den Erinnerungen mit Chloe und davor, wie ich darauf reagieren werde..." Aaliyah nickt verständnisvoll. „Wenn dir dad wirklich zu viel werden sollte, dann melde dich lieber vorzeitig ab und geh nach Hause. Ich bin sicher, dass Mom und Dad da Verständnis für haben werden." Nun bin ih diejenige, die nickt und atme tief durch.

Kurz darauf erreichen wir bereits das Gelände der Highschool und meine Schritte werden wie automatisch langsamer. Ich musste mich regelrecht dazu zwingen, einen Fuß vor den anderen zu setzen und das Gebäude zu betreten. Erstaunlicherweise ist es nicht ganz so schlimm, wie ich es mir vorgestellt habe, aber trotzdem fängt mein Herz an, zu rasen. Nur langsam wage ich mich durch die Gänge und wäre beinahe über meine eigenen Füße gestolpert, als ich an einem regelrechten Meer aus Blumen und Karten vorbeigehe. Als ich das Bild der Person und deren Name sehe, zieht sich mein Herz schmerzvoll zusammen und bleibe stehen. Keine Ahnung, wie lange genau ich da stand und das Szenario vor mir betrachtet habe, aber als es zum Unterrichtsbeginn läutet, zucke ich merklich zusammen. Mühevoll halte ich die Tränen zurück, während ich die glücklich lächelnde Chloe auf dem Bild anschaue.

Jemand legt seine Hand auf meine Schulter und ich drehe mich erschrocken um, um dann in die Augen von Mrs. Harms, die mich mitleidig ansieht. „Chloe hat dir viel bedeutet, nicht?" Kurz bin ich verwirrt, wieso sie das fragt, doch dann nicke ich trotzdem. „Ich kann nur erahnen, wie du dich fühlen musst. Und so leid mir das Ganze auch tut, vor allem weil Chloe eine hervorragende Schülerin war, aber du musst in den Unterricht, der vor knapp 20 Minuten angefangen hat." Überrascht weiten sich meine Augen, ich soll hier wirklich 20 Minuten einfach so rumgestanden haben?
„N-natürlich. Entschuldigen Sie." Ich raffe mich auf und steuere den Raum an, in dem ich jetzt Unterricht habe. Nur zögerlich klopfe ich an und warte, bis jemand sagt, dass ich reinkommen kann. Dann öffne ich die Tür und betrete mit einen mulmigen Gefühl im Magen den Raum. Mein Lehrer guckt mich einen Moment vorwurfsvoll an, aber als er zu merken scheint, dass ich mich nicht wirklich gut fühle, wird sein Blick weicher und er sagt nichts zu meiner Verspätung.
So leise es geht nehme ich Platz und hole meine Materialien hervor, um dann dem Unterricht so gut es geht zu folgen. Leider nur funktioniert das nicht wirklich, vor allem weil der Platz neben mir leer bleibt und es auch immer wird. Ich schlucke hart und fahre mir durch die Haare, als die Klingel mich endlich erlöst. „Emma, kommst du noch einmal zu mir?" Ich nicke einfach nur, packe alles in meinen Rucksack zurück und gehe nach vorne zum Pult. „Was war heute los? Ich hatte den Eindruck, dass du überhaupt nicht bei der Sache warst! Ist es... ist es wegen Chloe?" Bei ihrem Namen kneife ich kurz die Augen zusammen und nicke dann leicht. „Das heute ist... der erste Tag hier an der Schule ohne sie und ich, ich schätze, dass ich einfach überfordert mit alldem hier bin." Mein Lehrer nickt und schenkt mir noch ein paar gut gemeinte Worte, die aber trotzdem nicht wirklich aufmunternd wirken, bevor ich den Raum verlasse und mich auf den Weg zum nächsten Raum mache.

Einige qualvolle Stunden später ist der Schultag endlich beendet und ich kann hier weg. Allerdings bleibe ich erneut an dem Foto, den Rosen und den Karten hängen. Ich weiß, dass mir das eigentlich nicht wirklich gut tut, aber ich kann nicht anders. Wie bin ich die letzte Zeit so gut damit klargekommen?
Vielleicht lag es an Shawn, weil er für mich da war und mir Mut zugesprochen hat, jetzt allerdings irgendwo auf der anderen Halbkugel unterwegs ist. Seufzend knie ich mich zu dem Foto und nehme es in die Hand, um beinahe schon ehrfürchtig über den Bilderrahmen zu streichen.
„Ich wusste, dass ich dich hier finde." ertönt da Liams Stimme hinter mir und ich stehe schnell wieder auf, um ihm in die Arme zu fallen. Beschützend legt auch er seine Arme um mich und streicht mir über den Rücken, während ich erstaunlicherweise einfach in Tränen ausbreche und mein Gesicht in seiner Schulter verstecke. „Ich vermisse sie so sehr..." murmle ich in seine Schulter. „Ich weiß Emma. Das tue ich auch..." kommt von ihm und ich unterdrücke ein Schluchzen, bevor ich mich wieder von ihm löse und mir die Tränen wegstreiche. „Ich dachte... dass ich damit klarkomme, aber... als ich das hier gesehen habe, ist alles wieder, wieder hochgekommen und..." Liam nickt verständnisvoll und senkt den Blick danach wieder. Wahrscheinlich versucht er krampfhaft, nicht zu den Fotos zu gucken, was ich sehr gut nachvollziehen kann. „Am besten wir gehen nach Hause. Wir quälen uns sonst nur noch mehr." Ich stimme leicht nickend zu und folge Liam so aus dem Gebäude.
„Komm gut nach Hause, Emma." Er lächelt mich leicht an, was ich erwidere. „Du auch Liam, du auch..."

ᴛᴏʀᴏɴᴛᴏ ʟᴏᴠᴇ || sᴍWo Geschichten leben. Entdecke jetzt